Klimapolitik: Dramatische Lage, gemütlicher Ton

Nr. 33 –

In der Schweizer Klimapolitik hat ein neuer Fatalismus Einzug gehalten. Die Ambitionen sind bescheiden, auch auf linker Seite.

Ob ihn Gletscherinitiative oder Gegenvorschlag noch retten können? Aussicht vom Eggishorn auf den Aletschgletscher. Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone

Wie sich die Wirklichkeiten unterscheiden. Der Weltklimarat (IPCC) zeigt in seinem jüngsten Bericht, wie wenig Zeit geblieben ist, um die Temperaturerwärmung abzubremsen. Gelingt das nicht, kommt es zu unumkehrbaren Veränderungen im Klimasystem mit katastrophalen Folgen für die Welt. Den Bundesrat kümmert das nicht sonderlich.

«Beunruhigend» nennt Umweltministerin Simonetta Sommaruga die Befunde der WissenschaftlerInnen. Weiter würdigt sie den IPCC-Bericht nicht, als sie die Haltung der Regierung zur Gletscherinitiative vorstellt. Von einer Beunruhigung ist auch nichts zu spüren. Zwar will auch der Bundesrat in die Verfassung schreiben, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein muss. Aber von der einzigen griffigen Massnahme der Initiative, einem Verbot von fossilen Brennstoffen bis 2050, will er nichts wissen.

Lodernde Wälder, Landschaften, die in Fluten versinken, dramatische Prognosen – und in Bundesbern übt man sich in Genügsamkeit. Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen Partei, sagt im Radio SRF, ob die Temperatur auf der Welt um 1,5 oder 1,8 Grad ansteige, sei nicht entscheidend. Dabei sagen KlimaforscherInnen, dass jedes Zehntelgrad mehr ein neues Level an Veränderungen bedeute.

Bizarres passiert in Bern

Grossen diffamiert die Klimabewegung, spricht von einer «Rückkehr in die Höhle», die die Bewegung fordere. Dabei sei die notwendige Umstellung doch eine «total positive Sache», Beschränkungen einzufordern der falsche Weg. Eigenverantwortung funktioniere, behauptet Grossen. Er kenne jede Menge Leute, die heute weniger materialistisch denken und handeln würden als früher. Gefühlte Wahrheiten als Leitfaden für die grünliberale Klimapolitik.

Bizarres passiert in Bern. Je schwieriger die Lage ist, desto gemütlicher wirkt der Ton. Zurückzuführen ist das auf den 13. Juni 2021, als eine Mehrheit von 51,6 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung das neue CO2-Gesetz verwarf. Ein Gesetz, das mit Lenkungsabgaben statt harten Eingriffen und grossen Investitionen die Klimakrise angehen wollte. Ein Gesetz, das ganz nach den Vorstellungen der Grünliberalen ausgestaltet war.

Aber die Verunsicherung nach dem 13. Juni ist auch auf der linken Seite zu spüren. «Das CO2-Gesetz war die erste Phase, die wir zünden wollten, jetzt hätte es dringend eine zweite gebraucht», sagt Balthasar Glättli, Präsident der Grünen. Und jetzt steht die Klimarakete immer noch auf der Startrampe. Nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes war viel von neuen Initiativen zu hören, zur Ökologisierung des Finanzplatzes etwa. Jetzt erst recht!, hiess die Losung. Nun, zwei Monate später, ist die Stimmung eine andere. Zwar hofft Glättli, dass die Dringlichkeit des IPCC-Berichts auch in Bundesbern ankommt. Gleichzeitig fordert er aber, dass das Parlament möglichst viele einzelne Massnahmen auf dem Gesetzesweg beschliesst und zumindest rasch rettet, was zu retten ist.

Auch die Gletscherinitiative bietet sich dafür an. Das Parlament kann einen indirekten Gegenvorschlag beschliessen. Scheitert dieser an der Urne, käme immer noch die Initiative zur Abstimmung. «Mobilität muss rein», sagt Glättli, «auch der Finanzplatz wäre wichtig.» Er fordert einen strengen Absenkungspfad bei den Emissionen, die von neu zugelassenen Fahrzeugen ausgestossen werden. Das wäre ein Weg hin zu einem Zulassungsverbot von Autos mit Verbrennungsmotoren, wie es die EU-Kommission ab 2035 verlangt. Ein Anliegen, das bisher scheiterte: «Wir forderten schon 2017 ein solches Verbot für 2025, dann für 2030 und nun erneut schon für 2023. Der zweite Vorstoss hatte immerhin einige Unterschriften von Grünliberalen und BDP.»

Im Schritttempo zum Ziel

Der Bundesrat selber will nun die Richtung vorgeben, wie der indirekte Gegenvorschlag ausgestaltet wird. Umweltministerin Sommaruga führt dazu derzeit Gespräche mit den GegnerInnen des CO2-Gesetzes, der SVP und der Erdöllobby. Mit kleinen Kompromissen zum grossen Ziel, kann das funktionieren?

