Stadt Bern: Hauptsache, die Kasse stimmt

Nr. 33 –

Die linke Berner Stadtregierung will in schwierigen Zeiten sparen. Dabei nimmt sie auch einen Abbau bei der Bildung und im Sozialbereich in Kauf.

«Dass die Stadt bei den Kindern sparen will, macht mich hässig und enttäuscht mich», sagt Tobias Ulrich. Zusammen mit seiner Kollegin Melanie Steinegger führt er die Fachstelle Familienergänzende Betreuungsangebote. Im Vorjahr haben die beiden ihre Tätigkeit an einer Stadtberner Tagesschule gekündigt, weil es an Ressourcen gemangelt habe. «Für die Stadt hat die Kinderbetreuung keine Priorität», sagt Ulrich. Dass nun der Betreuungsschlüssel in den Tagesstätten verschlechtert werden solle, zeige erneut, dass die Stadt nicht in Kinder- und frühkindliche Betreuung investieren wolle, sagt Steinegger. «Das wird sich mittel- und langfristig rächen: für die Kinder, aber auch für die Gesellschaft und die Stadtkasse.»

Die geplante Kürzung in den Tagesstätten ist Teil eines mehrjährigen Spar- und Sanierungsprogramms der Berner Stadtregierung – und die zweite Sparrunde innert eines Jahres. Die linke Exekutive – vier der fünf Sitze sind in der Hand der rot-grünen Parteien – will mit dem neuen Sparpaket die Stadtkasse pro Jahr um bis zu fünfzig Millionen Franken entlasten. 238 Stellen sollen dafür gestrichen werden. Laut Regierung kommt es dabei zu keinen Entlassungen. Andere Einsparungen will sie durch «Effizienzsteigerungen» erzielen. Doch in vielen Bereichen sind auch Leistungskürzungen oder Kostenerhöhungen vorgesehen: Unter anderem sollen niederschwellige Kulturorte geschlossen, bisher kostenlos nutzbare Schwimmbäder an Private verpachtet, eine Feuerwehr-Ersatzabgabe eingeführt oder die Quartierarbeit reduziert werden. Im September kommt die Vorlage ins Stadtparlament.

«Bürgerliche Finanzpolitik»

Speziell in den Bereichen Bildung und Soziales werden die Konsequenzen unmittelbar spürbar sein. So soll beispielsweise auf ein Präventionsprojekt gegen häusliche Gewalt teilweise verzichtet werden. Und obwohl die Zahl der SchülerInnen steigt, will die Regierung auf einen vom Stadtparlament geforderten Ausbau verzichten. «Ich finde es falsch, wenn die Stadt Bern in der Bildung diese Richtung einschlägt», sagt der Präsident der städtischen Volksschulkonferenz, Markus Heinzer. Die Sparmassnahmen lösten an den überlasteten Schulen grosse Ängste aus. «Damit wird signalisiert, dass auf längere Sicht keine zusätzlichen Ressourcen zu erwarten sind und sogar ein Abbau droht.» So werde es künftig noch schwieriger, motivierte Lehrkräfte und SchulleiterInnen zu finden. «Dass die linke Stadt Bern so handelt, ist irritierend», sagt die Sozialarbeiterin Melanie Steinegger dazu.

«Die Stadt Bern wird das Label ‹linkste Stadt der Schweiz› gerade auch wegen der sorgfältigen Finanzpolitik behalten», sagt der städtische Finanzvorsteher Michael Aebersold (SP). Man habe in den letzten Jahren «mehr investiert als je zuvor». Auch in den kommenden Jahren seien «sehr hohe Investitionen geplant», dafür nehme man bewusst eine Neuverschuldung mit Fremdkapital in Kauf. «Eine rot-grüne Stadtpolitik» sei aber nur mit einer «nachhaltigen Finanzpolitik» möglich. Dass er damit Sparen bei den laufenden Aufgaben meint, macht Aebersold seit dem Jahresabschluss 2019 immer wieder deutlich.

Damals fielen die Steuereinnahmen um knapp sechs Prozent tiefer aus als budgetiert. Bereits 2020 stiegen die Steuereinnahmen aber wieder deutlich an, waren sogar rekordhoch. Und trotz Mehrausgaben wegen der Coronapandemie hätte ohne einmalige Abschreibungen auch ohne Sparmassnahmen ein Überschuss resultiert, sagt Rahel Ruch. Die Kopräsidentin des Grünen Bündnisses stört sich daran, «dass Aebersold gleichwohl von einem ‹strukturellen Problem› spricht, das es mit einer Sparrunde zu lösen gelte». Sie wirft der Regierung vor, «alarmistisch zu kommunizieren und pessimistische Budgets zu erstellen». Sie verwende eine «neoliberale Rhetorik» und mache eine «bürgerliche Finanzpolitik», die unweigerlich in Sozialabbau münde. Damit würden grundlegende linke Werte verletzt.

