Moorschutz: Was dem Klima nützt, freut auch die Libelle
Mit der Renaturierung von Mooren will man ursprüngliche Lebensräume wiederherstellen und erhofft sich gleichzeitig einen positiven Effekt auf die Klimabilanz. Geht die Rechnung auf?
Rot schimmern die Torfmoose in der morgendlichen Landschaft. Die Herbstsonne lässt die weissen Schöpfe des Wollgrases leuchten, und über einem Tümpel ziehen Libellen surrend ihre Kreise: Torf-Mosaikjungfern mit türkisgrün getupften Hinterleibern. Eine etwas kleinere Art, eine Gemeine Binsenjungfer, sonnt sich an einem Halm neben dem Wasser. «Wenn man vom Eingriff nichts weiss, merkt man es kaum», sagt Peter Staubli. Er meint damit die 2011 weitgehend abgeschlossene Renaturierung des Hochmoors Gamperfin oberhalb Grabs im St. Galler Rheintal. Einer der Indikatoren für die erfolgreiche Wiedervernässung ist die Libellenvielfalt.
Eigentlich sind Moore von nationaler Bedeutung wie Gamperfin seit 1987 verfassungsrechtlich geschützt. Doch es steht immer noch schlecht um die Schweizer Moore: Sie trocknen weiter aus und verlieren an Torfmasse. «Trotz Schutzstatus war die Bedrohung der Moore bis in die neunziger Jahre kein grosses Thema in der breiten Öffentlichkeit», bestätigt Peter Staubli. Er ist Moorverantwortlicher beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) und hat diverse Moorrenaturierungen begleitet und umgesetzt.
Ursprünglich haben Moore sechs Prozent der Schweizer Landesfläche ausgemacht. Wegen Entwässerungen für den Torfabbau und die Landwirtschaft ist heute nur noch knapp ein Zehntel davon übrig: 300 Quadratkilometer, das entspricht etwa der Fläche des Kantons Schaffhausen. Die Zerstörung der Moore bedeutet einen immensen Verlust für die Biodiversität und den Naherholungsraum. Und sie schadet dem Klima: Trocknet ein Moor aus, wird CO2 freigesetzt.
Treibhausgas aus kranken Mooren
Moorböden werden grösstenteils von Torfmoosen bevölkert, die an der Oberfläche wachsen, während sie in tieferen Schichten kontinuierlich absterben. Da ein gesundes Moor wasserdurchtränkt ist, werden die Pflanzenreste in dem sauerstoffarmen Milieu nicht abgebaut. Ihre Grundsubstanz, der organische Kohlenstoff, bleibt somit im Torfboden gespeichert. Dreissig Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs sammelt sich in Mooren, obwohl sie nur drei Prozent der Erdoberfläche ausmachen. Wird ein Moor jedoch entwässert und durchlüftet, setzt der natürliche Abbauprozess der organischen Überbleibsel ein und das Treibhausgas CO2 entsteht.
Wo heute im Gamperfin die Libellen über das grosse Wasserloch schwirren, war früher ein tiefer, breiter Entwässerungsgraben, der sich 300 Meter durch die Landschaft zog. «Wie eine riesige Wunde klaffte da dieses Loch, und der Torf rundherum erodierte», erinnert sich Staubli. Im Rahmen der Renaturierung wurde der Graben mit Holzdämmen verschlossen und am Grund mit Lehm, darüber mit Torf aufgefüllt. Das Regenwasser steht wieder. Ein Eldorado für Torf-Mosaikjungfern oder eine kleine Mooreidechse, die am Wasser sitzt. Das Reptil mag es feucht-nass und rettet sich bei Gefahr auch mal mit einem Sprung ins Wasser.
Wiederhergestellte, vernässte Moore beheimaten viele seltene Pflanzen- und Tierarten. Zusätzlich helfen sie, Kohlenstoff im Boden zurückzuhalten. Dies haben Wissenschaftler:innen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Rahmen des «max.moor»-Kompensationsansatzes untersucht: Anhand von Bodenkohlenstoffanalysen und Renaturierungskosten wurde abgeschätzt, wie viel es kostet, eine Tonne CO2 im Moor zurückzuhalten. Zum errechneten Preis verkaufen Kompensationsfirmen wie MyClimate und South Pole nun Moorzertifikate an ihre Kund:innen, die freiwillig ihren CO2-Verbrauch kompensieren. Der Ertrag fliesst in die Kassen der kantonalen Naturschutzbehörden, die für die Umsetzung des Moorschutzes verantwortlich sind.
