Kost und Logis: Offene Rechnungen

Nr. 44 –

Ruth Wysseier über tierische Probleme

In einer einzigen Nacht hat der Luchs drei Rebbergschafe eines Kollegen totgebissen – sich quasi einen Kadavervorrat angelegt. Eine Bekannte ist einem Luchs auf dem Weg zum Chasseral begegnet, sie hat ihn fotografiert. Er hatte etwa die Grösse eines Pumas und sah zum Fürchten aus.

In den letzten drei Jahrzehnten, seit die Reben begrünt sind und es viele Hecken gibt, ist die tierische Bevölkerung in den Weinbergen enorm gewachsen. Das ist natürlich positiv, Eidechsli sind herzig, Würmer, Käfer, Insekten nützlich. Doch mittlerweile hat es so viele grössere und hungrige Tiere wie Hasen, Rehe und Füchse, dass sie mich nicht mehr nur erfreuen.

Ich töte manchmal Tiere. Neulich habe ich eine Viper totgeschlagen, die mir die Katze vor die Füsse gelegt hatte. Sie lebte noch, war aber verletzt, was mir eine «licence to kill» gab. Ich esse auch Fleisch von Tieren. Nicht mehr so häufig wie früher, aber mit Genuss. Keine Ahnung, ob die Tiere, mit denen ich meinen Lebensraum teile und die quasi aus meinem Teller essen, wissen, dass sie in mein Beuteschema passen.

Das Reh liebt frische Triebspitzen. Es köpft im Frühling ganze Reihen, die Stöcke wachsen danach buschig nach, aber ohne Trauben. Der Wald oberhalb unserer Reben ist sehr felsig und zu steil für die Jagd, also ein Paradies für Bambis. Reh galt bei uns immer als ultimative Herbstdelikatesse, schon zu meiner Taufe hatte meine Mutter Hors-d’œuvre und Rehrücken aufgetischt.

Mit dem Biber kämpfe ich um unseren Feigenbaum. Er hat ihn bereits um vier Fünftel dezimiert. Mit immer höherem Drahtgeflecht versuchte ich, den Baum zu schützen, doch er fand den Weg auf die Rebmauer und griff von oben an. Ich hasse ihn und lese im Netz Biberrezepte (als Braten mit Knödeln oder als Rahmgeschnetzeltes wird sein Biofleisch empfohlen).

Der Dachs (eventuell wars auch der Fuchs) hat uns diesen Herbst die Seitenschutznetze aufgerissen, mit denen wir die Trauben vor Vogelfrass, Bienen, Wespen und eben Dachsen schützen. Immerhin frisst er die ganzen Trauben und lässt nur die Stielgerüste übrig. Als Visitenkarte kackt er dann gleich vor Ort. Dachskeule mit gebratenen Äpfeln wird mir auf einem Forum empfohlen.

Vögel nerven, weil sie nicht mal eine Beere fertig fressen, sondern unzählige bloss anpicken, sodass sie faulen und Bienen und Wespen sie aussaugen. Vögel mag ich jedoch nicht mal in der Fantasie essen (davon träumen unsere Katzen), und mit den Bienen bin ich quitt, weil sie produktiv sind und ihnen schliesslich von unsereiner der ganze Honig geklaut wird.

Seit kurzem hausen wieder Marder als Squatter in unserem Estrich. Auch für sie mag ich keine Kochrezepte suchen. Dafür kenne ich ein erprobtes Mittel, wie man sie zum Ausziehen bringt: Wenn sie am Morgen zum Schlafen heimkommen, in voller Lautstärke Radio Couleur 3 durch den Dachstock dröhnen lassen. Das haut den stärksten Nager um.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. Sie träumt manchmal davon, in einem Hochhaus in der Stadt zu leben.