Erwachet!: Grosse Pause

Nr. 28 –

Michelle Steinbeck feiert den Sommer

Die Sommerferien stehen an. Zeit fürs jährlich einkalkulierte Kurz-Burn-out, die Halsinfektion, die Beziehungskrise ums Ferienbuchen. Und natürlich die Frage aller Fragen: Wenn ich wegfahre, wer kümmert sich dann um die Gurken? Wer erntet die Früchte, die ich im Lockdown wie Hoffnung gesät und in einem Anflug von Survivalism hingebungsvoll von Hand aufgezogen habe? Die einzige kleine Tomate, die ich seit ihrer Zeugung beim Wachsen und pubertären Erröten verfolgt habe – Befruchtung an einem gewittrigen Junidonnerstag durch eine von meinen Anfeuerungsrufen verstörte Hummel –, wer wird sie nach einem Biss schnöde übers Geländer werfen?

Die Antwort liegt auf der Hand: Warum überhaupt verreisen, wenn die schönsten Dinge zu Hause auf dich warten? Das WLAN ist nirgends besser, der Fernseher nirgendwo grösser, und auf der Fernbedienung ist der Netflix-Knopf bequem in der Mitte. Das ist Entspannung! Mit dem Traumschiff nach Kuba, an den Füssen die eigenen Finken.

Nach dem ersten Stressabfall wird dir allenfalls etwas auffallen, wofür du bisher keine Zeit gehabt hast: das Wetter. Unanständige Nässe. Wenn wir Langfristprognosen und dem anthroposophischen Aussaatkalender glauben, wird es noch eine Weile weiterschiffen. Und dann ist schon Adventszeit und der Samichlaus bringt dir eine Pi-Variante.

Wie machen wir nun also das Beste aus diesem Sommer? Die morgendliche Mehltaubekämpfungsroutine bietet sich an, den Tag achtsam zu planen. Statt wie in anderen Sommern deine glühende Haut mit Wasserstaub zu benetzen, sprühst du nun Kuhmilch auf Pfefferminze. Entsprechend gilt es, für alles geeignete Alternativen zu suchen. Ist das Schwimmen im Fluss nicht möglich, weil dieser sich in ein reissendes braunes Monster verwandelt hat, dann muss es doch mindestens so interessant sein, dieses Hochwasser zu studieren. Es wird auch sein Gutes haben – und wenn es nur Schadenfreude darüber ist, dass sich die Basler Polizei nicht mehr mit dem Claim brüsten kann, das «schnellste Boot am Rhein» zu haben. Darüber dürfen wir Zivilistinnen herzlich lachen – aber nicht zu laut! Schliesslich patrouillieren die selbsternannten «Superhelden» nun mangels Motorboot-Posing in Kastenwagen mit dem Schriftzug «Hände hoch!».

Nach dem Schreck dieser Begegnung empfiehlt es sich, unter einem Sonnenschirm Schutz vor dem nächsten Wolkenbruch zu suchen und Adelheid Duvanel zu lesen. Wer kein Buch dabei hat, kann einfach die Augen schliessen und Geld sparen. Stell dir dich als Kind vor und überlege, was du als erwachsene Person diesem Kind heute sagen würdest. Wenn du dabei unter dem Sonnenschirm in Tränen ausbrichst, werden die paar Tropfen im strömenden Regen nicht auffallen. Und in einer Therapiesitzung hättest du dafür ein kleines Vermögen ausgegeben.

Der Heimweg ist schliesslich ideal, um überfahrene Tiere zu untersuchen und Regenwürmer zu sammeln. Wann, wenn nicht jetzt, ist der perfekte Zeitpunkt, sich einen kleinen Wurmkompost fürs Fensterbrett zu basteln? Bis zum Ende der Ferien wird er täglich mehr Fröhlichkeit versprühen. Es wird darin gären und wimmeln, und pünktlich zum Schulstart können die Kinder der liebsten Lehrperson eine Flasche selbstgemachten Wurmtee mitbringen.

Das wird vielleicht der beste Sommer überhaupt.

Michelle Steinbeck ist Autorin mit grossen Plänen.