Attwenger: Alter, pass auf!

Nr. 20 –

Der Überwachung einen Tanzschritt voraus: Das österreichische Duo Attwenger legt ein präzises und unterhaltsames Album zur Gegenwart vor. Diesen Samstag spielt es sein einziges Konzert in der Schweiz.

Immer in Hochform, wenn die Verhältnisse undurchschaubar wirken: Markus Binder und Hans-Peter Falkner sind Attwenger. Foto: Gerald von Foris

Der Mann ist mittleren Alters, er trägt einen Dreitagebart und ein hellblaues Hemd. Typ Fachhochschuldozent, denkt man sich, auch der Hintergrund passt: ein gesichtsloser Flur in einem Schul- oder Verwaltungstrakt, mit Putzeimer und Feuerlöscher.

Plötzlich ertönt ein Beat, und der Mann wippt kenntnisreich mit dem Kopf. Dann beginnt er einen absurden Tanz: Verrenkt im Takt die Arme und die Beine und beschimpft, wie aus dem Songtext hervorgeht, in bester Rapmanier einen «Alten», oder genauer auf Oberösterreichisch, denn wir sind hier in einem Videoclip von Attwenger, einen «Oida»: «oida pass auf / sie haum mi vakauft / und sie haum nix griagt für mi / aussa an tritt wohi.»

Es muss jetzt alles raus, der ganze Ärger mit dem Vorgesetzten oder sonst einem Rechthaber, der nie eines seiner vielen Projekte zu Ende bringt: «oida hoach zu / es kumt ma so vur / dass du olles wiederkäust / genau wia a kua / genau wie a kua.» Der Mann steppt dazu vor dem Feuerlöscher hin und her – in seiner ganzen Lächerlichkeit ein herrlicher Veitstanz auf prekäre Arbeitsverhältnisse.

Aus der Bahn fliegen

Üblicherweise zitiert man ungern Pressetexte, nicht aber so bei Attwenger. Die schreiben ihre Pressetexte nämlich selbst, und sie klingen darum auch so gewieft wie ihre Songs. Attwenger schreiben also über Attwenger: «Wir waren von Anfang an darauf aus, mit dem Pfeil ins Schwarze zu treffen und nicht mit Granaten ins Blaue zu ballern.» Das stimmt genau, und die Treffsicherheit dürfte daran liegen, dass Texter Markus Binder nicht Wörter aneinanderreiht, sondern jede Silbe dreht und wendet, bis sie am richtigen Platz liegt.

Vor 25 Jahren veröffentlichten Markus Binder und Hans-Peter Falkner ihr erstes Album. Auf «Most» ertönten brachiale Volkslieder mit Schlagzeug und Ziehharmonika. Hierzulande schubladisierte man Attwenger deshalb im Fach «Neue Volksmusik» und vergass sie bald wieder, von einigen treuen Fans abgesehen. Vielleicht verlor man Binder und Falkner auch deshalb aus den Augen, weil sie jeder Zuschreibung entwischten. Ihren minimalen Sound und die dadaistischen Beobachtungen entwickelten sie auf drei Alben weiter, bis sich die Songs nur noch in Schlaufen drehten. Attwenger hatten ihr Thema gefunden: die beständige Wiederholung, bis es den Kreisel aus der Bahn wirft. Oder, musikalisch gesprochen: den Loop.

2001 erschien ihr Meisterstück «Sun». Binder ergänzte darauf das Schlagzeug mit Elektronika, das Boban Markovic Orkestar steuerte Bläser bei. Und es wurde deutlich, wie politisch Binder und Falkner, die sich einst in Linz in einer autonomen Kulturwerkstatt kennengelernt hatten, die Gegenwart beobachten: Die schwarz-blaue Koalition war in Österreich an die Macht gekommen, und Attwenger sangen gegen die «Kaklakariada» an – gegen die Kleinkarierten, die das Eigene feiern und das Andere negieren. Sie fassten die Geschichtsvergessenheit nach dem Anschlag auf das World Trade Center in Worte und liessen das Album mit einer Feldaufnahme vom Flughafen Islamabad enden.

Blödsinn gegen Kontrollwahn

Nach zwei weiteren Alben ist «Spot» der erneute Beweis, dass Attwenger immer dann zur Hochform auflaufen, wenn die Gegenwart undurchschaubar wirkt. Der Überwachungsskandal, den Edward Snowden aufdeckte, endet bei ihnen in einer babylonischen Sprachverwirrung, in der alle nur noch Blödsinn sprechen und tippen, um die Geheimdienste zu verwirren: «wei olles mitghoacht und mitgschriem / und obgschbeichat woan is / drum haum jetzt olle nur mehr glong / und bledsinn gredt in die mobiltelefone / und unsinn tippt in die computer olle / nix mehr hod gschtimmt / ois woa glong / ois.»

Attwenger scheinen den gesellschaftlichen Kippzustand durchaus zu begrüssen: «des is des ende von da wöd / wia ma sie kenan / und i feel fine», heisst es in einer beschwingten Aneignung des R.E.M.-Klassikers. Überhaupt ist «Spot» bei allen ernsten Themen wie der Arbeitswelt und der Überwachung ein sehr unterhaltsames, ja lustiges Album. Unter den 25 Songs finden sich viele komische Miniaturen. Zu Festzeltmusik erzählen Binder und Falkner beispielsweise die Geschichte von vier Japanern, die Wien besuchen. Einer von ihnen lehnt sich zu weit über ein Geländer, doch zum Glück fällt er nur einen Meter in die Tiefe. Das sei schön, konstatieren Attwenger lakonisch – sowohl für die Wiener wie für den Japaner.

Derzeit sind Attwenger wieder auf Tournee, leider spielen sie nur ein Konzert in der Schweiz, am kommenden Samstag im Zürcher El Lokal. Sie sind gerade hierzulande wieder eine Entdeckung wert, schiessen sie doch auch einen Pfeil gegen den vermeintlichen «Dichtestress» ins Schwarze. Kurz und bündig heisst der ganze Songtext von «Einfamilienhaus», beständig wiederholt: «Einfamilienhaus / i hoit di ned aus.»

Attwenger spielen am Samstag, 16. Mai 2015, um 21.21 Uhr im 
El Lokal in Zürich.

Attwenger: Spot. Trikont 2015