Schweizer Fernsehen: Die Zukunft ist weiblich

Nr. 27 –

Seit Jahren kommentiert ein Mann die Spiele der Männer-Fussballnati, als lebten wir noch in der Schwarzenbach-Schweiz. Höchste Zeit für einen Wechsel, findet unser Autor.

Liebe Nathalie Wappler, lieber Roland Mägerle, ich weiss, dass es das SRF derzeit nicht einfach hat. Ihr sollt sparen und gleichzeitig innovativer werden. Über Nischen berichten und gleichzeitig die breite Masse ansprechen. Politisch ausgeglichen sein und gleichzeitig objektiv – und dann hattet ihr noch die unmöglichste aller Aufgaben: einen Nachfolger für Bernard «Beni national» Thurnheer zu finden.

Natürlich: Vielleicht war sein Abgang ein paar Jahre zu spät, aber man darf nicht vergessen, dass Thurnheer in der Schweiz die Rolle des Fussballkommentators mehr oder weniger im Alleingang (neu) erfunden hat. «Beni» war eine Integrationsfigur: Wenn er ein Wortspiel machte, wurde dieses am nächsten Tag an Stammtischen und in Umkleidekabinen, in Unis und auf Comedybühnen zitiert. Und auch wenn es schon damals manchmal einen Röstigraben gab in der prominentesten Schweizer Sportmannschaft, so war Thurnheer immer der, der die Illusion kreieren konnte, dass es «unser aller» Team sei – egal ob die Spieler die Nationalhymne sangen oder nicht, ob sie schon in der Quali scheiterten oder sich durch die Vorrunden zitterten.

So eine Figur zu ersetzen, ist eigentlich unmöglich. Das weiss auch die Person, die mit dieser Aufgabe betraut wurde. Sascha Ruefer ist mehr als ein Laubbläser unter den SportjournalistInnen, ein «Muezzin der Eidgenossen». Seine Art, zwischen Fan und Analyst zu oszillieren, beweist immer wieder, dass er eine Leidenschaft für diesen Sport verspürt, die ihresgleichen sucht.

Berichten statt urteilen

Aber: Das reicht einfach nicht. Wer die Spiele des Schweizer Fussballnationalteams der Männer kommentiert, formt die Meinungen der gesamten Deutschschweiz mit. Er trägt die Verantwortung für das Verbindende dieses Sports, das uns Fans unsere Liebe zum Fussball immer noch nicht hat verlieren lassen – trotz aller Widerwärtigkeiten, auf die KritikerInnen wie Hans Fässler (WOZ Nr. 26/21 ) immer wieder zu Recht hinweisen: der korrupten Funktionäre, der ausserirdisch anmutenden Entrücktheit hochbezahlter Spieler, trotz aller Verweigerungen dieses Sports, sich mit Realitäten wie Homophobie, Nationalismus und Rassismus auseinanderzusetzen. Und wenn ich hier nur die männliche Form benutze, liegt das einfach daran, dass in der Geschichte des Schweizer Fernsehens noch nie eine Frau ein Fussballspiel der Männer geschweige denn des Nationalteams kommentiert hat.

Dass man an dieser Aufgabe nur scheitern kann, weiss auch Ruefer. Wir haben seine Hilfeschreie gehört, die inzwischen sogar am deutschen Fernsehen eingespielt werden. Seine Unzufriedenheit. Sein Nörgeln. Ich glaube fast, er fühlt sich wohler in der Schlussanalyse mit Rainer Maria Salzgeber und Beni Huggel. Denn die Rolle des Kommentators ist eben nicht die des Analysten. Seit Anbeginn der Geschichte der Fussballübertragung hat der Livekommentator nicht die Aufgabe, zu urteilen, sondern primär, zu beschreiben. Und für uns da draussen, die wir noch weniger Ahnung von Fussball haben, das Geschehen in einen fachlichen Kontext zu setzen, damit wir das danach fachkundig nachplappern können.

Doch Ruefer beschreibt nicht. Statt die taktischen Entscheidungen des Trainers anhand der Auswechslungen zu beschreiben, die (so habe ich mir das von ZDF und ORF erklären lassen) in ihrer Cleverness dazu beigetragen haben, dass die Schweiz ihr historisches Spiel gegen Frankreich gewann, spricht er über die Anzüge von Didier Deschamps und die blondierten Haare von Granit Xhaka und Manuel Akanji. Und wenn er es tut, urteilt er auch sogleich.

