LeserInnenbriefe

Nr. 34 –

Weltoffen und gemeinschaftsorientiert

«Uster: Mitreden gegen die Klimakrise», WOZ Nr. 28/2021 , und «Extinction Rebellion: Ungehorsam ist berechtigt», WOZ Nr. 25/2021

Es erfreut, dass die WOZ in den beiden Ausgaben BürgerInnenversammlungen thematisiert. Auch wir von Citizens’ Democracy setzen uns dafür ein, dass unsere repräsentative Demokratie mit deliberativen Elementen in verschiedenen Formen ergänzt wird. Die Autorin von «Ungehorsam ist berechtigt» schreibt, dass «die Idee, dass einfache BürgerInnen automatisch für das Allgemeinwohl stimmen würden, […] simplifizierend» und «anschlussfähig für rechte Positionen» sei. Empirische Befunde zu deliberativen Settings in den letzten 25 Jahren zeigen allerdings deutlich auf, dass Deliberation tendenziell weltoffenere und gemeinschaftsorientierte Wertvorstellungen begünstigt.

In «citizens’ assemblies» durchlaufen Teilnehmende während einer längeren Zeitspanne unter professioneller und neutraler Moderation einen Lern- und Austauschprozess, um fundierte Empfehlungen für politische Entscheidungsträger zu entwickeln. Studien zeigen, dass durch diesen Prozess andere Positionen respektiert werden und individualistische oder gar nationalistische Argumente zugunsten von Gefühlen der Gemeinsamkeit und des gegenseitigen Vertrauens in den Hintergrund rücken.

Wie im Artikel «Mitreden gegen die Klimakrise» beschrieben, muss für das Funktionieren von BürgerInnenversammlungen von den politischen EntscheidungsträgerInnen bereits im Vorfeld ein klares Bekenntnis vorliegen, die erarbeiteten Vorschläge auch wirklich in den Gesetzgebungsprozess aufzunehmen. Für die Akzeptanz in der breiten Bevölkerung ist es auch wichtig, dass zivilgesellschaftliche Gruppierungen in die Durchführung von BürgerInnenversammlungen eingebunden werden.

Auch wenn von «citizens’ assemblies» erarbeitete Vorschläge momentan vielleicht noch ungenügend den Weg in die institutionelle Politik finden, darf auch der langfristige Impact nicht ausser Acht gelassen werden: So gibt es zum Beispiel in Regionen Belgiens seit letztem Jahr permanente deliberative BürgerInnenräte.

Rafael Widmer, Citizens’ Democracy, per E-Mail

Dieser oder jener Glaube

«LeserInnenbriefe: Überhöhung des Individualismus», WOZ Nr. 33/2021

Es gibt tatsächlich Menschen, die glauben, dass der Mensch (und jedes andere Lebewesen) mehr ist als ein etwas komplizierter chemischer, DNA-gesteuerter Mechanismus. Wer hingegen an das Mechanismusmodell glaubt (auch dies ist ein Glaube!), sieht sich selber als rational, jene als irrational. Nur ist es eben dieselbe Rationalität, die uns sowohl mit fabelhaften Erfolgen zum Beispiel eine industrielle Landwirtschaft als auch eine Umweltkatastrophe eingebrockt hat – während die «Irrationalen» vor hundert Jahren eine ökologische Landwirtschaft zu erproben begannen. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die Naturwissenschaften wichtige Entdeckungen machten, dass aber die Umsetzung ebenso oft zu kurz griff und zu Problemen führte. Es ist schön, wenn man der Wissenschaft grenzenloses Vertrauen entgegenzubringen vermag. Erblinden sollte man dabei nicht. Die «Rationalen» (wie der Leserbriefschreiber in der letzten Ausgabe) sollten deshalb nicht allzu moralisierend auftreten, wenn sie Impfskeptiker vor sich haben. Es könnte sich ja noch erweisen, dass auch die jetzt gängigen Impfungen zu kurz greifen und zu Problemen führen.

Matthias Wiesmann, Frauenfeld (geimpft)

Jetzt handeln

«Klimareport: Netto null – und zwar subito!», WOZ Nr. 32/2021

Genauso entschlossen wie in der Coronapandemie müsse die Schweiz handeln, um die Klimaerhitzung zu bekämpfen, heisst es in Ihrem Leitartikel. Doch drei Tage nachdem das IPCC Alarm wegen des Zustands unseres Planeten geschlagen hat, ist weder eine ausserordentliche Bundesratssitzung noch eine Medienkonferenz zur Klimakrise in Sicht. Der Bundesrat stellt stattdessen seinen Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative vor. Und verzichtet darin auf ein Verbot von fossilen Energien bis 2050.

Wir stehen vor einem noch nie da gewesenen planetarischen Notfall. Und die Politik versagt, uns zu schützen. Nur sagen, dass es subito netto null braucht, reicht offensichtlich nicht. Was braucht es also? Uns alle. Menschen wie dich und mich, die sich weigern, weiterhin am Kollaps des Planeten mitzuwirken, und auf gewaltfreien zivilen Massenungehorsam setzen. Menschen rund um Martin Luther King oder Gandhi haben auf diese Weise enorme gesellschaftliche Veränderungen bewirkt.

Nun sind wir dran, weltweit und in der Schweiz. Ab dem 3. Oktober werde ich deshalb zusammen mit Hunderten von besorgten MitbürgerInnen auf der Strasse der Zürcher Innenstadt sitzen. Ich werde mich weigern, mich zu bewegen, bis dieser absolute Notstand ernsthaft angegangen wird. So entschlossen müssen wir handeln. Alle. Jetzt.

Cécile Bessire, per E-Mail