Der Fall Kurz: Mega sauer

Nr. 41 –

Wenn der Staat und die Medien eins werden: Der Schriftsteller und Attwenger-Musiker Markus Binder zur österreichischen Korruption in ihrer aktuellen Form.

Haben die österreichischen Regierungen das nicht schon immer so gemacht? Mit den Zeitungen und Magazinen, denen sie Inserate verkaufen, einen Deal vereinbaren, dass die Zeitungen und Magazine, denen sie das Geld rübergeschoben haben, vorteilhaft über diejenigen schreiben, von denen das Geld gekommen ist? Steuergeld, mit dem die Richtung, in die das Geschriebene gehen soll, gesteuert wird. Konkret soll die erzkonservative österreichische Regierungspartei ÖVP in der Zeitung, der sie jährlich ungefähr eine Million Presseförderung überwiesen hat, frisierte Umfragen untergebracht haben, die die ÖVP in ein derart günstiges Licht rückten, dass schon von Wahlbeeinflussung die Rede sein kann.

Damals, als ich mir das besagte Käseblatt aus dem Plastikbehälter auf der Strasse rausgenommen hatte und es aufgeschlagen und reingelesen hatte und gesehen hatte, wie hoch die Balken für die Partei der ÖVP innerhalb kürzester Zeit gewachsen waren, dachte ich: 1. Perfid. 2. Gibt es Leute, die so etwas ernst nehmen? 3. Weil ja damals schon bekannt war, dass die ÖVP des Sebastian Kurz das Blatt, das seltsamerweise den Namen des Landes trägt, um dessen Regierung es hier geht (Österreich in Grossbuchstaben), mit ungleich mehr Presseförderung versorgte als die sogenannten Qualitätsblätter, konnte es nicht verwundern, dass dieses Blatt seine Berichterstattung massiv nach den Interessen seines Förderers Kurz ausrichtete.

Was mich gewundert hätte, wäre die Tatsache gewesen, dass sich jemand über derlei Vorgänge gewundert hätte. Sie waren derart offensichtlich, dass selbst die naivsten Gemüter verstehen mussten, was hier lief.

Der Kanzler und sein Godfather

Unabhängig von diesen Vorgängen sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass der Besitzer und Chefredakteur besagter Zeitung für gewöhnlich ein Auftreten an den Tag zu legen pflegt, das an üppiger Unappetitlichkeit schwerlich zu toppen ist. (Übrigens laufen gegen dieses präpotente Mogulchen zurzeit Klagen wegen sexueller Übergriffe auf Frauen, die in seiner Medienbude gearbeitet hatten.) Zudem vermittelt dieser Schmierenblattfabrikant mit dem Namen Wolfgang Fellner auf unfreiwillig ironische Weise den Eindruck, er wäre gern selbst so etwas wie der Premierminister des Landes, dessen Name gross auf seiner Grelltextgazette steht. Nachdem es ihm aber nicht gelungen ist, diesen Job zu bekommen, sondert er seinen durch ungestillten Machthunger entstandenen Sabber als Krawalljournalismus ab.

Ein sich wiederholendes trauriges Schauspiel sind die Gespräche des kamerasüchtigen Medienwuzzis mit seinem schlanken Alter Ego Kurz, der den jungen Kanzler gibt und in diesen Gesprächen sehr freundlich die Aussagen des besserwisserischen Godfather of Austrian Infotrash gutheisst, wofür der Fellner einen eigenen Fernsehsender gegründet hat, in dem niemand öfter zu sehen ist als er selbst und in dem niemand mehr verherrlicht wird als der Kanzler jenes Landes, dessen Namen auch der Fernsehsender trägt.

Hier haben sich zwei gefunden, auf die das von Freud erforschte Phänomen der Übertragung perfekt zutrifft: Der sich zur Macht hinneigende Privatfernsehankermann lädt sich eine schicke Politfigur ins Studio, die seine Interessen noch einlullender zu formulieren versteht, als er selbst es je könnte, und der knabenhafte Kanzler mit dem altkonservativen Gedankengut hat einen idealen Adressaten für die Übertragung der von ihm vergebenen Presseförderung.

Alles dreckig, alle sauber

Nun hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft des Landes, das nach der Zeitung desjenigen benannt ist, der den Kanzler dieses Landes fördert, als wäre der sein eigener förderungsbedürftiger Sohn, aufgrund von sogenannten Chat-Protokollen als Kriminalfall deklariert, was seit Jahren in dieser sogenannten Zeitung stattfindet. Nämlich eine steuerfinanzierte Regierungsverherrlichung, ein Umstand, der, wie schon erwähnt, die längste Zeit über dermassen offensichtlich war, dass es nur als verwunderlich bezeichnet werden kann, dass die Gesetzeshüter:innen erst jetzt bemerkt haben, dass hier korrupte Vorgehensweisen angewendet wurden.