Ruefer informierte uns nicht, dass Ricardo Rodríguez bereits die letzten drei Penaltys verschossen hatte. Und zeigte kein Mitgefühl mit ihm. Stattdessen krähte er ins Mikrofon: «Wie kann man diesen Mann nach drei verschossenen Penaltys wieder antreten lassen!» Vor drei Jahren, als sich in einer politisch aufgeladenen Partie der Druck auf den Schultern der Mannschaft darin entlud, dass sie nach sechzig Minuten rassistischer und nationalistischer Beschimpfung (die bis dahin auf SRF nicht einmal erwähnt wurde, während das ZDF längst eine Übersetzung der Fangesänge geliefert hatte) einer rechtsextremen Fankurve den Doppeladler zeigte, konnte er das weder beschreiben noch erklären, sondern schritt direkt zum Urteil: «bescheuert, dumm und überflüssig» (siehe WOZ Nr. 26/2018 ).

Ruefer glaubt, er sei der, der den Spielern einen «Tritt in den Hintern» verpassen müsse. Doch er ist nicht der Trainer. Er ist nicht für die Spieler da. Sondern für die ZuschauerInnen. Für die bunte Schweiz. Und da reicht es nicht, wenn das Bewusstsein für die multiethnische Schweiz sich darin erschöpft, zu wissen, dass er sich den Geburtsort mit einem Mann namens Seferovic teilt. Dafür ist das Thema zu komplex.

Ein paar Vorschläge

Seien wir ehrlich: Wenn es eine Aufgabe gibt, die wir als unmöglich betrachten, liegt es meist daran, dass man(n) noch nie eine Frau dafür in Betracht zog – und für jede Eigenschaft, die Ruefer bisher an den Tag gelegt hat, gibt es eine Frau, die das besser kann.

Wenn Äusserlichkeiten wie die Frisurenwahl von Xhaka oder der Anzug von Deschamps beschrieben werden sollen: Christa Rigozzi. Wenn liebevoll-abschätzige Kommentare an der Gürtellinie oder knapp darunter gemacht werden sollen: Patti Basler. Oder die Slampoetin und Kabarettistin Rebekka Lindauer – Letztere ist sogar noch Griechin, die weiss, was schlechter Fussball ist. Wenn es darum gehen soll, fachkundige Analyse auf hohem Niveau zu bieten: die ehemalige Schweizer Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg.

Wenn tatsächlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den interkulturellen Herausforderungen der modernen Schweiz geführt werden soll, statt einen «ethnisierten Blick» auf die Nati zu werfen: die Zürcher SP-Kantonsrätin und Fussballerin Sarah Akanji. Die weiss, wie sich Rassismus anfühlt. Und wenn wir schon bei migrantischen Frauen sind: Wenn eine Person gesucht ist, die voll und ganz Fan ist, mitleidet und sich im Moment des Siegs euphorisch die Seele aus dem Leib schreit: Maria Pappa, die Stadtpräsidentin von St. Gallen, kann das besser. Und sympathischer.

Andere Sender haben es vorgemacht: etwa mit Meriame Terchoun und Claudia Lässer (beide Teleclub); ja, mit Steffi Buchli hatte SRF einst die vielleicht beste Sportjournalistin der Schweiz – beider Geschlechter. Annette Fetscherin arbeitet doch schon bei SRF – die könnte das. Und wenn nicht sie: Wer wenn nicht SRF bildet die meisten und besten JournalistInnen in diesem Bereich aus?

Liebe Nathalie Wappler, lieber Roland Mägerle: Geben Sie sich und Ihrem – Verzeihung, unserem – Unternehmen einen Ruck. Es ist Zeit für einen Wechsel, Zeit für einen Steilpass in den Strafraum, wo die Zukunft wartet. Und die ist weiblich. Das ist kein Genderpolitikum, sondern ein grammatikalisches Faktum. Helfen Sie mit, daraus auch eine Realität zu machen.

Etrit Hasler, Slampoet und Autor, war lange Zeit Sportkolumnist bei der WOZ.