Am Ende bist du doch allein: Er lernte bei den Härtesten

Nr. 31 –

Illustration: Julius Thesing

Da schreitet Jean-Philippe Gaudin.

Dahin.

Den Kopf erhoben, Soldat, im Geiste seit 32 Jahren, verlässt er das Schlachtfeld. Drei Jahre hat er einen Krieg gegen die Privatsphäre der Bevölkerung geführt. Und gewonnen. So geht er als Sieger, winkt nur noch schnell Frau Amherd zu. Die beliebteste Bundesrätin musste irgendwen gehen lassen, nach der leidigen Affäre um die Schweizer Firma Crypto AG, deren Produkte heimlifeiss (wollte ich schon immer mal schreiben) die gesamte Welt ausspionierten.

Das war vor Gaudins Zeit als Chef des Schweizer Geheimdienstes. Aber wer will sich an solchen Details aufhalten. In drei Jahren war dem erdverbundenen Walliser geglückt, was vor ihm in der Schweiz nur einmal gelungen war: die vorauseilende Kriminalisierung aller – okay, ausser der MilliardärInnen – im Kampf für die Sicherheit und Freiheit und gegen den Kommunismus. Die Sicherheitsbehörden hatten bis in die achtziger Jahre über 700 000 Personen und Organisationen bespitzelt: ausländische Anarchisten, Schweizer Sozialistinnen und Gewerkschafter, politische Flüchtlinge und Ausländerinnen, Linke, Alternative, Grüne, Friedensbewegte, Drittweltaktivistinnen, Frauenbewegungen, Fremdarbeiterbetreuer, Anti-AKW-Bewegungen und religiöse Gruppierungen. Alle unter Generalverdacht. Alle in Fichen festgehalten.

Heute braucht man keine Zettelchen mehr, es gibt das Internet. Tolles Gerät. Gaudin, der branchenfremd in sein Amt als oberster Spion kam, lernte schnell bei den Härtesten – erst bei den Überwachungsvorreitern in England, am Defence College in Chicksands, und als ob das für eine ordentliche Verrohung nicht genug wär, absolvierte er noch einen Kurs beim Institut des hautes études en défense nationale. Der französische Sicherheitsdienst, bekannt für Brutalität und Gewalt, und was soll schon schiefgehen, wenn man das Erlernte in ein friedliches, reiches Acht-Millionen-EinwohnerInnen-Land überträgt. Wohlan fiel der Beginn von Gaudins Amtszeit mit der Einführung des Bundesgesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) zusammen.

Es dient der Sicherheit der Bevölkerung und setzt das Recht auf Privatsphäre ausser Kraft. Der Nachrichtendienst, sprich die KI, kann zusammen mit wieselflinken MitarbeiterInnen die Gespräche aller BürgerInnen mithören, sich dank Spionagesoftware an Mails, Pornosuchverlauf und Gamelevel erfreuen, sie können die Handys verwanzen, Chatverläufe kopfschüttelnd kommentieren, es ist, als sässe Herr Gaudin bei allen Verrichtungen neben uns auf der Toilette.

Das dient der Sicherheit.

Aber was machen wir nur mit all den schönen, auf ewig – in, sagen wir China – gespeicherten Daten der SchweizerInnen? Ein neues Gesetz muss her und zack, auch das entstand während Gaudins Amtszeit. Ein blitzend elegantes Antiterrorgesetz zur Sicherheit vor dem täglichen islamistischen Terror in der Schweiz.

Dieses Gesetz ist das härteste und unklarste in ganz Europa und berechtigt die Sicherheitskräfte, Menschen, deren Kommunikation sie vorher untersucht haben und die zum Beispiel von einem Bombenwetter schrieben oder eine Demo gegen den Klimawandel planten – also kurz Personen, die Angst und Schrecken verbreiten –, ohne Weiteres in Hausarrest zu setzen, sie an der Ausreise zu hindern, ihnen elektronische Fesseln anzulegen.

In Gaudins drei Jahren sollte er das Land auf seinem Weg in eine Überwachungsdiktatur begleiten.

Ein Mann des Militärs denkt in Feind-und-Freund-Schemen, und Feinde sind alle, die die Sicherheit des Landes gefährden, also die Sicherheit von Kapital und Investment. In Zeiten wachsender Katastrophen muss man das Volk vor seiner eigenen Panik schützen. Und drei Jahre reichen absolut, nachdem es auf der Welt islamistischen Terror gab, der sich im Westen nach den ersten Antiterrorgesetzen verflüchtigt hat, in der es eine Hysterie um eine neue Seuche gab und nun das Klima den Rest an Panikarbeit erledigt.

Wie von einem guten Geheimdienstler zu erwarten, gibt es wenig über Herrn Gaudin zu finden. Ausser, dass unter seiner Leitung eine Atmosphäre von Sexismus, Männerbündlerei, Selbstüberschätzung und langsamem Agieren seiner Abteilung (wie die Studie einer internen Arbeitsgruppe belegt) zumindest nicht verbessert wurde.

Wir respektieren Ihre Privatsphäre, Herr Gaudin, und wünschen Ihnen viel Glück bei ihrem Wechsel in die Privatwirtschaft. Vielleicht gehen Sie zu Palantir oder einer anderen Firma, die bereit ist, der Welt – also den Firmen, den Vermögen und dem Kapital – mehr Planungssicherheit zu schenken.

Sibylle Berg lebte in Ostdeutschland, Rumänien und Tel Aviv und wohnt seit langem in der Schweiz. Sie brach wie alle Start-up-EntwicklerInnen ihr Studium (Ozeanografie) ab und entwickelte keine Plattform, sondern schreibt Bücher und Theaterstücke.