Kommentar von Peter Stäuber: Der echte Brandstifter

Nr. 28 –

Der britische Premierminister verurteilt den Rassismus, mit dem sich drei Fussballspieler konfrontiert sehen. Das ist pure Heuchelei.

Entsetzlich sei dieser Rassismus, sagte Premierminister Boris Johnson am Montag, und Innenministerin Priti Patel pflichtete ihm bei: Auch sie sei «angewidert». Auf das EM-Finale vom Sonntag, bei dem drei Schwarze Spieler ihren Penalty verschossen, folgte in England ein hässlicher Ausbruch des Rassismus: Die Spieler wurden in den sozialen Medien mit einem riesigen Schwall an Beleidigungen und düsteren Drohungen konfrontiert, an Mauern sah man am nächsten Morgen rassistische Schmierereien. Aber dass gerade Johnson und Patel sich so empört geben, ist scheinheilig – zählen sie doch genau zu den Leuten, die den Attacken den Boden bereitet haben.

Der Hass nach dem Finalspiel ist nicht zuletzt deswegen so schockierend, weil in den Wochen zuvor ein anderes England zu sehen gewesen war: ein progressives, offenes, selbstbewusstes Land, verkörpert durch die Mannschaft und ihren Trainer Gareth Southgate.

Sicher, der Sport ist voll von oberflächlichen Gesten gegen Diskriminierung. Aber das englische Team nahm sie ernst. Vor jedem Spiel kniete es einige Momente lang auf den Rasen – ein Symbol gegen Rassismus, das man seit der Black-Lives-Matter-Bewegung auf der ganzen Welt kennt. Viele Englandfans goutierten das nicht: Sie hielten es für eine linksextreme Geste und buhten. Doch die Mannschaft liess sich nicht beirren. Southgate schrieb in einem millionenfach gelesenen offenen Brief: «Ihr seid auf der Seite, die verliert.» Die Gesellschaft werde laufend toleranter, «und ich weiss, dass meine Jungs ein grosser Teil davon sein werden».

Aber Boris Johnson, der in der Vergangenheit immer wieder durch rassistische Kommentare aufgefallen ist, lehnte es ab, die buhenden Fans zu verurteilen. Er sagte bloss, alle hätten das Recht, ihre Meinung kundzutun. Auch Innenministerin Priti Patel äusserte Verständnis für die Fans und sagte, sie habe nichts übrig für «Gestenpolitik», wie sie die englische Mannschaft betreibe. Die Hardlinerin ist eine gnadenlose Kulturkämpferin und weist alles zurück, das im Entferntesten progressiv ist; vor einem Jahr bezeichnete sie die Black-Lives-Matter-Bewegung als «furchtbar». Die Regierung sah die Kniefall-Kontroverse als einen weiteren Schauplatz in diesem Kulturkampf, bei dem sie für die reaktionäre Seite ins Feld zieht.

Solche Signale haben Konsequenzen. Laut einer neuen Umfrage finden rund vierzehn Prozent der weissen EngländerInnen, dass nur sie als «wirklich englisch» gelten können – die Nation als ethnische Kategorie. «Toxischer Rassismus» und «Hypernationalismus» dieser Art sorgten seit Jahrzehnten dafür, dass sich Millionen BritInnen vom englischen Nationalfussball ausgeschlossen fühlten, schreibt der Historiker David Olusoga. Wenn führende PolitikerInnen für eine reaktionäre Minderheit Partei ergreifen, dann machen sie ihr Mut und ermuntern sie, etwa den neunzehnjährigen Bukayo Saka, der den letzten Penalty verschoss, mit haarsträubendem Rassismus zu attackieren. Dass sich Johnson und seine KollegInnen jetzt ostentativ darüber empören, ist nichts als Opportunismus.

In seiner Karriere hat dies Johnson bislang noch nie geschadet: Opportunismus war so ziemlich die einzige Konstante auf seinem Weg nach oben. Aber diesmal könnte er sich verkalkuliert haben: Fussballer, KommentatorInnen und selbst konservative PolitikerInnen haben die Regierung der Heuchelei beschuldigt und ihr vorgeworfen, zuerst das Feuer des Rassismus zu schüren, nur um sich dann schockiert zu geben, wenn es brennt.

Der Streit zwischen der Tory-Regierung und einer Gruppe junger Fussballer zeigt, wie der Kulturkampf gewonnen werden kann: indem die progressive Seite selbstbewusst auftritt, eine klare Haltung einnimmt – und diese robust gegen Angriffe von rechts verteidigt. Die EinwohnerInnen von Manchester haben am Montag bereits ihren Teil dazu beigetragen: Die rassistischen Schmierereien auf einem Wandgemälde des Englandspielers Marcus Rashford sind schnell mit Dutzenden Botschaften der Solidarität überpflastert worden. «Vorbild» steht auf den Papierzetteln, «Bruder», «Held» und «I love you».