«Dune»: Zähne im Sand
Die neue Verfilmung von Frank Herberts «Dune» sollte das Kinoereignis des Jahres werden. Doch Regisseur Denis Villeneuve schafft das Kunststück, dass sein über alle Massen schöner Film seltsam blass wirkt.
Dieser für Denis Villeneuve typische Glanz, der über allen Bildern zu schweben scheint: Er beherrscht auch seine Verfilmung von «Dune» vom ersten Moment an. Man kennt das aus seinen früheren Filmen, egal ob diese unter feurig rotem Himmel an der US-mexikanischen Grenze («Sicario») oder im dystopischen Los Angeles der Zukunft spielen («Blade Runner 2047»). An den Bildern von Roger Deakins alleine konnte es nicht liegen, denn bei «Dune» ist mit Greig Fraser ein anderer Kameramann für die Bildgestaltung verantwortlich. Wahrscheinlich ist es nebst einer gewissen Humorlosigkeit das Color Grading, also die Farbkorrektur, das sich als wichtigstes Erkennungsmerkmal in der Filmografie des kanadischen Regisseurs herauskristallisiert. Und es passt auch zu Villeneuve, dass dieser Glanz, so verführerisch er sein mag, ein matter Glanz ist. Er leuchtet nicht von sich aus.
Wenn man also «Dune» etwas vorwerfen kann, dann wahrscheinlich, dass es diesem Film zunächst kaum etwas vorzuwerfen gibt. Er präsentiert die von Frank Herbert entworfenen Welten von Caladan, Heimat des noblen Atreides-Clans, Giedi Primus, wo die ultrabösen Harkonnens hausen, und vor allem Arrakis, dem als Dune bekannten Wüstenplaneten, so eindrücklich und lebendig, wie man es sich nach der etwas zähen Lektüre des Romans nur wünschen kann. Auch gelingt es Villeneuve, dass die zweieinhalb Stunden, die die Nacherzählung bloss der ersten Hälfte des ersten Bandes der «Dune»-Saga beansprucht, wie im Fluge vergehen.
Apolitisch im Widerstand
Die SchauspielerInnen verkörpern ihre Figuren, deren absurde Namen meist von ihrer archetypischen Konstruktion ablenken, fast in Perfektion. Timothée Chalamet wurde dazu geboren, die Rolle des zukünftigen Messias Paul Atreides zu spielen; Rebecca Ferguson verhilft der zwischen ihrer Mutterliebe und den Ansprüchen ihres religiösen Ordens hin- und hergerissenen Jessica zum Status als interessanteste Figur des Filmes – und sogar Jason Momoa verleiht seinem gutmütigen Soldaten Duncan Idaho so etwas wie Charakter. Einzig Stellan Skarsgard gelingt unter Kilos an Maskenbildnermaterial das Kunststück, dass sein grotesker Baron Harkonnen noch absurder wirkt, als er es von seinem teuflischen Auftreten her sowieso schon wäre.
Wo liegt also das Problem? Schliesslich verdanken wir Denis Villeneuve, der sich mit dem unsäglichen «Prisoners» (2013) und dem nicht uninteressanten «Sicario» bereits tief in kryptofaschistische Gefilde vorwagte, mit «Arrival» (2016) und der «Blade Runner»-Fortsetzung auch zwei der interessantesten und emotional effektivsten Science-Fiction-Werke der letzten Jahre. Hier aber schafft er es tatsächlich, Herberts «Dune» – legendär für seine seinerzeit fortschrittliche ökologische Thematik und seine unverhohlene Faszination für islamische Widerstandskämpfe – apolitisch wirken zu lassen. Das Motiv des imperialen, interplanetaren Kolonialismus steht zwar auch bei Villeneuve zuvorderst, wie auch die im Zentrum der kolonialen Grabenkämpfe stehenden Fremen, die ihr Aufbegehren gegen die Besatzer als «Jihad» bezeichnen. Trotz alldem: Selten hat eine so grosse, allegorisch-politisch angelegte Science-Fiction-Produktion so unerheblich gewirkt.
Alles so schön aufgeräumt
Es ist auch nicht so, dass der Stoff kein Potenzial hätte. Keine Geringeren als David Lynch und vor ihm Alejandro Jodorowsky sind bereits grandios an ihm gescheitert – an der Grösse ihrer Imagination wahrscheinlich, aber auch an der Schwachherzigkeit ihrer Produzenten. Das zeigt namentlich der Dokumentarfilm «Jodorowsky’s Dune» (2013) über das Vorhaben des genial-verrückten Chilenen, der unter anderem die Rolle des galaktischen Imperators mit Salvador Dalí besetzen wollte, mit seiner Adaption in den siebziger Jahren aber bereits im Entwicklungsstadium scheiterte. Es spricht nicht gerade für Villeneuve, dass «Jodorowsky’s Dune» unter dem Strich die interessantere Auseinandersetzung mit dem Stoff darstellt als seine vorlagengetreue, von imposanten Computereffekten und geschmackvoller brutalistischer Ausstattung getragene Neuverfilmung.
Aber auch Lynchs gemeinhin als gescheitert geltende Version von 1984 lässt eine eigenwilligere und vor allem originellere Interpretation von Herberts Stoff erahnen als Villeneuves aufgeräumter Blockbuster. Dieser neue «Dune» hat der Vorlage alle Zähne gezogen – diese findet man jetzt höchstens noch im imposanten Design der berüchtigten Sandwürmer, das laut Regisseur alleine ein Jahr beanspruchte.
Trotzdem wäre es etwas schade und auch unangebracht, wenn Villeneuves Version von «Dune» – immerhin der populärste und meistverkaufte aller Science-Fiction-Romane – vom Publikum verschmäht würde. Auch wenn hier die einfachen Gut-Böse-Schemata, die die Science-Fiction seit der Erstveröffentlichung von Herberts Roman grösstenteils hinter sich gelassen hat, noch einmal in aller Pracht durchexerziert werden: In seinem wunderschönen, matt glänzenden Retrofuturismus hat Villeneuves «Dune» durchaus seine Berechtigung – erst recht auf der grossen Leinwand.
«Dune». Regie: Denis Villeneuve. USA/Kanada 2021