Klimaaktionsplan: Wie stoppt man das Fliegen?
Wie kann die Schweiz bis 2030 klimaneutral werden? Seit Monaten diskutieren VertreterInnen der Klimabewegung mit ExpertInnen über einen Plan. Inzwischen liegt ein Entwurf vor. Ein Werkstattbericht.
Sie treffen sich an einem Samstagmorgen Anfang März in einem engen Raum im Gemeindehaus der Berner Johanneskirche. Rund dreissig Leute sind gekommen, um während rund fünf Stunden darüber zu reden, wie die Schweiz in nur zehn Jahren klimaneutral werden könnte. Neben den AktivistInnen aus der Klimastreikbewegung sitzen auch einige ältere ExpertInnen in der Runde. Es wird Englisch gesprochen.
Neun Tage später erlässt der Bundesrat wegen der Coronapandemie ein Versammlungsverbot. In den nächsten Wochen und vielleicht sogar Monaten wird sich auch die Klimastreikbewegung nur noch per Telefon- und Videokonferenz austauschen können.
Kooperativen ersetzen AGs
Die Schweiz muss bis zum Jahr 2030 auf netto null Treibhausgasausstoss! Diese Forderung gehört zu den Kernanliegen der Klimastreikbewegung. Denn um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und den Anstieg der globalen Temperatur auf deutlich unter zwei Grad zu beschränken, müssen vorab die hoch entwickelten Industrieländer besonders schnell handeln. Sie sind dazu am besten in der Lage. Ausserdem haben sie pro Kopf bereits sehr viele Treibhausgase ausgestossen. Ihr CO₂-Budget ist bereits jetzt fast aufgebraucht.
Als Ende 2018 die Klimastreiks starteten, stellten die Streikenden ihre Forderung an die PolitikerInnen und hofften, diese würden konkrete Pläne entwickeln. Doch vieles blieb vage. Im Herbst 2019 begann sich die Klimabewegung mit ExpertInnen auszutauschen. Sie bildete zwölf Arbeitsgruppen, in denen Themen wie Landwirtschaft, Energieversorgung und Mobilität diskutiert wurden. Die meisten Arbeitsgruppen haben inzwischen ausführliche Arbeitspapiere verfasst, in denen ganz konkrete Massnahmen formuliert werden. Sie sollen demokratisch umsetzbar sein, ist man sich auf der Versammlung einig.
Einige der Forderungen gehen sehr weit: Sie postulieren faktisch einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft. Wie das innerhalb von nur zehn Jahren zu schaffen sein soll, bleibt allerdings unklar. So wird etwa ein garantiertes Grundeinkommen oder ein bezahltes Sabbatical-Jahr gefordert. Stiftungen und Kooperativen würden klassische gewinnorientierte Unternehmen ersetzen. Nicht mehr das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts würde erhoben, sondern die Entwicklung der Nachhaltigkeit. Der Staat würde viel mehr als heute in die Wirtschaft eingreifen und etwa die Care-Ökonomie stärken, also den Ausbau von Pflegeeinrichtungen und Kindertagesstätten vorantreiben und das Personal in diesem Bereich aufstocken.
Auch soll es künftig eine öffentliche Anstalt für grüne Arbeit geben. Diese würde Aus- und Weiterbildung in Bereichen der nachhaltigen Wirtschaft organisieren und unterstützen, aber auch etwa HausbesitzerInnen beim energetischen Umbau beraten. Ein Vorschlag ist zudem die Einrichtung von «Klimawerkstätten» als Teil des Service public. In diesen Werkstätten soll im ganzen Land die nachhaltige Nutzung von Gütern, Maschinen und Einrichtungen propagiert und gelebt werden. Wenn etwas kaputt ist, wird es wenn möglich wieder repariert. 20 000 neue Arbeitsplätze könnten so geschaffen werden.
Viel Geld braucht es sowieso
Andere vorgeschlagene Massnahmen sind innerhalb der jetzigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen relativ einfach umsetzbar und könnten auch mehrheitsfähig sein. So soll mehr Geld in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und in die Umstellung auf nachhaltige Stromerzeugung fliessen. Öffentliche Gelder bräuchte es aber auch, um alle Gebäude energetisch umzurüsten. Zudem soll mehr Geld an die Länder fliessen, denen die Mittel fehlen, um sich den Klimaveränderungen anzupassen und selber Massnahmen zur Reduktion des Treibhausgasaustosses zu finanzieren. Auch bräuchte es Gelder, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen – als Alternativen zu Jobs, die CO₂-intensiv sind.
