Fumoir: Wie Gott in Frankreich

Nr. 12 –

Ruth Wysseier über Ernährungstrends.

Als wir in Paris in einem Quartierbistro essen, das uns von Bekannten empfohlen wurde, setzt sich ein junges Paar an den Nebentisch. Sie, elegant, hübsch und schlank, fragt den Kellner: «Wie ist die ‹tête de veau›?» Seine fachkundige Antwort: «Vor allem Backe und Zunge, ziemlich fett.» Sie strahlt: «Die nehme ich – und als ersten Gang die Andouillette.» Dazu bestellen sie einen Krug Hauswein und Hahnenwasser, unterhalten sich gut gelaunt und machen sich genüsslich über die Leckereien her.

Die Menschen in Frankreich lieben ihre kulinarische Tradition und verspeisen Sachen, die ich nie bestellen würde, wie zum Beispiel diesen entbeinten und von Haut, Augen und Nase befreiten Kalbskopf oder die Andouillette, eine Kuttelwurst aus Schweinemagen.

Ich kann zwar ohne weiteres einen ganzen Fisch ausnehmen und zubereiten, aber bei Fleisch ziehe ich Stücke vor, die nicht so stark an das Tier erinnern, das da einmal war. Dennoch überzeugt mich die französische Kochkultur. Ist es nicht schön, dass über die Qualität der Wurst eine Vereinigung mit dem Namen Association amicale des amateurs d’andouillettes authentiques wacht und die Qualitätsauszeichnung «AAAAA» vergibt? Essen wie Gott in Frankreich eben! Und wie traurig, dass die Amis nur «AAA» an Banken vergeben.

In Berlin wäre uns vielleicht das «Mano Verde» empfohlen worden, die erste Adresse für vegane Küche. Die Onlinemenükarte liest sich lecker, einiges klingt vertraut, Saisonsalat an Vinaigrette oder Ravioli mache ich ja eigentlich auch vegan. Etwas unpassend vielleicht, dass so viele Zutaten aus Übersee importiert sind und man im März ein Sushi mit Nektarinen serviert. Sogar einige Weine tragen das Prädikat vegan, etwa ein südafrikanischer Chardonnay oder ein badischer Weissburgunder.

Eigentlich dürften wir die Weine von unserem Rebberg auch als vegan bezeichnen, jedenfalls brauchen wir keinerlei tierische Schönungsmittel im Keller. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail, deshalb könnte ich nicht garantieren, dass bei der Kelterung unseres Weins kein Tier zu Schaden kommt. Im Rebberg tummeln sich nämlich Unmengen von Himugüegeli und Ohrengrüblern, je naturnaher, desto mehr. Und einige sind in den Trauben versteckt und landen unweigerlich in der Presse. Ich fürchte, das ist vegan gesehen viel schlimmer, als ein Tier nur zu melken.

Nun ist es natürlich nicht meine Absicht, den VeganerInnen das Weintrinken zu verleiden, und zum Glück lese ich im «Spiegel», dass die Bewegung nicht mehr so missionarisch drauf sei, sondern den Genuss suche, und in Los Angeles die vegane Ernährung zum Statussymbol der Reichen und Schönen avanciert sei.

Schade nur, dass Essen immer weniger ein Anlass ist, einfach mit Genuss und in guter Gesellschaft den Hunger zu stillen. Kein Tag ohne neue Ernährungserkenntnis in der Zeitung: Warnung vor dem Frühstücksei, Entwarnung für das Frühstücksei, Baumnüsse gegen Prüfungsstress, Gesundheitsgefährdung durch Gammelfleisch, Skandale um falsch deklarierte Bioprodukte. Wenigstens gibt es auch sympathische Gegentrends wie das urbane Gärtnern und das Containern oder Mülltauchen, der neue Sport städtischer Jugendlicher, die weggeworfene Lebensmittel aus Abfallcontainern fischen.

Und dann gibt es die Menschen, die in Armut leben und jenseits aller Trends Hunger leiden. Für die interessiert sich möglicherweise der neue Papst. Er könnte doch mal wieder einen biblischen Fischteilet organisieren und nicht nur die Mägen der Hungrigen, sondern gleich noch die leer gefischten Meere füllen. Ein schönes Wunder wärs.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee.