Atomkraft: Nicht aus Angst das Falsche tun
Mit den fehlenden Masken im ersten Lockdown fing es an. Dieses für verwöhnte Schweizer:innen irritierende Gefühl: Wir haben zwar Geld, aber kommen trotzdem nicht an die Ware. Unterdessen hat es sich ausgebreitet: Europa fürchtet sich vor zu wenig Gas, fehlenden Autoteilen und Leere unter dem Christbaum. Und in der Schweiz geht die Angst um, man müsse bald wieder auf dem Fonduerechaud kochen.
Wir schaffen das, liess Axpo-Chef Christoph Brand neulich verlauten: Die Energiewende sei ohne Stromlücke machbar. Aber nur, wenn die Schweizer Atomkraftwerke sechzig Jahre lang laufen dürften. Dasselbe fordern SVP-Vertreter:innen, und auch das Bundesamt für Energie liebäugelt mit der Idee, nachdem zuvor eine Laufzeit von fünfzig Jahren als Massstab galt. Beznau 1, das älteste AKW der Welt, hat die fünfzig bereits überschritten.
Schweizer AKWs dürfen so lange laufen, wie sie die Atomaufsichtsbehörde Ensi für sicher hält. Auf sechzig Jahre waren sie aber nie ausgerichtet. Immer wieder sind teure Nachrüstungen nötig. Jetzt hat die Schweizerische Energie-Stiftung eine Studie veröffentlicht, die Mängel im AKW Leibstadt dokumentiert. Die Sicherheitssysteme erfüllten heutige Anforderungen nicht, und das Werk sei ungenügend gegen Flugzeugabstürze geschützt. Studienautor Manfred Mertins von der Technischen Hochschule Brandenburg gibt zudem zu bedenken, dass «die meteorologisch bedingten übergreifenden Einwirkungen (Starkregen, Sturm, Trockenheit)» mit dem Klimawandel immer grössere Bedeutung hätten. Was das heisst, hat der Sommer gezeigt. Noch mehr als Leibstadt betrifft es Beznau 1 und 2, die auf einer Insel im Unterlauf der Aare stehen. Sie führt an dieser Stelle mehr Wasser als jeder andere Fluss der Schweiz.
Wer Angst hat, neigt dazu, ungute Kompromisse einzugehen. Dabei wäre klares Denken gerade in diesem Moment wichtig. Das gilt auch für die Angst vor dem Stromausfall. Sonst handelt man sich am Ende eine «Lösung» ein, die zu Recht Angst macht. Die Risiken der alten Schweizer AKWs werden mit jedem Betriebsjahr grösser.