Dass es machbar und möglich ist, auch sehr viel staatliches Geld zu mobilisieren, führt uns gerade die Coronakrise vor Augen. Dabei könnte eine neu zu schaffende Klimabank hilfreich sein, die den Umbau hin zu einer CO₂-freien Wirtschaft mit günstigen Krediten finanziert. Auch die Nationalbank könnte ihren Teil beitragen, wie es in einem Vorschlag heisst.
Lenken mit Steuern
Die AutorInnen des Klimaplans schlagen zudem diverse Massnahmen in der Steuerpolitik vor. Dabei geht es weniger darum, neue Einkommensquellen zu erschliessen, als um Instrumente zur Steuerung. Wer sich klimaschädlich verhält, soll dafür höhere Steuern zahlen; sei es beim Fleischkonsum, beim Autofahren oder beim Konsum anderer CO₂-intensiver Güter. Diese Steuern sollen jedoch an die Bevölkerung zurückverteilt werden. Auch Verbote werden zur Steuerung ins Spiel gebracht: Mit Benzin- und Dieselautos muss es innerhalb von zehn Jahren genauso vorbei sein wie mit Ölheizungen. Und auch mit neunzig Prozent aller Flüge.
Es ist wohl die generelle Problematik des Klimaplans, die auch bleibt, wenn nun noch daran rumgefeilt wird: Viele der nötigen, kurzfristig durchsetzbaren Massnahmen können als Bürde gesehen werden. Und es trifft – etwa im Fall von Konsumsteuern – jene mit kleinem Portemonnaie stärker. Dagegen sind die Vorschläge, die auf ein besseres Leben für alle zielen, eher im utopischen und langfristigen Bereich einzuordnen. So stellt sich die Frage: Wie will man Menschen ein weniger konsumorientiertes Leben schmackhaft machen? Was nützen die besten Pläne, wenn die Menschen sie nicht wollen?
Die massive Einschränkung des Flugverkehrs ist eine besonders stark spürbare Massnahme, die auch sehr viele Arbeitsplätze kostet. «Wie gehen wir damit um?», fragt denn am Treffen auch Arbeitsgruppenmitglied Lucie Petetin. Sie stellt die Frage mehrmals, diese bleibt jedoch unbeantwortet.
Entscheidender Punkt bei der Umsetzung wird die Bereitschaft der Bevölkerung sein. Wenn die grosse Mehrheit nicht von der Notwendigkeit des Wandels überzeugt ist, wird jeder Klimaaktionsplan ein Papiertiger bleiben. Die KlimaaktivistInnen schlagen deshalb vor, dass der Klimawandel vom Kindergarten bis zur Uni thematisiert wird, etwa mit obligatorischen Klimawochen in allen Schulen. Die Bevölkerung müsse regelmässig mit Briefen an die Haushalte, Ansprachen und Informationsanlässen informiert werden. Ein «Matterhorn-Label» soll zudem Produkte auszeichnen, die mit netto null produziert wurden.
Den Klimaversammlungen wird ebenfalls eine zentrale Bedeutung bei der Bewusstseinsbildung beigemessen: Künftig sollen sie die Bevölkerung vor Ort aktivieren und ein Raum sein für Diskussionen über die lokale Umsetzung des Klimaaktionsplans. Die Klimaversammlungen werden, so eine vorgeschlagene Massnahme des Plans, staatlich unterstützt. Schaffen sie die Zahl von hundert Mitgliedern, haben sie Anrecht darauf, dass jemand aus ihren Reihen mit einem Stipendium unterstützt wird, das sein Grundeinkommen deckt. Es soll auch eine nationale Koordination der Klimaräte geben. Ursprünglich waren für den 15. März an sechzig Orten erste regionale Versammlungen geplant. Wegen der Coronapandemie haben die meisten davon nicht stattgefunden.
Wie weiter?
Mit der Coronakrise ist derzeit ohnehin etwas Druck aus der Entwicklung des Aktionsplans genommen worden. Ursprünglich hätte er zum Klimastreik vom 15. Mai veröffentlicht werden sollen – das scheint nun nicht mehr realisierbar. Der Klimastreikende Jonas Kampus sagt an der Versammlung, wichtig sei, dass die Bewegung als Ganzes hinter dem Plan stehe und sich mit ihm identifiziere.
Klar ist: Um aus den vorliegenden Vorschlägen einen kohärenten Plan auszuarbeiten, braucht es eine Schärfung. Man müsste klarer herausarbeiten, was mit den bestehenden politischen Mehrheitsverhältnissen umsetzbar ist – und diese Massnahmen priorisieren. Daneben ist es aber auch wichtig, die eher utopischen Vorstellungen noch klarer zu bündeln und mehr an der Frage zu arbeiten, wie diese Utopie in der Gesellschaft breiter verankert werden kann.