Indiskretionen: Ein Land, ein Leak
Die Affäre Berset/Walder weist auf eine fatale Nähe zwischen einem Bundesrat und dem Boulevard hin. Folgt man der Chronologie, stellt sich aber auch die Frage: Wer will Berset schaden?
Wenn man den Überblick verloren hat, notiert man sich am besten eine Chronologie der Ereignisse. Nach allem, was über die Affäre Berset/Walder bekannt ist, beginnt sie am 10. November 2020. An jenem Dienstag will die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) über ihre Untersuchung zum Crypto-Skandal informieren. Bloss kann sie ihre Erkenntnisse über die Zuger Chiffriergerätefirma im Besitz der US-amerikanischen und deutschen Geheimdienste bereits am Morgen in den Tamedia-Zeitungen lesen: «Bundesrat machte so ziemlich alles falsch». Ein Land, ein Leak. Auch die NZZ wurde vorab mit Infos bedient – aus anderer Quelle. Ein Land, zwei Leaks.
Der nächste Eintrag in der Affärenchronologie folgt sogleich am nächsten Tag, dem 11. November. Der «Blick» kann in der Coronapandemie eine beruhigende Nachricht verkünden, obwohl der Bundesrat darüber noch gar nicht entschieden hat: «Die Schweiz kriegt den Impfstoff!» Ein Land, drei Leaks. Und schon in der folgenden Woche, am 21. November – ausnahmsweise bereits am Samstag statt wie üblich am Donnerstag –, veröffentlicht die «Weltwoche» einen Bericht über eine Geliebte von Alain Berset, die ihn erpresst habe. Ein Land, vier Leaks.
Was bloss war da los in Bern im November 2020? Zumindest die beiden ersten Veröffentlichungen beschäftigen Politik, Justiz und Medien bis heute.
Die Untersuchung beginnt
In der GPDel, damals präsidiert von SVP-Nationalrat Alfred Heer, wie in der übergeordneten Geschäftsprüfungskommission (GPK) sind die Parlamentarier:innen wegen der Vorabveröffentlichung ihres Berichts erzürnt. Von einem «schwerwiegenden institutionellen Schaden» spricht die GPK – und reicht am 13. November bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ein.
Diese gibt die Anzeige an die Aufsichtsbehörde weiter, weil sie selbst in die Konsultation des Berichts involviert war. Am 13. Januar 2021 mandatiert die Aufsicht den ehemaligen SVP-Richter Peter Marti, die Amtsgeheimnisverletzung zu untersuchen. Marti gilt als «scharfer Hund aus Winterthur» (Tamedia), der in den Achtzigern aggressiv gegen junge Linke ermittelte oder Whistleblower Rudolf Elmer als «gewöhnlichen Kriminellen» titulierte.
Marti ermittelt auch jetzt mit groben Methoden. Er zitiert Journalist:innen zu Befragungen, was bei Amtsgeheimnisverletzungen wegen des Quellenschutzes unüblich ist, lässt Peter Lauener, den damaligen Kommunikationsbeauftragten von Bundesrat Berset, in Untersuchungshaft nehmen. Er führt Hausdurchsuchungen bei Lauener und Marc Walder, dem CEO von Ringier, durch, lädt Berset und Walder zu Anhörungen vor. Vor allem aber: Er weitet das Verfahren aus, untersucht nicht nur das Crypto-Leak, sondern auch die Corona-Leaks. Daten aus der Ermittlung hätten ihn dazu geführt, so Marti.
Die Aufsicht der Bundesanwaltschaft bestätigt auf Anfrage, dass sie das Mandat erweitert habe, ohne dies öffentlich zu kommunizieren, um die Untersuchung nicht zu gefährden. Als Grund für die Ausweitung nennt sie die Verfahrenseinheit. Mandatiert wurde Marti am 1. März 2022, also vor der Befragung Laueners, Walders und Bersets im Mai.
Dass die Ausweitung rechtens war, bezweifeln alle von den Medien angefragten Jurist:innen unisono, weil die Bundesanwaltschaft nicht in die Corona-Leaks involviert gewesen sei und Marti also formal nicht zuständig sein könne. Lauener und Walder erwirken vor dem Zwangsmassnahmengericht Bern die Versiegelung ihrer elektronischen Daten. Der Entscheid, ob Marti sie auswerten darf, steht aus.
