Mafia: Erwacht die offizielle Schweiz?

Nr. 43 –

Stefan Blättlers erste Dienstreise führt nach Rom. Für den neuen Bundesanwalt habe die organisierte Kriminalität Priorität, heisst es. Auch sein Vorgänger Michael Lauber kündigte 2013 an, die Bundesanwaltschaft wolle vordringlich gegen die italienischen Mafias ermitteln, und forderte unter anderem eine Verschärfung des Geldwäschereigesetzes.

Als im Jahr darauf in Frauenfeld dank italienischer Ermittlungsarbeit eine Zelle der ’Ndrangheta aufflog, verharmloste Lauber dann allerdings: «Die Schweiz ist kein mafiöses Land.» Und stimmte damit in den allgemeinen Chor ein. Dabei ist seit langem klar, dass Cosa Nostra, Camorra und ’Ndrangheta das Land als Rückzugsraum nutzen, in dem sie ungestört von griffigen Gesetzen und Ermittlungsmethoden ihren Geschäften nachgehen.

Die Präsenz der Mafiaorganisationen in der Schweiz hat übrigens der auf organisierte Kriminalität spezialisierte kalabresische Soziologe Francesco Forgione nachgewiesen. Der italienische Investigativjournalist und Kriminologe Giovanni Tizian sagte in einem grossen WOZ-Interview (siehe WOZ Nr. 39/2014 ) zur Frauenfelder Mafiazelle: «Ich habe in ‹La Repubblica› bereits 2012 über die Verbindungen zwischen Kalabrien und der Frauenfelder Zelle geschrieben. Die Staatsanwaltschaft in Reggio Calabria weiss seit 2010 Bescheid.»

Konfrontiert mit Laubers Einschätzung, antwortete er: «Das erinnert mich an die Haltung der norditalienischen Gesellschaft. Auch hier nehmen Wirtschaft und Politik die Gefahr immer noch zu wenig ernst. Sie erkennen nicht, wie gefährlich diese Mafiosi sind, wie sehr sie die legale Wirtschaft und die Gesellschaft schädigen.»

Nun dämmert es selbst dem Bundesrat. Die Präsenz der Mafias sei jahrzehntelang unterschätzt worden. Das schreiben die Zeitungen von CH Media diese Woche. Sie nehmen sich des bedrohlichen Phänomens in einer grossen Serie an. Im Auftaktartikel schlagen auch Politiker, Anwält:innen und Ermittler aus dem Tessin Alarm. Ob den grossen Ankündigungen nun Taten folgen?