Von harten Massnahmen ist jedenfalls nicht mehr viel zu hören. Die Idee, die im Berner Politbetrieb skizziert wird, ist die eines Umbaus, der ohne tiefe Einschnitte auf persönlicher Ebene geschehen wird. Dabei fragt Glättli zu Recht, ob alle Irrtümer der Vergangenheit kopiert werden müssten: «Die Züriberg-Panzer sind eine totale Fehlentwicklung. Auch wenn die zweieinhalb Tonnen schweren SUVs einen Elektroantrieb haben.» Doch solche Gedanken finden keinen Eingang mehr in die Debatte. Die Zeit der Reflexion, der grossen gesellschaftlichen Auseinandersetzung über unsere Lebensweise scheint vorbei. Der politische Fatalismus hat Einzug gehalten, zu schwer lasten der Handlungsdruck und die Angst vor einem erneuten Absturz an der Urne.

Was nicht mehrheitsfähig erscheint, wird gar nicht erst angegangen. Oder aufgeschoben. Die neue Klimastrategie der SP zeigt das deutlich auf. Roger Nordmann, Fraktionschef der SozialdemokratInnen, skizziert, wie es gehen soll. Er will kleinere Pakete schnüren, für jeden Sektor eines.

Zunächst einmal soll die Gebäudesanierung drankommen. Über schlecht isolierte Häuser geht viel Energie verloren, Ölheizungen befeuern den Klimawandel. Über eine Million Gebäude in der Schweiz gelten als dringend sanierungsbedürftig, ein Drittel aller CO2-Emissionen wird vom Gebäudepark verursacht. Nordmann fordert zehn Milliarden Franken Zuschüsse an ein ausgebautes Förderprogramm, damit HausbesitzerInnen ihre Liegenschaften sanieren. Massiv davon profitieren würde das Gewerbe, was das Projekt mehrheitsfähig macht. Die Probleme liegen eher beim MieterInnenschutz, weshalb Nordmann Regeln für etappiertes Sanieren vorschlägt und eine Koppelung der neuen Fördergelder an ein Einfrieren der Mieten.

Nach den Gebäuden soll die Mobilität drankommen – mit strengeren Importvorschriften, damit Autohändler ihr Angebot endlich umstellen. Danach die Industrie, die Fliegerei, das grenzüberschreitende Bahnnetz und schliesslich der Finanzplatz. Aber die Frage bleibt, ob es dafür Mehrheiten gibt.

Die FDP unter dem designierten Präsidenten Thierry Burkart muss ihre Haltung in der Klimapolitik neu definieren. Rechtsausleger Burkart war entgegen der Parteimeinung erklärter Gegner des CO2-Gesetzes. Nordmann ist dennoch zuversichtlich, dass Mitte-rechts mitzieht: «Sie haben ja keine eigenen Rezepte mehr.» Fraglich ist auch, ob mit diesem Vorgehen die Klimaziele erreicht werden können. Roger Nordmann sagt: «Ich befürchte, dass wir es nicht schaffen.» Politische Alternativen zu diesem Vorwärtstasten sieht er aber keine. Es könne nur Schritt für Schritt gehen, diese Analyse teilt er mit dem Grünen Glättli und dem Grünliberalen Grossen.

Spaltung der progressiven Kräfte?

Nur ein kleiner Schritt ist eigentlich auch die Gletscherinitiative, an deren Alternativen jetzt alle politischen Kräfte emsig herumwerkeln. Myriam Roth, Ko-Initiantin, ist irritiert: «Wir fordern doch nicht viel.» Mit der Initiative solle nur das Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden – ein Abkommen, das 2017 vom Parlament ratifiziert wurde. Von linker Seite erfahren Roth und ihr Komitee viel Kritik. 2050 sei als Zieljahr viel zu weit weg, die Schweiz müsse früher klimaneutral werden. Ob sich etwa die Klimajugend hinter die Initiative stellt, ist ungewiss. «Das ist eine spannende Frage», sagt Roth. Sie befürchtet eine Spaltung jener Kräfte, die engagiert gegen die Klimakrise kämpfen. «Wir sind Teil der gleichen Bewegung. Wir hoffen, Bewegungen zusammenzubringen, die sich für mehr Klimaschutz engagieren. Brücken bauen, nicht Kräfte trennen.»

Grünenpräsident Balthasar Glättli glaubt, die Gletscherinitiative habe reale Chancen an der Urne, sie könne ein gutes Druckmittel für griffige Massnahmen sein. Er fordert: «Wir müssen zeigen, dass wir noch etwas im Köcher haben.» Er weiss: Scheitert die Initiative, wird es schwer, dem neuen politischen Fatalismus in Bern etwas entgegenzusetzen.