Eine besonders mutige linke Politik machte die links dominierte Stadtregierung bereits vor den aktuellen Sparrunden nicht (siehe WOZ Nr. 48/2020 ). Beim Sparen geht sie aber engagiert ans Werk. Das zeigte sich auch am letzten Wochenende. Die Kunstszene organisierte ein Protestfest gegen die Budgetkürzungen. Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) war als Podiumsteilnehmer eingeladen. Alle müssten sparen, auch die Kultur, sagte er. Denn wo kein Geld sei, könne auch keines fliessen. Wie die Berner Tageszeitung «Bund» berichtet, blieb der Beifall aus dem Publikum gänzlich aus. Von Graffenrieds Antwort in die Stille: «Ich applaudiere mir selber.»

Tiefsteuerträume

Als sich die linken Parteien 1992 in der Stadt Bern die Regierungsmehrheit sicherten, erbten sie von den Bürgerlichen einen enormen Schuldenberg. Erst 2001 verfügte die Stadt wieder über Eigenkapital. Tendenz damals: steigend. Doch 2011 beschloss eine Mitte-rechts-Mehrheit im Stadtparlament, dass es eine Steuersenkung geben soll, falls das Eigenkapital den Wert von 100 Millionen Franken überschreitet. Die Vorgabe wurde 2017 zwar abgeschrieben, hat aber dazu beigetragen, dass die Stadt nur bedingt Eigenkapital gebildet hat. Um eine Steuersenkung zu vermeiden, wurden Überschüsse in zweckgebundene «Sonderkässeli» gesteckt. Nun fehlen diese als allgemein verwendbare Eigenmittel. Ende 2020 betrug die Reserve noch 76 Millionen Franken – die gemäss den Prognosen der Regierung trotz Sparmassnahmen bald aufgebraucht sind. Aebersold will dies vermeiden. Denn Berner Gemeinden mit einem sogenannten Bilanzfehlbetrag riskieren mittelfristig eine Intervention durch den Kanton. Für Rahel Ruch ist dieses Risiko aufgrund längerer Vorlaufzeiten derzeit tragbar: «Viel problematischer ist es, in der aktuellen Coronakrise zu sparen.»

In der SP-Fraktion werde der Sparbedarf nicht grundsätzlich bestritten, sagt derweil der SP-Finanzpolitiker Michael Sutter. «Es hat durchaus Sparmassnahmen dabei, welche die Lebensqualität und die sozialen Angebote kaum einschränken.» Einen Abbau in der Bildung und im Sozialbereich werde die SP im Parlament aber bekämpfen. Und während die Stadtregierung eine Steuererhöhung ausschliesst, will Sutter über eine solche diskutieren. Zumindest dann, wenn sich die finanzielle Situation im kommenden Jahr nicht verbessert hat. Und falls sich die Finanzlage entspannt? «Dann werden wir auch Sparmassnahmen überdenken müssen», sagt Sutter.

Beschränkter Handlungsspielraum

Gerade aus linker Sicht dürfe auch eine Steuererhöhung «kein Tabu» sein, findet auch der Ökonom Hans Baumann. Denn der finanzielle Handlungsspielraum von Städten sei beschränkt. Auch seien die Folgen der Unternehmenssteuerreform für die Städte noch nicht abschätzbar. Eine gewisse Vorsicht bei der städtischen Finanzplanung sei daher nachvollziehbar. Unverständlich sei für ihn aber, dass die bernische Exekutive keine Alternativen suche. «So ist es temporär durchaus auch eine Option, die ganzen Investitionen oder sogar laufende Ausgaben mit Drittmitteln zu finanzieren.»

«In der Schweiz gibt es eine lange Tradition einer zyklischen Finanzpolitik, in der selbst in Krisen gespart wird», sagt Thomas Göttin, der die Stadtberner Finanzpolitik als SP-Politiker längere Zeit mitprägte. Dass die Stadt das nun ebenso macht, stimmt ihn nachdenklich: «Ich persönlich halte das nach wie vor für falsch.» Wenn Staaten oder Städte mit drohenden Defiziten und Milchbüechlirechnungen argumentierten, sei dies häufig ein Vorwand für eine restriktive Austeritätspolitik.