Aber vielleicht waren die Justizkräfte ja bis vor kurzem der Meinung, dass eine Zeitung, die so heisst wie das Land, für das sie tätig sind, genauso zu dem Land dazugehört wie die korrupten Vorgänge, die hinter der Berichterstattung in diesem Revolverblatt stehen, und deshalb haben sie sich nichts Ungewöhnliches dabei gedacht. In Österreich war es nämlich seit jeher so, dass eine Hand die andere wusch, weshalb alle Beteiligten das Gefühl haben konnten, ihre Hände seien tatsächlich sauber. Ein traditionelles österreichisches Dreckunterdrückungssystem, das übrigens grossflächig nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Nachteil all derer, die davon ausgeschlossen waren, konsequent praktiziert wurde.

Für immer Untertanen

Der Kanzler und die Leute, die für ihn die schmutzige Arbeit machen, halten ständig ihre Mobiltelefone in der Hand, um den Kontakt zu Österreich in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen zu halten. (Kurz selbst weiss laut ihm selbst nichts von dem Dreck, und die Zeitung, in die er so viel investiert hat, schreibt zu den Vorwürfen in Grossbuchstaben: «Alles konstruiert».) Nachdem die in ihre Mobiltelefone eingetippten Texte nun von der Justiz publik gemacht wurden, können wir jetzt endlich lesen, wie die Beeinflussung der Zeitung durch ihre Regierung formuliert worden war, nämlich zum Beispiel so (in dem Fall war nicht wunschgemäss geschrieben worden): «Liebe Fellners, ausgemacht war: Ihr schreibt über Wirtschaftskompetenz und Schuldenabbau. […] Erschienen ist jedoch eine private Story […]. Das ist echt eine Frechheit und nicht vertrauensbildend. Wir sind echt sauer!!! Mega sauer.»

So kommunizierte die rechte Hand des Kanzlers mit dessen altem Alter Ego, und das alles im Namen Österreichs. Der derart gescholtene Zeitungshersteller entschuldigte sich untertänigst und setzte anderntags unverzüglich die huldvolle Berichterstattung fort.

Wahrscheinlich handelt es sich hier um Spuren einer kaiserlich-königlichen Untertanentradition, die sich in Österreich über Jahrhunderte unter der Herrschaft des habsburgischen Hofstaates eingebürgert hatte und deren vorrangigstes Interesse es war, dem Kaiserhaus wohlgefällig zu sein. Um die gestrengen Regeln des Untertanentums aufzuweichen, wurde in Österreich eine Spezialform der Korruption entwickelt, die sich hinter dem charmanten Begriff Schlawinertum verbirgt. Bedeutet: Nur als kleine ehrliche Gangster:innen konnten die Untertan:innen ihr Überleben halbwegs zufriedenstellend hinbekommen. Jede Schweinerei ein Kavaliersdelikt.

Noch wahrscheinlicher aber ist, dass es sich im Fall von Fellner und Kurz um nichts anderes als das simple Sich-einen-Vorteil-Verschaffen handelt, das wir hier an jeder Strassenecke beobachten können, wenn wieder mal jemand wie ich aus purer Lust auf primitives Infotainment unauffällig in den prall gefüllten Plastikbehälter greift, um sich das neueste Kanzlerverherrlichungsschundblättchen herauszuziehen, und sich beim Durchblättern desselben denkt: Österreich, das ist Trash.

Um die letzten Entwicklungen in Korruptösterreich noch zu erwähnen: 1. Der priesterhafte Konservativenführer Kurz ist wegen der überhandnehmenden Vorwürfe als Kanzler zurückgetreten, voraussichtlich aber nur vorübergehend. 2. Österreich verklagt Österreich, also die Zeitung die Republik, weil die Republik in Gestalt der Staatsanwaltschaft sich erlaubt hat, wegen Korruptionsverdacht Untersuchungen gegen die Zeitung zu starten. Welches Österreich wird gewinnen? Kann gut sein, dass es einen typisch österreichischen Vergleich geben wird.

Markus Binder (58) spielt gemeinsam mit Hans-Peter Falkner im Duo Attwenger, das in den Grenzgebieten von Punk, Rap, Techno und Volksmusik unterwegs ist. In ihren dialektgefärbten Texten verhandeln Attwenger Kippmomente im Alltag und in der Politik. In diesem Jahr erschien mit «Drum» das zwölfte Album. Binder, der in Wien und Linz lebt, veröffentlichte als Schriftsteller zuletzt den Roman «Teilzeitrevue» (Verbrecher-Verlag).