Marti ist also blockiert, könnte zurückgepfiffen werden. Und steht mittlerweile selbst unter Verdacht. Lauener reicht im September eine Klage wegen Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung gegen ihn ein. Die Aufsicht der Bundesanwaltschaft setzt zur Untersuchung ihres ersten ausserordentlichen Staatsanwalts einen zweiten ausserordentlichen ein, den Luzerner Rechtsanwalt Stephan Zimmerli. Am 20. Dezember 2022, wir nähern uns dem Ende der Chronologie, ermächtigt ihn das zuständige Justizdepartement, die Arbeit aufzunehmen.
Zu Beginn dieses Jahres dann fliegt fast alles in die Luft. CH Media ist an die Ermittlungsakten gelangt: «Geheime Corona-Protokolle: So fütterte Alain Bersets Departement den ‹Blick›» lautet die Schlagzeile am 14. Januar. Ein Land, fünf Leaks.
Honig für Walder
Im rechten Lager bricht Jubel aus. Wie zwei Schulbuben grinsen Roger Köppel und Christoph Mörgeli in einer «Sondersendung» auf der «Weltwoche»-Website schon am Samstag um die Wette. Mörgeli hat bekanntlich nicht nur den Bericht über Bersets Geliebte verfasst, sondern wusste auch als Erster, dass Marti gegen Lauener ermittelt. Als erster SVP-Politiker fordert jener Mann den Rücktritt von Berset, der am Anfang des Untersuchungsreigens steht: Alfred Heer.
Der Inhalt des CH-Media-Berichts ist in der Tat haarsträubend: Lauener und Walder hatten in der Coronazeit wöchentlich Kontakt miteinander, Lauener steckte Walder dabei die Information zum Impfstoff – durch den Bericht wurde der Bundesrat möglicherweise vor vollendete Tatsachen gestellt. Wie brisant die Indiskretionen im Detail waren, kann man diskutieren. Die Impfstoffbeschaffung war, seien wir ehrlich, weniger umstritten als jede Skiterrassenöffnung. Aber dass der Kommunikationschef eines Bundesrats zum CEO und im Übrigen auch Mitbesitzer des Boulevardkonzerns Ringier ein derart enges Verhältnis pflegt, ist ein No-Go.
Susan Boos, die Präsidentin des Presserats und WOZ-Redaktorin, hat im SRF-«Club» von dieser Woche auf einen entscheidenden Punkt hingewiesen: Zwischen Verlag und Redaktion jedes Mediums müsse eine «chinesische Mauer» stehen. Sonst erodiere das Vertrauen. Wenn der «Blick» jetzt auf der Titelseite schreibt: «Niemand beeinflusst den ‹Blick›!», mag das sogar stimmen und die Impfstoffrecherche gar nicht via Walder ins Blatt gekommen sein. Bloss: Walders Kungelei diskreditiert die Arbeit seiner Redaktionen.
Hat man seine Karriere verfolgt, überrascht das Verhalten nicht. Walder, der sich als digitaler Guru inszeniert, suchte stets die Nähe zu den Mächtigen: zur Besitzerfamilie Ringier, zu Wirtschaftschefs, zu Bundesrät:innen. «Vertraulich» und «sehr unter uns»: Laueners Worte dürften Honig gewesen sein für einen, der sich zugehörig fühlen möchte. An dieser Stelle sollte nicht vergessen werden, dass Walder schon früher mit Bundesrätinnen paktierte: Mit Doris Leuthard stand er im Telefonkontakt, gemeinsam entwickelten sie die später gescheiterte E-ID-Vorlage (siehe WOZ Nr. 3/21). Wenn sich Beni Würth, der St. Galler Mitte-Politiker, im «Club» über den systematischen Kontakt von Lauener und Walder empört, würde er besser bei der eigenen Partei beginnen.
Ob Alain Berset auch diese Affäre abwenden kann, wird sich weisen. Am Rand des Wef flüchtete er sich in einem SRF-Interview in die Vorwärtsverteidigung: Er kritisierte, dass Akten aus einem Verfahren öffentlich werden. Auf die Frage nach seinem Mitwissen verwies er auf die laufende Untersuchung von Marti und auf die kommunikative Ausnahmesituation für alle im Coronawinter 2020. Sein Problem bleibt die Glaubwürdigkeit: Stimmt morgen, was er gestern gesagt hat?
