Finanzpolitik: Fatale Sparneurose
Der Verteilkampf um die Bundesgelder spitzt sich zu, er wird die kommenden Jahre politisch prägen. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie handlungsfähig der Staat sein soll. Eine Auslegeordnung.
Die Ankündigung ist eigentlich lächerlich. Ausgerechnet die Armee, deren Budget im nächsten Jahrzehnt von heute 5,5 Milliarden Franken auf fast 11 Milliarden Franken verdoppelt werden soll, klagt über Geldsorgen. Und kündigte letzten Freitag an, auf zwei geplante öffentliche Grossanlässe – «Air Spirit 24» (Luftwaffe) und «Defense 25» (Bodentruppen) – zu verzichten.
«Die Armee ist finanziell sehr belastet», durfte Armeechef Thomas Süssli in einem rührseligen SRF-Interview klagen. Das gipfelte in der Aussage, ein Grund für die Streichung der öffentlichen Anlässe seien «massiv gestiegene Betriebsausgaben», die erst am letzten Mittwoch bemerkt worden seien. Sollte das so stimmen, sind ernsthafte Zweifel an den buchhalterischen Kompetenzen der Armeeführung angebracht.
Plausibler ist eine andere Erklärung für das Vorgehen: Die Armeeführung bringt sich in Stellung für den sich zuspitzenden Verteilkampf um Bundesgelder und instrumentalisiert ihre populären Propagandashows, um sich in der Öffentlichkeit als sparsam und zugleich finanziell ausgeblutet darzustellen.
Mit Sparprogramm gegen Klimakrise
Weit gravierender als das perfide Armeemanöver war ein Beschluss des Bundesrats von letzter Woche – zur «Bereinigung des Budgets 2025». Dieser soll ein drohendes Haushaltsdefizit von über 2,5 Milliarden Franken verhindern. Konkret will der Bundesrat Kosten im Asylbereich, bei der Arbeitslosenversicherung, beim Bahninfrastrukturfonds, bei der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) und der Kinderbetreuung einsparen.
Karin Keller-Sutter (FDP) verkörpert als Finanzministerin wie niemand sonst diesen asozialen Sparkurs. Besonders aufschlussreich war diesbezüglich ein längeres Interview, das kürzlich in der «NZZ am Sonntag» erschien. Darin warnte Keller-Sutter eindringlich vor der Verschuldung als «Gefahr für die Welt», die zu «Wohlstandsverlust und damit einhergehend politischer Instabilität und sozialen Unruhen» führen könne. Zugleich pries sie – zum wiederholten Male – die Schuldenbremse als finanzpolitisches Allheilmittel, dank dessen der Bund in der Lage gewesen sei, den Menschen während der Coronakrise «mit Milliarden unter die Arme zu greifen». Schliesslich kündigte sie an, «eine Aufgaben- und Subventionsüberprüfung durch externe Personen mit Verwaltungswissen» zu beantragen, und verwies explizit auf «Transferleistungen an Kantone, Sozialversicherungen, die SBB, die ETH und viele andere».
Das Interview offenbart die simple Programmatik der Finanzpolitik von Keller-Sutter anschaulich: Auf keinen Fall Schulden machen und so wenig Geld wie nur möglich ausgeben. Das bedeutet in der Konsequenz, dass unsere Finanzministerin das Klimadesaster, das ohne einschneidende Massnahmen und ohne eine Transformation unseres Energie- und gesamten Wirtschaftssystems immer existenzbedrohender wird, allen Ernstes mit Sparprogrammen bewältigen will. Und dass sie auf diesem Weg sowohl im Bundesrat wie auch im Parlament von der jeweiligen bürgerlichen Mehrheit kritiklos unterstützt wird.
