Film «I’m Thinking of Ending Things»: Auf Geisterfahrt durchs eigene Leben
Rendez-vous mit den Schwiegereltern: Im neuen Film von Autor und Regisseur Charlie Kaufman («Being John Malkovich») fährt ein verliebtes Paar ins Nirgendwo. Unheimlich abgedreht, fast bis zum Schluss.
Flap-flap, flap-flap. So tönt das pausenlos auf der Tonspur, zuerst geschlagene zwanzig Minuten lang auf der Hinfahrt, später dann nochmals, als die Fahrt durch die Nacht weitergeht. Flap-flap, so machen die Scheibenwischer, während sich Jake (Jesse Plemons) mit seinem Auto durchs winterliche Schneegestöber kämpft, das immer stürmischer und frostiger wird, auf dem Weg zur Farm seiner Eltern, irgendwo im mittleren Nirgendwo. Neben ihm im Auto sitzt seine Freundin (Jessie Buckley), die er seinen Eltern vorstellen will, aber unterwegs zu diesen kommt es einem mit der Zeit vor, als liessen die Scheibenwischer auch die Frau nicht unberührt.
Flap-flap: Wie der Schnee auf der Windschutzscheibe scheint auch das Profil der Freundin immer wieder wie weggewischt. Sagte sie nicht eben noch, sie heisse Lucy? Wieso heisst sie später dann Louisa, oder Lucia? Ist sie jetzt Physikerin oder doch Lyrikerin? Oder hat sie das verstörende Gedicht, das sie im Auto für ihren Freund aufsagt, nur nebenbei geschrieben?
Dieses beunruhigende Spiel mit gleitenden Identitäten ist nicht weiter erstaunlich, schliesslich sind wir hier im neuen Film von Charlie Kaufman. Fast jedes seiner Drehbücher kreiste bislang um eine mehr oder weniger surreal verdrehte Identitätskrise: Ein Marionettenspieler landet buchstäblich im Kopf von John Malkovich («Being John Malkovich»), ein Autor namens Charlie Kaufman schlägt sich mit einem neuen Drehbuch und einem lästigen Zwillingsbruder herum («Adaptation»), und ein Theaterregisseur verliert sich in seiner Kunst, als er sein eigenes Leben im Massstab eins zu eins als gigantisch verspiegeltes Bühnenstück inszeniert («Synecdoche, New York»). Meist sind es Künstler, die sich bei Kaufman in solchen egozentrischen Schlaufen verheddern, immer waren es Männer. Bis jetzt.
Schluss machen oder nicht?
Jetzt ist es die famose Jessie Buckley («Chernobyl»), die als Lucy oder Louisa oder Lucia nicht so recht zu wissen scheint, wer sie eigentlich ist, oder auch, was sie überhaupt an ihrem Freund Jake findet. Ihre Erzählstimme schwebt über dem ganzen Film: «I’m thinking of ending things», so geistert es immer wieder wie ein Mantra durch ihren Kopf, und das Seltsame daran ist, dass Jake das auch irgendwie aufgeschnappt hat. Dabei hat sie das doch gar nicht wirklich ausgesprochen, dass sie sich überlegt, Schluss zu machen. Irgendwie unheimlich, aber man könnte es auch romantisch lesen: als Zeichen einer tiefen Verbindung zwischen den beiden, dass sie einander eben auch ohne Worte verstehen, wie sie da nebeneinander im Auto sitzen.
Zwei Menschen im Auto, draussen nichts als eisige Gleichförmigkeit und vielleicht mal eine gespenstische Kinderschaukel neben der Strasse: Ungemein virtuos, wie der polnische Kameramann Lukasz Zal («Cold War») diese schier endlose Fahrt ins Bild setzt. Dabei bricht er die Zwiegespräche der beiden im Innern immer wieder mit einem Blick von aussen, getrübt durch die Windschutzscheibe. Flap-flap. Ungemein virtuos auch, wie Jessie Buckley und Jesse Plemons dieses Paar spielen, in seiner unbehaglichen Intimität, in seinem merkwürdigen Mischverhältnis aus Nähe und Fremdheit.
Die Zeit spielt verrückt
Bei der Ankunft im Elternhaus scheint dann alles auf blanken Horror angelegt: leerer Schweinestall, zwei erfrorene Lämmer am Boden. Und drinnen im Haus warten Toni Collette als beängstigend überemotionale Mutter und David Thewlis als grenzdebiler Vater, zwei irre Karikaturen. Aber nichts passiert, nur dass die Zeit hier irgendwie nachhaltig aus den Fugen gerät. Die Alten sind plötzlich sehr alt, dann wieder nicht. Und immer wieder mal ein greiser Hausmeister, der durch leere Schulhausgänge schlurft. Was ist hier los?
Das muss man sich vielleicht etwas mühselig selber zusammenreimen – aber man versteht dann sehr gut, was Charlie Kaufman, diesen abgedrehten Analytiker der Liebe, am gleichnamigen Romandebüt von Iain Reid reizte, das er hier verfilmt hat. Was man nicht versteht: Wie es passieren konnte, dass Kaufman den Schluss derart verpatzt (Tanz! Musical! Schultheater!). Bis dahin aber erscheint «I’m Thinking of Ending Things» wie eine Umkehrung dessen, was Kaufman und Michel Gondry in ihrem surrealen Liebesfilm «Eternal Sunshine of the Spotless Mind» (2004) auf so kongeniale Weise durchgespielt hatten: Ging es dort um die romantische Fantasie einer erkalteten Liebe, die nochmals neu anfangen will, sieht man hier nun die unromantische Fantasie einer Liebe, die nie wirklich begonnen hat.
Wir meinen ja immer, dass wir uns im Leben durch die Zeit bewegen, sagt die Freundin an einer Stelle; dabei sei es womöglich gerade umgekehrt: Wir stehen still, und die Zeit geht durch uns hindurch. Ein Satz, der die gängige Wahrnehmung auf poetische Weise umdreht – aber wenn man hier den Verhältnissen der Figuren zueinander einmal auf die Schliche gekommen ist, entfaltet diese Bemerkung unversehens eine bodenlose Tragik. Bloss zeigt sich dann auch, dass diese Geschichte von Anfang an auf den ältesten Stereotypen gebaut ist, was Mann und Frau, Fantasie und Begehren angeht. Denn so extrem faszinierend diese schillernde, unfassbare Freundin als Figur auch ist, so bleibt Charlie Kaufman letztlich doch wieder ganz bei sich: Immer sind es die Männer, die sich in ihren egozentrischen Schlaufen verheddern.
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I’m Thinking of Ending Things. Regie und Drehbuch: Charlie Kaufman. USA 2020