Steuergerechtigkeit: Die nützlichen Töchter aus Freiburg

Nr. 44 –

Das globale Steuersystem kommt in Bewegung – bisher ohne Verbesserungen für die Länder des Globalen Südens. Das liegt auch an der Schweiz, wie das Beispiel des Agrarkonzerns Socfin zeigt.

Der Schweiss fliesst in Sierra Leone, die Gewinne nach Europa: Palmölplantage der Socfin Agricultural Company. Foto: Maja Hitij

Die Nachricht klingt gut: Am G20-Gipfel, der letztes Wochenende in Rom stattfand, einigten sich die wichtigsten Wirtschaftsmächte auf eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent, die 2023 eingeführt werden soll. Die Steuer ist zentraler Bestandteil einer von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordinierten globalen Reform, die den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten eindämmen und grossen Konzernen die Steuervermeidung erschweren soll. Der designierte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach nach dem Treffen von einem «enormen Erfolg für uns alle».

Genau das stellt Dominik Gross, Steuerexperte der entwicklungspolitischen NGO Alliance Sud, infrage: «Für den Globalen Süden bringt die Reform fast keine zusätzlichen Steuereinnahmen.» Dafür sei der vorgesehene globale Mindeststeuersatz von 15 Prozent viel zu tief – angesichts der aktuellen Steuersätze im Süden, die meist zwischen 25 und 30 Prozent liegen. Viele Länder würden unter Druck geraten, ihre Steuersätze auf den Mindestsatz zu senken, so Gross. «Um dieses ‹race to the minimum› zu verhindern, bräuchte es einen Satz von mindestens 21 Prozent.» Vor allem aber würden die neuen Mechanismen Gewinnverschiebungen von einem Land ins andere innerhalb multinationaler Konzerne nicht unterbinden – zum Nachteil des Globalen Südens, so Gross. Exemplarisch dafür stehe der Agrarkonzern Socfin.

Koloniale Vergangenheit

Ende Oktober publizierte Alliance Sud gemeinsam mit der Schweizer NGO Brot für alle und dem deutschen Netzwerk Steuergerechtigkeit einen umfangreichen Bericht, der am Beispiel von Socfin nachzeichnet, mit welchen Methoden Gewinne aus dem Rohstoffabbau im Globalen Süden in die Schweiz verschoben werden.

Socfin, ein börsenkotierter Konzern mit Sitz in Luxemburg, unterhält vor allem in Westafrika sowie in Südostasien Kautschuk- und Palmölplantagen. Er beschäftigt 48 300 Mitarbeiter:innen und verwaltet auf einer Gesamtfläche von 193 000 Hektaren sechzehn Plantagen. Der belgische Agronom Adrien Hallet gründete den Konzern im Jahr 1909. Davor hatte Hallet im damaligen Freistaat Kongo, einer systematisch ausgeplünderten Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II., erste Kautschukplantagen aufgebaut. Heute sind der belgische Geschäftsmann Hubert Fabri und der französische Mischkonzern Bolloré die wichtigsten Aktionäre. Firmenchef Vincent Bolloré hat als Medienmogul übrigens massgeblich am aktuellen politischen Aufstieg des rechtsextremen französischen Publizisten Éric Zemmour mitgewirkt, der nächstes Jahr voraussichtlich für das Präsidentschaftsamt kandidiert.

Das grosse Verdienst des «Socfin Report» liegt in der ausführlichen Darstellung der komplexen Struktur des Agrarkonzerns, der letztes Jahr einen Umsatz von 605,3 Millionen Euro sowie einen Gewinn von 29,3 Millionen erzielte. Innerhalb dieser Struktur kommt zwei im Tiefsteuerkanton Freiburg ansässigen Tochterunternehmen eine Schlüsselrolle zu: Sogescol FR SA verantwortet einen Grossteil des Handels mit Kautschuk, Socfinco FR SA kümmert sich um das Plantagenmanagement und stellt konzernintern Dienstleistungen zur Verfügung.

