Wie wir leben werden (10): Die ungebändigten Kohlenstoff­speicher

Nr. 22 –

Moore sind essenziell für den Klimaschutz – und sie sind empfindlich. Darum lädt die Künstlerin Riva Pinto nicht zu Exkursionen in Feuchtgebiete ein, sondern bringt die Eindrücke des Moors in die Stadt.

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Riva Pinto arbeitet in der Ausstellung an einem Tufting-Bild
Ein Froschkonzert um Mitternacht inklusive: Das Kunstprojekt von Riva Pinto.

Das Moor hängt an der Wand. Es muss Spätsommer sein, manche Moospolster haben sich schon herbstlich verfärbt. «Wie hältst du es am Leben?», habe ein Bekannter gefragt, erzählt Riva Pinto. Dieses Moor sieht tatsächlich sehr lebendig aus, wenn man einen Meter davorsteht. Kaum zu glauben: Es ist aus Wolle. Die Farben passen perfekt. Und es tönt: Vögel singen, Heuschrecken zirpen, Wasserbüffel grunzen. Das alles dringt aus den Moospolstern.

«More Moor» heisst Pintos preisgekrönte Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Eine Arbeit wie eine Reise ins Moor, mitten in der Stadt. «Ich möchte nicht Leute zuhauf ins Ökosystem einladen, um sie für Moore zu sensibilisieren», sagt die Künstlerin. «Das würde das Ökosystem stören. Darum habe ich beschlossen, die sinnliche und emotionale Wahrnehmung, die im Moor entsteht, zu erfassen und in einen Raum zu bringen.» Zur Ausstellung gehört ein weiteres Wandobjekt, das ein Stück entwässertes Moor darstellt: eine uniforme grüne Wiese. Am beliebtesten bei Besucher:innen ist das grösste Objekt: ein weich gepolstertes Stück Moor zum Draufliegen mit einer Tonspur, die die Landschaft selbst zu Wort kommen lässt.

Schaurig oder schön?

Pinto ist im süddeutschen Oberallgäu in ­einer naturbegeisterten Familie aufgewachsen. «Von meiner Mutter habe ich die Vogelstimmen gelernt. Wenn ich einen Vogel höre, sage ich fast automatisch seinen Namen – meine Bekannten wundern sich manchmal.» Die Wohnsiedlung der Eltern liegt in der Nähe mehrerer Moorgebiete. Als Kind war Pinto häufig dort. «Das Moor war immer da. Für mich ist es nah und wunderschön.»

Als Erwachsene merkte sie: «Anders als zum Wald haben die meisten Leute in meinem Umfeld keinen Bezug zu Mooren.» Bis heute haben diese Landschaften ein dunkles Image. «O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn», schrieb Annette von Droste-Hülshoff vor 183 Jahren. Das gelte noch heute, sagt die 31-Jährige. «In Fantasygeschichten und Games leben im Moor wilde Wesen, Leute verirren sich oder werden ertränkt. Historisch ist das verständlich: Moore sind wild, haben ein Eigenleben, lassen sich schwer bändigen. Früher waren sie auch berüchtigt, weil Stechmücken Krankheiten übertrugen.» Sie wolle ein positiveres Bild zeigen: «Moore sind nicht nur schön und ein unersetzlicher Lebensraum für gefährdete Arten, sie haben auch eine grosse Bedeutung fürs Klima.»

Moore machen global nur drei Prozent der Landfläche aus, speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen. Das liegt daran, dass Torfmoose ständig weiterwachsen, abgestorbene Pflanzenteile sich im wassergesättigten Boden aber nicht zersetzen, sondern zu Torf werden und damit Kohlenstoff einlagern. So entzieht ein intaktes Moor der Atmosphäre CO₂. In einem entwässerten Moor baut sich der Torf ab, und der Kohlenstoff entweicht als Treibhausgas. Gestörte Moore zu renaturieren, ist darum eine der effektivsten Klimaschutzmassnahmen, die es gibt. Das führt allerdings oft zu Konflikten, denn Torfböden sind in der Landwirtschaft begehrt. Doch auch renaturierte Moore könnten genutzt werden, sagt Pinto. «Man baut Pflanzen wie Schilf oder Rohrkolben an und nutzt sie als Rohstoff, zum Beispiel als Baumaterial.» Beispiele solcher Baustoffe sind Teil ihrer Ausstellung.

Tasten statt sehen

Für ihre Arbeit hat Pinto keinen Aufwand gescheut: Sie hat eine Umweltpsychologin und einen Moorexperten interviewt, die Rolle der Moore in der Literatur dokumentiert und Tag und Nacht Klänge aufgenommen, manchmal zusammen mit ihrer Mutter. Ein Froschkonzert um Mitternacht wird von einem lauten Platschen unterbrochen: «Da ist direkt neben uns ein Biber ins Wasser gesprungen.» Auch in entwässerten Mooren hat Pinto aufgenommen: «Die Klanglandschaft war allerdings nicht mehr moortypisch und oft weniger vielfältig.»

Um die Moorteppiche herzustellen, hat sie eine textile Technik gelernt, das Tufting: Mit einer Art Pistole werden die Wollfäden durch eine Leinwand geschossen. Auf Videos hat sie in der Ausstellung bewusst verzichtet: «Sie dominieren unseren Alltag so stark. Ich wollte andere Sinne ansprechen, vor allem Gehör und Tastsinn. Es freut mich, dass Kinder oft lange in der Ausstellung bleiben, sich auf dem Moorteppich wohlfühlen.»

«More Moor» wurde schon in ganz verschiedenen Kontexten gezeigt: bei den Bodentagen der Stiftung Kunst und Natur Nantesbuch genauso wie am Animationsfilmfestival Fantoche in Baden oder an der New Yorker Klimawoche. Nun möchte Riva Pinto die Ausstellung noch ausbauen. Im Atelier steht ein Rahmen mit einem unfertigen Moorteppich. «Ich würde gern auch andere gefährdete Landschaften nachbilden, zum Beispiel Auenwälder, Küstengebiete oder alpine Regionen. Aber erst soll das Moor weiterwachsen.»

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