Globale Impfstoffverteilung: Unter dem Diktat von Biontech

Nr. 45 –

Trotz internationaler Appelle spendet die Schweiz kaum von ihrem überzähligen Impfstoff an die Länder des Globalen Südens. Wird sie von den Pharmafirmen daran gehindert? Das Bundesamt für Gesundheit verstrickt sich auf Anfrage in Widersprüche.

Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Die Schweiz könnte mit den vorhandenen Vakzinen ihre Bevölkerung sechs Mal durchimpfen. Stillleben von der «Impfwoche» im Zürcher Hauptbahnhof.

Die Schweiz schwimmt im Impfstoff. Bis Ende Jahr wird der Bund nach eigenen Angaben allein von Moderna und Pfizer/Biontech 19,5 Millionen Dosen erhalten haben, für 2022 sind weitere 14 Millionen bestellt. Bisher wurden insgesamt 11,2 Millionen Dosen verimpft, bleiben also bis Ende 2022 gut 22 Millionen. Selbst wenn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit der aktuell laufenden «Impfwoche» alle Ungeimpften umstimmen könnte und die gesamte Bevölkerung einen Booster erhielte, blieben über 10 Millionen Dosen übrig.

Laut der Uno hat sich die Schweiz so viele Impfdosen gesichert, dass sie die Bevölkerung sechs Mal durchimpfen könnte. Nur Kanada hat pro Kopf noch mehr.

Warum werden die überzähligen Dosen also nicht an die Länder des Globalen Südens weitergereicht? Gemäss der NGO-Vereinigung People’s Vaccine Alliance haben in diesen Ländern bisher nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung eine Impfung erhalten. Täglich sterben deswegen Tausende Menschen. Zudem erhöht der dortige Mangel das Risiko, dass es zu neuen, möglicherweise tödlicheren und impfresistenten Virusmutationen kommt, die irgendwann auch in die Schweiz gelangen. Die People’s Vaccine Alliance fordert entsprechend seit Monaten, den verfügbaren Impfstoff endlich auch ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen.

Als Tedros Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), im Juli unter anderem auch die Schweiz dafür kritisierte, dass sie anderen Ländern zu wenig Impfstoff überlasse, antwortete die BAG-Beamtin Virginie Masserey am Schweizer Fernsehen (RTS), dass man «bereits Kontakte am Knüpfen» sei, um Dosen zu spenden. Masserey verwies zudem auf die vier Millionen Dosen von Astra Zeneca, die die Schweiz bereits der Covax-Initiative der WHO versprochen habe, die für eine weltweit gerechte Impfstoffverteilung sorgen soll. Bisher beliess es Alain Bersets (SP) Innendepartement jedoch bei den Astra-Zeneca-Dosen – die die Schweiz angesichts deren geringerer Wirksamkeit ohnehin nicht will.

Und offenbar ist auch nichts Weiteres geplant. Der Bund «prüft laufend» eine «mögliche» Weitergabe von Impfstoffen, «falls» diese in der Schweiz nicht benötigt «würden», druckst das BAG auf Anfrage herum. Über weitere Spenden habe man «noch nicht» entschieden.

Wird die Schweiz eventuell von Moderna und Pfizer/Biontech an der Weitergabe von Impfdosen gehindert? Genau das war zumindest bei Deutschland der Fall. Dies geht aus einem Brief von Staatssekretär Thomas Steffen an die EU-Kommission hervor, den das ARD-Magazin «Kontraste» vor wenigen Tagen publik machte und der auch der WOZ vorliegt. Deutschland wolle 50 Millionen Impfdosen von Moderna und Pfizer/Biontech an Covax spenden, schreibt Steffen in dem Brief vom 18. Oktober. Dies werde jedoch von den Herstellern behindert: Sie neigten dazu, «Bedingungen zu diktieren, die eine schnelle Antwort auf die internationalen Hilfsanfragen beinahe unmöglich machen».

Unzählige Bedingungen

Laut den Kaufverträgen, die die EU-Kommission mit Moderna und Pfizer/Biontech ausgehandelt hat – und die der italienische Fernsehsender Rai vor einigen Monaten veröffentlichte –, müssen Geberländer vor einem Weiterverkauf von Impfstoff oder einer Spende die «Einwilligung» von Moderna beziehungsweise Pfizer/Biontech einholen. Die Hersteller würden dies ausnützen, um die Weitergabe zu behindern, schreibt der deutsche Staatssekretär. Sie betrachteten die Weitergabe nämlich als «potenziell schädlich für ihre kommerziellen Interessen».

