Alain Croubalian (1964–2021): Angekommen im Nie und Nirgends

Nr. 37 –

Alain Croubalian war Kopf der Maniacs, später besang der Genfer mit seinen Dead Brothers den Tod, der ihn mit 57 Jahren nun selber getroffen hat. Der frühere Konzertveranstalter Christian Pauli über seinen flüchtigen und weltläufigen Freund.

Ein verlorener Gast, ein Grenzgänger: Alain Croubalian inmitten der Dead Brothers. Foto: Matias Corral

Es fällt mir erst jetzt auf: Habe ihn nie gefragt. Was hatte Alain Croubalian eigentlich für eine Beziehung zum Tod? Was bedeutete ihm der Tod, den er mit seiner Band The Dead Brothers so ins Zentrum der Musik gerückt hat? Wohin gingen seine Vorstellungen? Wo gehts hin, wenn es zu Ende geht, Alain? Himmel? Hölle? Ich weiss es nicht. Und ich weiss auch nicht, ob es Dead Brother Alain Croubalian, der vor zwei Wochen mit 57 Jahren gestorben ist, gewusst hat.

Ich vermute: Nein. Weil es eine Antwort nicht gibt. Das hat mir Alains Tod vor Augen geführt. Der Tod ist Sinnlosigkeit und Selbstverständlichkeit zugleich. Es lässt sich keine Antwort auf ihn finden. Die Antwort ist der Tod selber. Aus Hilflosigkeit begebe ich mich auf Spurensuche, um etwas Leben zu finden angesichts des unerwarteten Todes.

Achtziger und neunziger Jahre in Genf. Die Maniacs, die damalige Band von Alain Croubalian, war mir weitgehend unbekannt. Von der dortigen BesetzerInnenszene kannte ich zwar das experimentell angehauchte Konzertlokal Cave 12, aber dort kehrten die new-wavigen Maniacs wohl nicht ein. Musikalisch wie geografisch hatten wir wenige Berührungspunkte. In Montreal geboren, hat Alain Croubalian in Genf Politikwissenschaften studiert, während er sich von Hausbesetzungen und Punk anstecken liess. Später erzählte er mir, dass Teile seiner Familie aus dem Kaukasus stammten und dass es, wenn ich mich recht erinnere, auch ein Hotel in Kairo gab, betrieben von seinem Grossvater.

Auf Sparflamme im Sporthotel

Alain Croubalian war stets auf Spurensuche, als wäre er nicht von dieser Welt – ein weltläufiger, etwas verlorener Gast, ein Grenzgänger. Seine musikalische Reise als Kopf und Sänger der Maniacs und später der Dead Brothers machte ihn bekannt. Er aber forschte weiter, auch abseits künstlerischer Pfade, zum Beispiel als Deutschschweizer Korrespondent von Radio RTS. In «Armenia», einem Film von M. A. Littler aus dem Jahr 2006, geht er auf eine «spirituelle Reise», zunächst nach Marseille, wo er seine Kindheit verbrachte, dann in seine mythische Heimat Armenien. In den Bergen Armeniens verliert sich seine Suche – angekommen ist Alain Croubalian wohl nie und nirgends.

Erst ab den nuller Jahren sollte er dann in meinem weit weniger weltläufigen Leben eine Rolle spielen. Mit The Dead Brothers, 1999 gegründet, wurde er zum Stammgast im Café Kairo, das ich mitgegründet hatte und das mich über Nacht zum Konzertveranstalter gemacht hat. Der fragile und zugleich tröstliche Folk noir der Dead Brothers kontrastierte das Highlife dieser überdrehten Zeiten. 2004 taufte die «einzige Begräbniskapelle der Schweiz» das Doppelalbum «Flammend’ Herz» im wunderbar verkommenen Sporthotel auf dem Mont Soleil im Berner Jura, wo wir sechs Jahre «Kairo» feierten. «Der Bund» schrieb dazu: «So tot waren sie noch nie, The Dead Brothers. Die sonst so dominante Jammer- und Klagestimme von Frontmann Alain Croubalian ist verstummt, und die Instrumente erklingen nur noch auf Sparflamme.»

Immer ein fremder Gast

Alain habe ich vor allem als live-haftigen Sänger in Erinnerung, der mit seinen Compagnons im Sporthotel Treppen und Tische erklomm, um augenrollend seine Todeslieder ins entrückte Publikum zu feuern. Der Ausflug auf den Mont Soleil, der Besuch der Dead Brothers, die versammelte Gesellschaft, der trinkende und polternde Gastwirt – es fühlt sich seltsam an, daran zurückzudenken. Alain, du warst manchmal mittendrin in meinem Leben und bliebst doch immer ein fremder Gast.

15.  November 2015, Dachstock der Reitschule Bern, The Dead Brothers aus «Bismarck, North Dakota» spielen auf, das Album «Black Moose» im Gepäck. Ich werde 52 an diesem Tag, ein geschenktes Geburtstagsständchen der Dead Brothers, am Schluss des Konzerts an der Bar, erneut auf der Bar. Mir kommen ein paar Tränen. Nichts ist mehr wie eben. Mein Leben – privat und beruflich umgekrempelt seit dem damaligen Zwischenstopp auf dem Sonnenberg. Die Dead Brothers sind wieder da, wieder sind sie eine andere Band geworden, wieder mit dem stets unfassbaren Alain Croubalian. Die Fotos von diesem Abend lassen mich heute leicht frösteln.

Alain Croubalian war ein unsteter Zeitgenosse. Wusste nie so recht, wo er zu Hause ist. Vor etwa einem Jahr spielten die Dead Brothers im Café Mokka zu Thun, irgendwann in einer Lücke zwischen zwei Lockdowns. Schon wieder eine neue Besetzung. Im Garten des «Mokka» glühte der Sommerabend, ich trank Bier und rauchte, was ich konnte. «Und irgendwann lag Alain Croubalian wie tot vor meinem Tischchen am Boden auf dem Kiesboden, ich zückte mein Handy, aber gepostet habe ich das Bild nie», erinnert sich Musikjournalist Benedikt Sartorius in seinem Pop-Newsletter. Alain schien etwas auf den Felgen zu laufen. Nach dem Konzert sprachen wir lange. Über was, weiss ich nicht mehr recht. Er machte mir und sich Mut, aber es fühlte sich an, als würde er selber nicht ganz daran glauben.

Ich hab was gepostet von diesem Abend, damals. Instagram, Hashtag #deadforever, 21 Likes und der ganze fahle Schein: Fahr zur Hölle! Dir, Alain, wünsch ich eine schöne Reise.