Medienethik: Seit wann sind Intimitäten relevant?
Da wollte SP-Präsident Christian Levrat im Juni 2019 an die Maturafeier seiner Tochter – und Bundesrat Ueli Maurer lieh ihm seinen Dienstwagen.
Und nun, weniger rührselig, aus «streng geheimen Bundesakten» der «Weltwoche» zugespielt: Innenminister Alain Berset soll versucht haben, Einblicke in sein Privatleben mithilfe juristischer und polizeilicher Fachkräfte aus seinem Departement zu verhindern. Eine Frau, mit der er vor Jahren ein Verhältnis hatte, verlangte demnach 100 000 Franken von ihm – mit der Warnung, Originale von Briefen und Mails interessierten Personen zuzuspielen. Darüber soll Berset höhere Beamte seines Departements informiert haben. Im Dezember 2019 reichte er eine Klage gegen die Frau wegen Erpressung ein, gleichentags verfügte die zuständige Staatsanwältin des Bundes eine vorübergehende Telefonüberwachung der Frau, tags drauf hielten sie Bundeskriminalpolizisten der Einsatzgruppe «Tigris» beim Verlassen ihrer Wohnung an und konfiszierten elektronische Geräte. Im September 2020 verurteilte die Bundesanwaltschaft die Frau wegen versuchter Erpressung zu einer bedingten Geldstrafe. Später soll es zu einer aussergerichtlichen Schweigevereinbarung gekommen sein.
Gewiss: Hier geht es um mehr als um die Privatfahrt in einem Dienstwagen. Nämlich darum, ab wann Privates von öffentlichem Interesse sein könnte. Inwieweit könnte ein Magistrat Amt und Macht missbraucht haben, indem er Bundesdienste zur Bereinigung eines privaten Konflikts in Anspruch nahm?
Ebenso im Raum steht die Frage: Inwieweit könnte die «Weltwoche» Grenzen überschritten haben, indem sie überaus intime Details, die nichts zur Klärung dieser Fragen beitragen, an die Öffentlichkeit zerrt? «Die parlamentarische Aufsicht muss im Fall Berset tätig werden», schliesst Ex-SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli seinen «Weltwoche»-Artikel. Ja, gut. Und der Presserat oder die Justiz könnten im Fall Mörgeli tätig werden.