«Unsere Analysen basieren massgeblich auf öffentlich zugänglichen Geschäftsberichten aus mehreren Ländern, in denen Socfin tätig ist», sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Darunter sei auch ein detaillierter Finanzbericht aus Luxemburg. «Das Land bleibt zwar eine Steueroase, aber sie ist wenigstens transparent. Das lässt sich von der Schweiz nicht behaupten. Weder liegen hier detaillierte Geschäftsberichte vor, noch geben die kantonalen Steuerbehörden Auskünfte», so Trautvetter.

Das vorliegende Material erlaubte unter anderem die Analyse der Gewinne pro Mitarbeiter:in in den verschiedenen Ländern – eine Zahl, die anschaulich aufzeigt, wohin ein Konzern seine Gewinne verschiebt und welchen Stellenwert die Arbeit aufweist. In den afrikanischen Ländern, in denen Socfin tätig ist, machte der Konzern einen Profit von gut 1600 Euro pro Mitarbeiter:in. Die Schweizer Töchter hingegen verzeichneten 2020 einen Gewinn von 116 000 Euro pro Mitarbeiter:in. Wie ist das erklärbar?

Postkoloniale Gegenwart

Das Zauberwort heisst Gewinnverschiebung. So legt der Bericht nahe, dass von Socfins Gesamtumsatz in der Höhe von 605 Millionen Euro mehr als 100 Millionen in Europa landen, der grösste Teil davon wiederum in der Schweiz. «Ein Teil sind Gebühren für Management und technische Dienstleistungen. Wobei es praktisch unmöglich ist, die Richtigkeit dieser Gebühren zu überprüfen», sagt Trautvetter. Noch gewichtiger seien jedoch Aufpreise beim konzerninternen Warenhandel. «Hier dürfte die Schweizer Tochterfirma Sogescol FR in der Rolle als Zwischenhändlerin entscheidend sein. Sie kauft beispielsweise einer Plantage in Liberia Kautschuk ab und verkauft diesen anschliessend – zu einem höheren Preis – an einen Kunden aus China. Die Preisdifferenz verbleibt in der Schweiz», so Trautvetter.

Diese weitverbreitete Praxis sei nicht zwangsläufig illegal – «aber in jedem Fall ungerecht», meint Silva Lieberherr von Brot für alle. Die mangelhaften Regeln des globalen Steuersystems würden es den Unternehmen erlauben, grosse Teile der Wertschöpfung zentralen Funktionen wie Patenten, Finanzierung oder Management zuzuordnen, die oft im Globalen Norden angesiedelt seien, während die Arbeit im Globalen Süden weniger stark gewichtet werde. «Dies verstärkt die Ungleichheit und ähnelt in der Art und Weise, wie der Reichtum systematisch vom Globalen Süden in den Globalen Norden transferiert wird, kolonialen Strukturen», so Lieberherr.

Adieu, Steuergeheimnis

Die WOZ hat Socfin mit dem Bericht konfrontiert. Der Konzern antwortete: «Socfin weist die haltlosen Anschuldigungen der Nichtregierungsorganisationen entschieden zurück. Keine Steuerbehörde wirft der Socfin-Gruppe ein missbräuchliches Verhalten vor.» Der Konzern geniesse in der Schweiz keinerlei Steuerprivilegien. Die Freiburger Steuerbehörden wollten sich mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht zum Sachverhalt äussern.

Um die globale Steuergerechtigkeit voranzutreiben, müsse die Schweiz ihre Transparenzvorschriften – etwa durch die Veröffentlichung von Finanzberichten hier ansässiger (Tochter-)Firmen – drastisch verbessern, fordert Dominik Gross von Alliance Sud. «Und vor allem müsste eine Gesamtkonzernbesteuerung das Kernstück einer globalen Steuerreform bilden. Diese sieht vor, die Gewinne der einzelnen Einheiten zu einem Gesamtkonzerngewinn zusammenzuzählen und dann gemäss verschiedenen Faktoren – Lohnkosten, Investitionen, Umsatz – auf die einzelnen Länder aufzuteilen, die zur Wertschöpfung des Konzerns beitragen.» Das wäre dann ein Erfolg für alle.