Auf allen Kanälen: Lästige freie Medien
In Polen will die rechte PiS-Regierung einen einflussreichen und kritischen TV-Nachrichtensender kaltstellen – doch die Strategie geht nicht auf.

Der Vorgang ist so abstrus wie gefährlich: Polens rechte Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat in einem skandalumwitterten Votum des Parlamentes (Sejm) am 11. August ein Gesetz verabschiedet, das unabhängige Rundfunkmedien auslöschen soll: Das in der Öffentlichkeit informell als «Lex TVN» bezeichnete Gesetz soll Unternehmen und Konzernen mit Sitz ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) verbieten, mehr als 49 Prozent an Fernseh- und Rundfunksendern in Polen zu halten. Die vordergründige Argumentation der Regierung: Polens Medien müssen vor Investoren aus Russland, China oder den arabischen Staaten geschützt werden.
Keine US-Panzer mehr
Doch die tatsächlichen Gründe sind andere: Konkret geht es der Regierung darum, die einflussreiche und äusserst regierungskritische Senderfamilie TVN samt ihrem Nachrichtenkanal TVN24 aus dem Land zu verbannen – oder mithilfe staatlicher Unternehmen zu übernehmen.
Letztes Jahr kaufte der staatliche Ölkonzern Orlen über hundert Lokal- und Regionalzeitungen sowie Internetportale der deutschen Verlagsgruppe Passau ab – so erhielt die PiS Zugang zu über siebzehn Millionen LeserInnen. Doch an der TVN-Gruppe, die in den neunziger Jahren von einem polnischen Unternehmer gegründet wurde und inzwischen dem US-Medienkonzern Discovery gehört, beisst sich die PiS die Zähne aus. Bisher sind der PiS die Beziehungen zu den USA heilig gewesen. Von 2015 bis 2020 bestellte die PiS-Regierung US-Waffen im Wert von gut fünfzehn Milliarden US-Dollar, im Juli kündigte die Regierung an, US-Panzer im Wert von knapp sechs Milliarden US-Dollar kaufen zu wollen. Doch mit dem neuen Gesetz würden bestehende bilaterale Handelsverträge verletzt.
Die US-Regierung hat denn auch zur «Lex TVN» deutlich Stellung bezogen. Aussenminister Antony Blinken sagte, das Gesetz würde demokratische Prinzipien verletzen – laut dem polnischen Radiosender RMF, der sich auf anonyme Quellen beruft, erwägt die US-Regierung nun gar eine Blockade des besagten Panzergeschäfts. Der Discovery-Konzern selbst will gegen das Gesetz klagen, sollte es tatsächlich umgesetzt werden.
In Polen selbst ist der Widerstand gross – bei der Opposition, der Bevölkerung, die laut Umfragen mehrheitlich dagegen ist und Proteste organisierte, sowie bei Medienschaffenden. «Wenn die Regierung einen lästigen Sender verstummen lässt, wird das Gleiche mit den anderen freien Medien geschehen. Diese Schlacht darf nicht verloren werden, denn dies würde eine Niederlage des demokratischen Polen bedeuten», heisst es in einem offenen Brief von über 800 JournalistInnen.
Doch so weit wird es wohl nicht kommen. Denn schon jetzt führte die Verabschiedung des Gesetzes zum Bruch der Regierungskoalition der Vereinten Rechten. Die PiS regierte bisher mit den zwei Kleinparteien Solidarna Polska und Porozumienie. Letztere wird vom ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Jaroslaw Gowin geführt. Dieser sagte Nein zum Mediengesetz und wurde aus der Regierung geworfen. Zwar kann die PiS die voraussichtliche Blockade der von der Opposition dominierten zweiten Kammer (Senat) mit einer absoluten Mehrheit im Sejm womöglich brechen. Doch für ein Inkrafttreten des Gesetzes braucht es die Unterschrift von Staatspräsident Andrzej Duda. Der entstammt zwar der PiS und gilt als treuer Schosshund. Doch er deutete am Sonntag ein Veto an. Um dieses zu überstimmen, bräuchte die PiS eine Dreifünftelmehrheit im Sejm – die ist kaum möglich.
Die Regierungsmehrheit ist dahin
Vieles deutet auf ein Scheitern der «Lex TVN» hin – was die PiS-PolitikerInnen nicht zu kümmern scheint. Anonym sagten sie der Tageszeitung «Rzeczpospolita», man wolle den WählerInnen mit dem Vorstoss vor allem signalisieren, dass die Partei noch grosse Ziele habe und Mut, diese in Angriff zu nehmen. «Unabhängig davon, was weiter passiert und wie Duda entscheiden wird, ist dieses Ziel bereits erreicht», so ein PiS-Abgeordneter.
Ob die Strategie schliesslich aufgeht, ist fraglich: Durch die Turbulenzen um die «Lex TVN» ist die bisher ohnehin knappe Regierungsmehrheit dahin, vorgezogene Neuwahlen (eigentlicher Termin: Herbst 2023) sind wahrscheinlicher denn je, und ihr Ausgang ist offen. Die Tragik aus Sicht der Menschen im Land ist jedoch: Die autokratischen Machenschaften werden immer brutaler und die politischen Strukturen immer korrupter.