Der Innenminister mag die Veröffentlichung der Akten kritisieren. Angesichts des öffentlichen Interesses ist sie aus medienethischer Sicht gerechtfertigt. Juristisch sieht der Fall anders aus. Die Bundesanwaltschaft hat Vorprüfungen eingeleitet, um eine mögliche weitere Amtsgeheimnisverletzung zu untersuchen. Damit folgt die politische Frage hinter jedem Leak: Wer hat ein Interesse, Berset wiederholt in die Bredouille zu bringen, und hat CH Media die Geschichte gesteckt? Berset, Lauener oder Walder dürften es kaum gewesen sein.
Im SVP-Milieu
CH Media, das fällt auf, zitiert fast ausschliesslich aus den Verhörprotokollen. Weil es sich um ein einziges Verfahren handelt, haben grundsätzlich alle Parteien Akteneinsicht. Darunter also auch zwei Mitarbeiter des Aussendepartements, die lediglich wegen der Crypto-Leaks vernommen wurden: Markus Seiler, früherer Geheimdienstler und heutiger Generalsekretär des EDA, sowie ein Mediensprecher. Beide dementieren, etwas mit dem Leak zu tun zu haben. Seiler schreibt: «Ich habe zu keinem Zeitpunkt – weder vollständig noch teilweise – Akten an Dritte weitergegeben.» Bleiben als Quelle weitere bisher nicht bekannte Befragte – oder Marti selbst sowie Beamte, die ihn unterstützen. Dieser will sich wegen der angekündigten Untersuchung der Amtsgeheimnisverletzung nicht zum Leak äussern.
Sortiert man in dieser Geschichte nicht nur die Daten, sondern auch die Namen, fällt noch etwas auf: Auf fast allen Ebenen ist ein Zürcher SVP-Bekanntenkreis tätig. Die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft präsidiert seit Anfang 2021 Alexia Heine, unter ihrer Ägide wurde die Ausweitung des Mandats von Peter Marti beschlossen. Heine ist die Ehefrau von SVP-Werber Alexander Segert, dem wiederum Alfred Heer im Bundeshaus mit einem Badge Zutritt verschafft. Heer und Marti politisierten gemeinsam im Zürcher Kantonsrat. Mit Christoph Mörgeli dürften alle bestens bekannt sein. Gewiss kann es sein, dass die Beteiligten noch nie ein Wort zum Fall gewechselt haben. Die persönlich-politische Nähe ist für derart heikle Untersuchungen dennoch skandalös.
Eines ist klar in dieser Geschichte, in der über ein Leak ein anderes Leak skandalisiert wird, in der ein Sonderermittler den zweiten jagt und nun wohl ein dritter eingesetzt wird: Das nächste Leak kommt bestimmt.
Kommentare
Kommentar von _Kokolorix
Mi., 18.01.2023 - 22:36
Ob all der Leaks und Kungeleien, hüben wie drüben, kann einem ganz schwindlig werden.
Wie wäre es, wenn man die ganze Geheimniskrämerei über Bord werfen, und einfach mit offenen, ungezinkten Karten spielen würde?
Das würde der Gerüchteküche ziemlich den Wind aus den Segeln nehmen und gleichzeitig das Vertrauen in Politik und Verwaltung stärken.
Kommentar von lukasstern
Do., 19.01.2023 - 19:16
Das moralische Gehabe von Heer, Würth, Köppel & co. stinkt zum Himmel. Und die Boos'sche Chinesische Mauer: (moralisch) gut gemeint, aber wohl kaum ihr Ernst. Da reicht ein Griff in die Aphorismen-Kiste: wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und - um den Kreis zu schliessen - in die Dreigroschenoper: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Bersets Corona-Politik hat dafür gesorgt, dass unsereins wieder Brot kaufen kann, «frei» und maskenlos. Dass ihn die Rechte nun abschiessen will, gründet auf denselben Mitteln, derer sich Berset in seiner Corona-Politik bedient: politischem Kalkül. Stellt sich die Gretchenfrage nach dem Zweck: Etatismus oder Libertarismus? Die Sache (Brot für alle!) ist gegessen.
Kommentar von 004400
Mo., 23.01.2023 - 22:41
Sehr guter Artikel von Kaspar Surber!