Graubünden: Der Architekt hinter dem «Green Deal»

Nr. 43 –

Philipp Wilhelm ist erster sozialdemokratischer Landammann von Davos. Als Kantonsparlamentarier hat er den «Green Deal» eingefädelt. Den ersten Umsetzungsschritten stimmte der Grosse Rat Graubünden letzte Woche zu. Wie tickt der 33-Jährige mit dem prallen Lebenslauf?

Es hat sich gelohnt, auf Anreize zu setzen statt auf Verbote: der Davoser Landammann Philipp Wilhelm. Foto: Meinrad Schade

Anfangs sei der Auftritt mit Krawatte und Jackett Kalkül gewesen. «Wenn mich deswegen Menschen für voller nehmen, ist es das wert», sagt Philipp Wilhelm. Wilhelm ist der erste sozialdemokratische Landammann von Davos, wie der Gemeindepräsident im alpinen Städtchen heisst. Für das neue Amt habe er ein Auto leasen müssen, einen Hybrid mit Allradantrieb. Denn ohne geländetauglichen Wagen käme er in der 284-Quadratkilometer-Gemeinde nicht schnell genug von Sitzung zu Sitzung. Wann immer es möglich sei, nehme er den öffentlichen Verkehr, zum Beispiel in den Grossen Rat nach Chur. Die Zugfahrt von Davos nach Chur dauert länger als von Zürich nach Chur. Der ÖV ist ausbaufähig.

1,7 Milliarden bis 2050

Letzte Woche stimmte das stockbürgerliche Parlament der ersten Umsetzungsetappe des «Green Deal für Graubünden» in der Höhe von 67 Millionen Franken zu. Dieses Geld fliesst unter anderem in die Förderung des ÖV, in erneuerbare Energien und Gebäudesanierungen. Eingefädelt hat diesen «Green Deal» Philipp Wilhelm mit einem Vorstoss. Im Februar 2019, als anderswo Klimanotstände ausgerufen wurden, stellte er sich die Frage: Wie bringt man das Thema mehr als symbolisch voran, auf eine Art, dass es in Graubünden mehrheitsfähig ist? «Unsere Antwort: Wenn man es mit einem Konjunkturpaket verbindet.» Die neunzehn SP-Grossrät:innen – die einzigen Linken im Parlament – weibelten als Team für das Vorhaben, unterstützt von einzelnen Bürgerlichen. 81 von 120 Grossrät:innen haben den Vorstoss schliesslich unterschrieben: Die Regierung solle «mit höchster zeitlicher Priorität» einen Aktionsplan vorlegen, mit dem Graubünden klimaneutral wird und neue Arbeitsplätze schafft.

Der Skandal um das Baukartell prägte 2018 den Bündner Wahlkampf. «Das Image grosser Teile der Baubranche war ruiniert. Früher folgte sie dem Geschäftsmodell ‹Mauscheln›», sagt Wilhelm. «Der Green Deal soll auch beim Wechsel ins Geschäftsmodell ‹Fitmachen für die Zukunft› helfen.» Dass Graubünden die Baubranche brauche, sei klar. Ihr Beitrag sei entscheidend für das «Sichern von Existenzen an der Peripherie» der Schweiz. Der vorliegende «Aktionsplan Green Deal» soll 1,7 Milliarden Franken kosten. Dass die zweite Etappe so breit abgestützt sein wird, wenn es mehr ins Geld und um neue gesetzliche Grundlagen geht, ist zweifelhaft. Wilhelm hofft «auf kluge Lösungen», in seiner diplomatischen Art: Statt von einem Ölheizungsverbot redet er über «Anreize und Vorgaben zum Ersatz von Ölheizungen». Der Bündner Klimastreik forderte, den Treibhausgasausstoss bis 2030 auf netto null zu senken, Wilhelms SP wollte 2040 festlegen. Das war chancenlos: Ein GLP-Grossrat sagte in der Debatte, Graubünden könne «stolz sein», wenn es bis 2050 netto null erreiche.

Natürlich sei das Zieljahr 2050 nicht revolutionär, sagt Wilhelm der WOZ: «Aber der Aktionsplan macht ein Ausstiegsszenario konkret.» Das erstellte Treibhausgasbudget ermögliche, Absenkpfade durchzuspielen, und schaffe Transparenz. «Die Leute sehen jetzt, dass hier jährlich 400 Millionen Franken für fossile Energie an internationale Konzerne fliessen.» Man habe im Kanton doch genug Wasser, Sonne und kluge Köpfe. Als Beispiel nennt Wilhelm die Solarfaltdachanlagen einer Bündner Firma, die die Kläranlagen von Chur und Davos überdeckeln.

Klimawandel konkret

Gerade nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes mache ihm die Investitionsbereitschaft eines Kantons mit 200 000 Einwohner:innen Hoffnung. Der Klimawandel trifft Bergregionen besonders hart. Von seinem Wohnzimmerfenster sieht Wilhelm das Seehorn, wo letztes Jahr 25 000 Tonnen Geröll eine Waldstrasse unter sich begruben. Der Auslöser für den Felssturz konnte nicht festgestellt werden. «Fakt ist: Solche Ereignisse häufen sich.» Problembewusstsein ist weit über Wilhelms Wähler:innenschaft hinaus vorhanden: Seit dreissig Jahren unterhält die Gemeinde Davos eine Umweltfachstelle. Die Tourismusorganisation Davos verfolgt den Plan, mit «Davos Klima 2030» bis in neun Jahren «klimaneutral» zu werden. Allerdings mit Kompensationszahlungen, mit denen sich auch das Weltwirtschaftsforum Wef von seinen Emissionen freikauft.

Als Jugendlicher demonstrierte Wilhelm gegen das Wef. Dieses Jahr, als im Zuge der Pandemie der dauerhafte Wegzug des Wirtschaftskongresses drohte, musste er diesen nur schon von Amtes wegen verhindern. Die Frage «Wann werden Prinzipien zum Selbstzweck?» habe ihn schon als Jugendlicher umgetrieben. «Einmal im Jahr zu demonstrieren, verändert wenig. Mir ist das Konkrete wichtiger.» Etwa das Engagement bei der IG Offenes Davos, einer Art Autonomen Schule in den Alpen, oder bei Davos Dahai, der Gruppe hinter der gescheiterten Initiative für bezahlbares Wohnen. In beiden Fällen war Wilhelm Mitgründer und prägend im Vorstand. Der Architekt hat eine so pralle Biografie wie andere mit fünfzig: Anstellung als Schreiner im elterlichen Betrieb, Ko-Autor eines Architekturführers, bis zur Wahl als Landammann Präsident der SP Graubünden. Hätte Wilhelm diese Wahl verloren, hätte er im Davoser Gemeindeparlament wegen der Amtszeitbeschränkung aufhören müssen. Mit 32.

Wer den 33-Jährigen im Rathaus Davos besucht, passiert die strengen Gesichter seiner Vorgänger – alles krawattierte Männer. Dass Wilhelm sich ihnen optisch anpasst, scheint es wert zu sein.