Durch den Monat mit Oliver Rihs (Teil 2): Spüren Sie einen moralischen Druck?

Nr. 45 –

Wie seine Filmfigur Walter Stürm ist Oliver Rihs als Sohn eines schwerreichen Patriarchen aufgewachsen. Der Regisseur landet deshalb regelmässig auf der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten im Land.

«Ich bin mehr auf Menschen fokussiert als auf Bäume.» Mit seinem Bruder arbeite er aber daran, die geerbten Unternehmungen klimaneutral zu machen, sagt Oliver Rihs.

WOZ: Oliver Rihs, wir müssen über Geld und Reichtum reden.
Oliver Rihs: Was, das kommt jetzt schon?

In der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten in der Schweiz stehen Sie zusammen mit Ihrem Onkel, Ihrem Bruder und dem Geschäftspartner Ihres verstorbenen Vaters Andy Rihs auf Rang 62. Die «Bilanz» schätzt das Vermögen der Familie auf 2,75 Milliarden Franken. Warum nervt Sie das?
(Lacht.) Weil das nichts mit dem zu tun hat, was wir geerbt haben. Ich bin sicher nicht der Einzige, der sich immer wieder darüber ärgert, wobei es sicher auch solche gibt, die sich freuen, wenn sie auf dieser Liste stehen. Ich weiss auch nicht, wie sich die «Bilanz» diese Zahlen jeweils zusammenreimt. Auf jeden Fall entspricht es bei weitem nicht der Erbmasse, was meinen Bruder und mich anbelangt. Die Familie Rihs ist ja noch ein bisschen grösser, da gibts welche, die noch sehr viel besser bestückt sind. Und mein Vater hat sehr viel Geld ausgegeben in seinen letzten Lebensjahren.

Für die WOZ seien Sie natürlich «Feindesland», haben Sie im Vorgespräch gesagt. Wie meinten Sie das genau?
Total ironisch. Meine politische Gesinnung ist ja auch eher links als liberal oder rechts. Ich bin von einem Berliner Künstlerdasein in einen völlig neuen Zustand hineingerutscht. Und die Komplexität im Umgang mit einem solchen Erbe, wie man das intelligent handhabt, wie man es auch sozial handhabt: Das ist relativ tricky. Aber natürlich, oberflächlich gesehen, gehöre ich zu den Leuten, die auf dieser Liste der «Bilanz» stehen. Und sehr simpel gesehen, sind die Reichen ja stets die Bösen, und die Armen sind die Guten. In Deutschland ist diese Haltung noch viel ausgeprägter.

Ihr älterer Bruder Tobias investiert sein Millionenerbe in Klimaprojekte. Spüren Sie da einen gewissen moralischen Druck? Mit Filmen rettet man nicht gerade die Welt.
Nein, viele Projekte machen wir ja gemeinsam. Mein Bruder engagiert sich stärker, was Klimawandel angeht, bei mir ist es eher im Sozialen. Ich bin mehr auf Menschen fokussiert, er mehr auf Bäume. Aber wir arbeiten beide aktiv daran, alle die Unternehmungen, die wir geerbt haben, klimaneutral hinzukriegen. Wir versuchen, mit dieser Erbmasse möglichst viel Positives zu bewirken.

Finden Sie, die Schweiz mache genug gegen die wachsende Ungleichheit der Vermögen?
Nein, ganz sicher nicht. Die Schweiz verlangt zum Beispiel viel zu wenig Steuern. Ich war eigentlich ein Idiot, mit einer solchen Erberwartung nach Deutschland auszuwandern. Das verrät aber auch ein bisschen, dass ich gar nicht so sehr daran gedacht hatte.

Wie haben Sie bei der 99-Prozent-Initiative der Juso gestimmt?
Gar nicht.

Wieso nicht?
Ich steckte damals in einer Filmproduktion, deshalb ist mir das entgangen. Ehrlich gesagt, beteilige ich mich nicht mehr oft an Abstimmungen. Ich bin meist etwas zu weit weg.

Kein schlechtes Gewissen?
Ich bin einfach schon sehr lange nicht mehr in der Schweiz zu Hause. In Deutschland kann ich zwar nicht wählen, aber ich bin viel stärker auf das fixiert, was dort passiert.

War Ihnen eigentlich gleich klar, dass Sie mit Ihrem Hintergrund für einen Film über Walter Stürm prädestiniert sind? Er war ja ebenfalls Sohn eines schwerreichen Industriellen.
Ich bin jedenfalls nicht deswegen angefragt worden. Dem Produzenten, Ivan Madeo, war es wichtig, auch die humorvollen Elemente in diesem Drama beizubehalten. Deshalb ist er auf mich gekommen, ich komme ja eher von der Komödie. Aber natürlich, was mich an der Figur Stürm gereizt hat, war schon auch sein Hintergrund. Und seine Vaterproblematik, auch wenn die in den späteren Drehbuchfassungen immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Wir wollten das im Film nicht zu vulgärpsychologisch erzählen. Aber in dieser Hinsicht habe ich schon eine gewisse Verwandtschaft gesehen.

Verwandtschaft? Wie meinen Sie das?
Stürms Vater war ein Hardcore-Patriarch, und sein Grossvater war auch schon sehr dominant. So ähnlich habe ich das selber auch erlebt, mit einem dominanten Grossvater, der sein Geschäft dann meinem Vater übergeben hatte, das war damals Phonak. Und mein Vater war ebenfalls eine autoritäre, sehr charakterstarke Persönlichkeit. Es war nicht immer ganz einfach, neben ihm wachsen zu können. Mein Vaterproblem war vielleicht nicht das gleiche wie bei Stürm, aber als Jugendlicher hatte ich auch einen Hang zu Kleinkriminalität und Subversion. Gutzi geben, um dem Vater eins reinzuwürgen: Dieses Gefühl war mir nicht fremd.

«Herkunft wird überschätzt», sagt der Fabrikantensohn Stürm einmal in Ihrem Film. Würden Sie das unterschreiben?
Nein, das ist Quatsch. Und ich kaufe das dem Stürm auch nicht wirklich ab, dass er das selber glaubt. Er lügt sich ja gerne so manches zurecht. Herkunft spielt eine extrem grosse Rolle dabei, wie man später sein Leben gestalten kann oder muss.

Oliver Rihs (49) lässt seinen Sohn in seinem Stürm-Film einen bösen Kapitalisten abknallen: Mit einer Spielzeugpistole aus Holz schiesst er auf einen Hund.