Digitale Nachhaltigkeit: Demokratie für das Netz

Nr. 44 –

Das World Wide Web sollte eigentlich ein Ort sein, an dem Informationen frei zugänglich sind. Ein Ort, an dem Wissen geteilt und gemeinsam genutzt werden kann. Weil die Monopolisierung im digitalen Raum immer weiter zunimmt, ist diese Vision allerdings längst in weite Ferne gerückt. Techkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft versuchen, Märkte an sich zu reissen, die Konkurrenz auszubooten und Nutzer:innen an sich zu binden.

Spotify oder Netflix etwa versprechen den Zugang zum kulturellen Fundus aus Musik und Film. Tatsächlich errichten sie ein gut umzäuntes Gärtchen für Privilegierte. Klar, die Lieblingssongs auf Spotify sind stets verfügbar – solange man den Dienst auch brav bezahlt. Wer aber einmal nicht mehr zahlen will oder kann, verliert mit einem Schlag die Musiksammlung. Und wer bei Netflix auch in fünfzehn Jahren noch zum x-ten Mal die Lieblingsfolge von «Gilmore Girls» geniessen möchte, muss hoffen, dass die Nutzungsverträge mit dem Streamingdienst brav weiterlaufen.

In Schulen und Firmen wiederum tun Microsoft und Apple ihr Bestes, um alternativlos zu werden. Wer Sicherheitsupdates erhalten und bestehende Dokumente weiterhin sauber bearbeiten möchte, muss die Nutzungslizenzen für Officeprogramme jährlich erneuern. Und wer einmal im Universum der Apple-Geräte versinkt, findet den Ausweg kaum mehr. Alles ist so praktisch miteinander synchronisiert und aufeinander abgestimmt – solange man die Geräte «designed in California» nutzt.

Häufig verhalten sich die Techgiganten wie Dealer: Der erste Schuss ist gratis – wer aber erst einmal angefixt ist, kommt vom Stoff kaum mehr weg. Davon können Schulen seit der Pandemie ein Lied singen: Die Umstellung auf Digitalunterricht musste schnell gehen, und mit Zoom oder Teams standen bereits Programme in den Startlöchern. Anfangs waren sie günstig. Kaum hatten sich alle an die Nutzung gewöhnt und ihre Prozesse entsprechend angepasst, wurden Gebühren fällig. Für einen Wechsel zu einem offeneren System fehlten dann schlicht Zeit und Energie.

In weniger privilegierten Weltregionen nutzen Konzerne die Abhängigkeit vom Internet noch schamloser aus. So bieten Internetprovider kostenlosen Anschluss für Schulen und Dörfer, wollen aber im Gegenzug Monopolanbieter werden und so die Preise willkürlich bestimmen. Auch Facebook zementiert die eigenen Monopolabsichten mit der kürzlichen Umbenennung in Meta. Gemäss einem internen Memo aus dem Jahr 2018 steckt dahinter der Wunsch, den Tummelplatz der virtuellen Realität frühzeitig zu besetzen und andere gar nicht erst zum Zug kommen zu lassen.

All das verlangt nach Gegensteuer. Mit digitaler Nachhaltigkeit könnte das klappen. Dahinter steckt das Streben nach digitalem Wissen, das für alle zugänglich ist, etwa dank offener Software mit öffentlichem Quellcode. So lassen sich Programme nicht nur beliebig lange nutzen oder für spezielle Ansprüche umbauen. Offene Software sorgt auch für Transparenz. Denn eine öffentliche digitale Bauanleitung lässt sich überprüfen. So kann sichergestellt werden, dass das Ding das macht, was es machen sollte – und nicht etwa Daten durch die Hintertür abfliessen.

Natürlich wäre es auch im Sinne von Regierungen, dass staatlich finanziertes Wissen allen zugutekommt. Stattdessen spielen sie den Monopolisten in die Hände: In der Verwaltung werden oft die Dienste von Microsoft und Amazon genutzt, weil sie so reibungslos funktionieren. Würde das Steuergeld in die Entwicklung offener Software investiert, entstünden nachhaltige Alternativen. Auch öffentliche Beschaffungen werden gerne so formuliert, dass nur ein Anbieter infrage kommt. So entstehen Abhängigkeitsspiralen, aus denen man nicht wieder hinausfindet.

Um die Interessen der Allgemeinheit zu wahren, muss digitale Nachhaltigkeit gefördert werden. Es ist dringend nötig, die Gestaltungsmacht über das Zusammenleben im Digitalen zu demokratisieren – und das Feld nicht den Profitinteressen weniger Techmilliardäre zu überlassen.

Die Broschüre «Digitale Nachhaltigkeit / nachhaltige Digitalisierung» war der gedruckten WOZ beigelegt, kann nachbestellt werden und findet sich auch auf digitale-gesellschaft.ch/nachhaltigkeit .

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