Konkret haben die Impfstoffhersteller ihre Einwilligung in den Verträgen an unzählige Bedingungen geknüpft, darunter an Geldzahlungen. Gemäss Steffen würden sie Minimalpreise diktieren, die die Empfängerländer zu zahlen hätten, oder sie würden von ihnen hohe Ausgleichszahlungen fordern. Anfragen für eine Stellungnahme lassen Moderna wie auch Biontech unbeantwortet.

Die beiden Impfstoffhersteller wollen damit offensichtlich ihre Milliardenprofite weiter steigern: Sie haben ein Interesse daran, dass die reichen Länder möglichst viele Menschen mit ihrem Stoff impfen, damit sie ihnen künftig Auffrischimpfungen verkaufen können. Und noch wichtiger: Jede Impfdosis, die ein ärmeres Land gespendet bekommt, ist eine Dosis, die die Konzerne diesem Land nicht verkaufen können. Entsprechend wollen sie dies verhindern – oder zumindest dafür entschädigt werden.

Gemäss Nachforschungen des Magazins «Kontraste» und einer Nachfrage der WOZ beim deutschen Gesundheitsministerium hat die EU mit Pfizer/Biontech und Moderna inzwischen einen Vertrag über die Impfstoffweitergabe unterzeichnet. Ob und – falls ja – wie hohe Zahlungen dabei geflossen sind, bleibt unbekannt.

Dass Steffens Kritik an den Impfstoffherstellern bei der Weitergabe von Dosen nun publik geworden sei, komme der deutschen Regierung nicht ganz ungelegen, gibt Gesundheitspolitikexpertin Gabriela Hertig von der NGO Public Eye zu bedenken. Deutschland wird seit Monaten von unzähligen NGOs, Ökonom:innen und den Ländern des Globalen Südens kritisiert, weil es innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf die Patente von Pfizer/Biontech, Moderna und anderen verteidigt. «So können sie die gesamte Schuld für den Impfstoffmangel in einkommensärmeren Ländern an die zwei Firmen abschieben.»

Tatsächlich würde es auch an Impfstoff fehlen, wenn dieser gerechter verteilt würde. Die Kapazität von Moderna und Pfizer/Biontech beträgt für dieses Jahr lediglich rund eine Milliarde Dosen. Die geforderte Aussetzung der Patente könnte weiteren Firmen und öffentlichen Instituten ermöglichen, zusätzlichen Impfstoff zu produzieren. Nebst Deutschland stellt sich in der WTO auch die Schweizer Regierung seit Monaten quer. Die Spende ihrer überschüssigen Impfdosen wäre immerhin ein Anfang.

Vergleichbare Verträge

Es wäre erstaunlich, hätte die kleine Schweiz bessere Bedingungen ausgehandelt als die EU-Kommission. Das BAG hält die Verträge trotz Öffentlichkeitsgesetz unter Verschluss: Eine Publikation könnte die Verhandlungen über weitere Impfstoffbestellungen erschweren, so die Begründung. Auf Anfrage verstrickt sich das BAG in Widersprüche: In einer ersten Antwort heisst es, dass die Hersteller bei einer Impfstoffweitergabe lediglich «informiert» werden müssten. Etwas später räumt das Amt auf einmal ein, dass die Hersteller «grundsätzlich einverstanden» sein müssten. Darauf angesprochen, will das BAG jedoch «keinen Widerspruch» erkennen.

Auch die Frage, ob die Impfstoffweitergabe an Bedingungen wie Entschädigungszahlungen geknüpft sei, verneint das BAG zuerst, um auf Nachfrage – in der die WOZ auf die EU-Verträge verweist – zurückzurudern: Man könne keine weiteren Informationen zu den Verträgen liefern, heisst es. In einer dritten Antwort will das BAG die Aussage, dass keine Bedingungen festgeschrieben seien, auf einmal nie gemacht haben. Schriftlich auf die vorangehende gegenteilige Aussage hingewiesen, bricht das BAG die Kommunikation ganz ab. Die widersprüchlichen Aussagen lassen die Vermutung zu, dass die Schweizer Verträge mit Moderna und Pfizer/Biontech mit jenen der EU vergleichbar sind.

Ob die Verträge mit ein Grund sind, dass die Schweiz nebst den Astra-Zeneca-Dosen keine weiteren Impfstoffe an ärmere Länder spendet, bleibt allerdings offen. Das BAG will auch nicht verraten, ob es mit einem der beiden Hersteller über eine allfällige Spende im Gespräch sei. Sicher ist nur, dass die Schweiz Millionen überzählige Impfdosen hortet, während WHO-Chef Ghebreyesus gleichzeitig unablässig um Hilfe bittet und weltweit unzählige Menschen noch immer auf ihre erste Impfung warten.