Doch dass Firmen wie Shell oder das World Economic Forum diese Zertifikate kaufen, kann schlecht als Gewinn für das Klima verstanden werden. Ausserdem sind Kompensationen in der Klimapolitik umstritten: Nur wenn alle ausgestossenen Treibhausgase mit Technologien kompensiert würden, die ebensolche wieder aus der Atmosphäre entfernen, ginge die Rechnung für das Klima auf. Einerseits fehlt aber eine weltweite, rechtlich bindende Kompensationspflicht, und andererseits gibt es zu wenige sogenannte Senken, die CO2 in grossem Masse aufnehmen und binden könnten. Da werden leider auch die Moore nicht weiterhelfen: «Sie sind keine vielversprechende CO2-Senke. Wenn ein Moor nach der Renaturierung überhaupt wieder wächst, passiert dies viel zu langsam», meint WSL-Wissenschaftlerin Lena Gubler. Sie hat «max.moor» entwickelt und den CO2-Ausstoss von Mooren untersucht. «Bei der Kompensation zugunsten der Moore geht es ausschliesslich darum, deren Emissionen zu stoppen.» Nebst der CO2-Reduktion hätten die Zertifikate aber auch geholfen, das öffentliche Bewusstsein für den ungenügenden Moorschutz zu fördern, ist sie überzeugt.
Verdoppelung der Fläche nötig
So oder so steht heute der Renaturierung von Hochmooren nicht mehr viel im Weg, da sind sich Gubler und Staubli einig. Die Flächen sind nicht landwirtschaftlich genutzt, und somit gibt es kaum Interessenkonflikte. Auch habe der Bund zusätzliche Gelder für den kantonalen Naturschutz gesprochen. Wenn, dann sei die begrenzte Verfügbarkeit von Fachpersonal für die Planung der Moorrenaturierungen der limitierende Faktor. Doch um den Erhalt der Arten zu sichern, müssten die heutigen Feuchtlebensräume auf mehr als das Doppelte vergrössert werden.* Dies zeigte eine kürzlich publizierte Studie. Gubler gibt zu bedenken: «Unsere Moorflächen reichen dazu längerfristig nicht aus. Wir müssen prüfen, ob neue Feuchtgebiete auch auf landwirtschaftlich genutzten organischen Böden geschaffen werden können.»
Doch organische Böden sind oft hochproduktive Äcker und zentral für die Schweizer Lebensmittelproduktion. So wird beispielsweise im Grossen Moos im Seeland, einem entwässerten ehemaligen Moor, heute ein Viertel des Schweizer Gemüses angebaut. Allerdings stehen die Interessen der landwirtschaftlichen Produktion und des Erhalts der Feuchtflächen auf nationaler Ebene im Konflikt: Während die nationale «Strategie Biodiversität» zum Ziel hat, mehr Feuchtfläche zu schaffen, sind auch Fruchtfolgeflächen, die ertragreichsten Äcker auf organischen Böden, im Interesse der Ernährungssicherheit geschützt. Für beide Flächen gibt es staatliche Subventionen.
Wiedervernässung von Äckern
Die WSL und die Schweizer Akademie der Naturwissenschaften haben Subventionen mit negativem Einfluss auf die Biodiversität untersucht. Es zeigte sich, dass in der Mehrheit der Zielkonflikte gegen die Biodiversität entschieden wird. Gubler war Mitautorin der Studie und nimmt klar Stellung: «Eine landwirtschaftlich intensive Nutzung organischer Böden ist nicht nachhaltig, solange die Böden durchlüftet sind. Denn dabei degradieren sie stark und gehen verloren. Ich finde, für schwindende Böden dürften keine Versorgungssicherheitsbeiträge vergeben werden.» Längerfristig würden diese nämlich nicht der Ernährungssicherheit dienen, mit der die finanzielle Unterstützung der Produktion begründet wird. Naturschutz vor Landwirtschaft also? Gubler verneint: «Natürlich geht es nicht darum, alle organischen Böden in der Schweiz zu fluten. Aber unter heutiger Nutzung sind diese Böden grosse CO2-Quellen, und wir müssen uns ernsthaft überlegen, wie wir sie nachhaltiger bewirtschaften können.»
