Coronaprotest: Sehnsucht nach der Opferrolle

Nr. 31 –

Vorne auf der Bühne wird vor einer bevorstehenden Diktatur gewarnt, vor Unterdrückung und Unfreiheit in der Schweiz. Als sich hinten aber eine Gruppe von AntifaschistInnen versammelt, begibt man sich unverzüglich in den sicheren Schoss der Staatsgewalt: Rasch sind die bereitstehenden PolizistInnen herbeigerufen, in deren Schutz die Antifa dann johlend beschimpft wird: «Ihr seid hier die Faschisten!»

Auf den ersten Blick scheinen die Motive der MassnahmengegnerInnen aus der ganzen Schweiz, die sich an diesem Samstagnachmittag nicht zum ersten Mal in Luzern eingefunden haben, widersprüchlich und diffus. In den Ansprachen wird mal die Existenz von Covid geleugnet, mal dessen Bedeutung heruntergespielt; mal sollen Impfungen wirkungslos sein, mal brandgefährliche Instrumente einer neuen Weltordnung. Ein gemeinsamer Nenner lässt sich aber ausmachen: Er besteht in der Sehnsucht, sich als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft in einem der reichsten Länder der Welt auf irgendeine Weise als Unterdrückte inszenieren zu dürfen.

Allzu überwältigend war der Auflauf nicht, auch wenn die Luzerner Polizei die Anzahl der Protestierenden grosszügig auf bis zu 5000 schätzt. Die geschichtsverdrehende Symbolik der selbsternannten «Bürgerrechtsbewegung» ist dennoch alarmierend: Auch diesmal waren bekannte Rechtsextremisten zugegen, und auch diesmal wurde tüchtig Holocaustverharmlosung betrieben – grossflächig mit gelben «Ungeimpft»-Sternen sowie mit Zitaten der einst von den Nazis ermordeten Anne Frank und Dietrich Bonhoeffer.

Problematisiert wurde dies aber einmal mehr weder von der Polizei noch in den Livetickern der Onlinemedien. Auf deren Blindheit auf dem rechten Auge dürfen sich die vermeintlichen Diktaturopfer noch immer verlassen.