Absurd tiefe Schulden
Nebenbei liegt Keller-Sutter mit ihrer Aussage zur Schuldenbremse falsch. Die staatlichen Milliardenhilfen während der Coronakrise waren nicht dank, sondern trotz der Schuldenbremse möglich. Diese steht seit 2001 in der Verfassung und verpflichtet den Staat, «seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht zu halten». Dies im Hinblick darauf, den kommenden Generationen keine hohen Schulden zu überlassen und so ihren Handlungsspielraum zu bewahren.
Das klingt nach einer sinnvollen Massnahme, und das wäre sie auch, wenn sie wie ein Sparschwein funktionieren würde, so wie das Keller-Sutter suggeriert. Heisst: Wenn der Staat Überschüsse verzeichnet, wie das in der Schweiz bis zur Coronakrise über Jahre hinweg der Fall war, legt er diese zur Seite, um im Bedarfsfall darauf zurückgreifen zu können. Aber so kommt die Schuldenbremse gerade nicht zum Einsatz. Vielmehr werden die Überschüsse zwingend für den Abbau der Schweizer Staatsschulden verwendet, die im internationalen Vergleich geradezu absurd tief sind. Die Schuldenbremse ist also keineswegs ein Sparinstrument für zukünftige Herausforderungen. Dass der Bund während der Coronakrise zusätzliche Milliarden ausgeben konnte, liegt an einer Ausnahmebestimmung, die «in aussergewöhnlichen und vom Bund nicht steuerbaren Situationen – beispielsweise schweren Rezessionen oder Naturkatastrophen – zusätzliche, ausserordentliche Ausgaben» ermöglicht.
Lange Zeit blieb es rund um die Schuldenbremse und deren Ausgestaltung als Instrument des Schuldenabbaus ruhig. Mit dem sich jetzt zuspitzenden Verteilungskampf um die öffentlichen Gelder rückt sie aber endlich in den Fokus der links-grünen Parteien. Sarah Wyss und Cédric Wermuth von der SP forderten Mitte Januar in einem «Tages-Anzeiger»-Gastbeitrag eine Reform: Angehäufte Überschüsse sollen künftig «für Investitionen in Gleichstellung, Klimawende und Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung» verwendet werden. Und letzte Woche kündigte der Solothurner Grünen-Nationalrat Felix Wettstein gleich drei parlamentarische Vorstösse an, um den bisher extrem eingeschränkten Handlungsspielraum bei der Umsetzung der Schuldenbremse zu lockern und «Investitionen in die Zukunft» zu ermöglichen.
Fokus auf die Einnahmenseite
Die links-grünen Interventionen gegen die Schuldenbremse sind wichtig. Auch weil sie zur Aufklärung des Mechanismus und der Auswirkungen der «Zukunftsbremse» beitragen. Dominik Gross, Spezialist für Finanz- und Steuerpolitik der NGO Alliance Sud, weist darüber hinaus auf die globale finanzpolitische Dimension hin: «Letztlich zahlt wieder einmal auch der Globale Süden für den bürgerlichen Schuldenbremsenwahn», sagt er. «Weil der Bundesrat die Ukrainehilfe schuldenbremsenkonform mit Entwicklungshilfegeldern finanzieren will, gibts weniger Geld für den Süden. Den überflüssigen Schuldenabbau der letzten zehn Jahre hat der Bund auch mit Steuereinnahmen aus Gewinnverschiebungen von multinationalen Konzernen finanziert».
Und er weist darauf hin, dass es nicht nur die Seite der Staatsausgaben gebe, sondern auch jene der -einnahmen. «Wahrscheinlich ist dort sogar mehr zu holen für das links-grüne Lager», sagt Gross. Die Schuldenbremse sei ein relativ komplexes finanzpolitisches Instrument, das der Bevölkerung nur schwierig zu vermitteln sei. «Die Abschaffung des inländischen Bankgeheimnisses oder eine Erhöhung der Vermögenssteuern, die beide mehr Staatseinnahmen bedeuten würden, sind auf jeden Fall prüfenswerte Optionen, um den Staat finanzpolitisch handlungsfähiger zu machen», findet er.