Ähnlich sehen das Naturschutzbeauftragte der Kantone Bern, Zürich und Aargau. In einem Pilotprojekt untersuchten sie, welche landwirtschaftlich genutzten drainierten Böden sich für eine Wiedervernässung eignen könnten. Die Entwässerungssysteme dieser Böden sind veraltet und müssten ersetzt werden. Stattdessen schlagen die Expert:innen langfristig rentable Renaturierungen bestimmter Flächen vor: Im Kanton Zürich könnten knapp zehn Prozent der drainierten landwirtschaftlichen Böden zu Feuchtgebieten renaturiert werden und so mittelfristig 18 000 Tonnen weniger CO2 pro Jahr in die Luft gelangen. Das wäre fast so viel, wie alle heute noch durchlüfteten Hochmoorböden jährlich ausstossen. Doch wie kann ein Verlust an Ackerflächen mit ausreichender Nahrungsproduktion einhergehen?
Bereits vor vier Jahren hat eine Studie der Schweizerischen Bundesanstalt für landwirtschaftliche Forschung (Agroscope) gezeigt, dass eine umweltschonendere Produktion unserer Nahrung mit gleichem Kalorienertrag durchaus möglich ist und gleichzeitig sogar weniger Essen importiert werden müsste. Das geht, wenn der Fleischkonsum sinkt und weniger Essen weggeworfen wird. Ähnliche Ergebnisse gibt es auf globaler Ebene. Ende September hat nun auch der Uno-Welternährungsgipfel den Konsumwandel ins Zentrum gerückt. Adrian Müller vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau erklärt, was das für die Schweiz hiesse: «Wir würden nur so viel Fleisch essen, wie wir mit Grasflächen, wo Wiederkäuer grasen, produzieren könnten. Und ganz wenige Schweine und Hühner würden Nebenprodukte und nicht wiederverwertbare Abfälle fressen. Flächen, auf denen heute Futtermittel wie Mais wächst, wären frei.» Wir müssten mehr pflanzliche Lebensmittel mit hohem Kalorien-, Fett- und Proteingehalt anbauen. Zum Beispiel Bohnen, Linsen oder Nüsse. «Auf einem Teil der frei werdenden Flächen liesse sich vielleicht die Biodiversität fördern, doch dies ist etwas schwieriger und dauert länger. Aber das Wiedervernässen von Böden, die sogar noch sanft bewirtschaftet werden könnten, würde sehr schnell und effizient dazu führen, dass der Bodenkohlenstoff im Erdreich bleibt.»
Am Rande des Gamperfiner Hochmoores steht ein neuer Aussichtsturm aus Grabser Lärchenholz. Von dort schweift der Blick über die rotbraune Landschaft. Das Torfmoor wächst gut, seit die ehemals für den Holzgewinn gepflanzten Bergföhren ausgelichtet wurden. Die Sonnenstrahlen erreichen nun den Boden. Je dunkler die Rottöne, desto dichter die Pflänzchen und desto schneller wird sich die Torfschicht wieder aufbauen. Peter Staubli ist zufrieden: «Eine Moorrenaturierung ist wie ein gebrochenes Bein. Zuerst schient und flickt man es. Doch danach muss es zusammenwachsen und auch wieder funktionieren.» Beim Gamperfiner scheint dies geklappt zu haben.
* Korrigendum vom 19. Oktober 2021: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion schrieben wir, die Feuchtlebensräume müssten um mehr als das Doppelte vergrössert werden, was eine Verdreifachung bedeuten würde.
Organische Böden
Moore sind Lebensräume mit viel Wasser, das nur schwer abfliessen kann. In der Schweiz sind nach dem Rückzug der Eiszeitgletscher viele undurchlässige Untergründe zurückgeblieben, auf denen sich Moore bilden konnten. Hochmoore sind oft viele Tausend Jahre alt und haben eine Torfschicht, die hauptsächlich von Regenwasser vernässt wird. Flachmoore sind häufig etwas jünger und werden von nährstoffreichem Grund- oder Hangwasser gespeist.
In der Schweiz wurden Moore entwässert, um sie landwirtschaftlich zu nutzen, oder im Falle der Hochmoore auch, um Torf zum Heizen abzubauen. Dies hat man mit Entwässerungsgräben und unterirdischen Rohrsystemen, sogenannten Drainagen, erreicht. Erst seit 1987 stehen Moore gemäss Bundesverfassung unter Schutz. Da Böden heutiger und ehemaliger Feuchtgebiete einen hohen Kohlenstoffanteil haben, zählt man sie zu den organischen Böden.