Klimapolitik: Zwischenstand: Heisse Luft

Nr. 45 –

Am Tag nach Erscheinen dieser WOZ endet der Weltklimagipfel in Glasgow. Auch wenn die letzten Entscheidungen noch ausstehen, sind doch bereits Tendenzen ersichtlich.

Während dieser Text verfasst wird, steht sie noch aus, die Präsentation der vorläufigen Entwürfe für die Schlusserklärung der 26. Weltklimakonferenz (COP26). Es zeichnet sich aber nach zehn Verhandlungstagen bereits ab, dass ziemlich genau das herauskommt, was im Vorfeld erwartet wurde, nämlich: nicht viel.

Mary Robinson, Altstaatspräsidentin von Irland und ehemalige Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, brachte es wie folgt auf den Punkt: «Die COP ist zu männlich, zu weiss, zu altbacken. Es fehlen die Stimmen der indigenen Bevölkerung, des Globalen Südens, derjenigen, die an der Frontlinie der Krise stehen.» Die Gruppe akkreditierter Lobbyist:innen der Ölindustrie – 503 Personen – ist grösser als die Delegation Brasiliens, dem Land, das von allen Staaten am meisten Vertreter:innen nach Glasgow schickte, nämlich 479. Und während die Veranstaltung als «inklusivste COP aller Zeiten» angekündigt wurde, ist sie in Wirklichkeit das groteske Gegenteil davon.

Wer entschädigt betroffene Länder?

Angehörige von NGOs, indigenen Gruppierungen und Vertreter:innen von ärmeren Ländern gelangten wegen hoher Reise- und Unterbringungskosten – die Preise auf Airbnb etwa stiegen für die Zeit des Gipfels um 400 Prozent –, fehlender Visa und Reisebeschränkungen in vielen Fällen gar nicht erst nach Glasgow. Diejenigen, die es bis an den eigentlichen Verhandlungsort geschafft haben, sehen sich mit weiteren Hindernissen konfrontiert: Der Zugang ist eingeschränkt, die Delegierten werden vom Rest der Teilnehmenden abgeschirmt, und die Streamingplattform, die Vertreter:innen von indigenen Gruppierungen und nichtstaatlichen Organisationen eine Teilhabe hätte erlauben sollen, funktioniert nicht richtig.

Auch diejenigen Mitglieder von NGOs, die das Recht hätten, als Beobachter:innen an den Verhandlungen teilzunehmen, können dieses nicht wirklich wahrnehmen. Snigdha Tiwari, Anwältin, Aktivistin und Vertreterin der «Global Greens» – der Organisation der Grünen Parteien weltweit –, sagt: «Die ersten Tage waren die schlimmsten. Von über 10 000 akkreditierten Personen mit Beobachterstatus wurden gerade einmal vier in den Verhandlungsraum gelassen.» Mittlerweile habe sich die Situation etwas verbessert. Und doch passiere es immer wieder, dass Beobachter:innen aufgefordert würden, die Verhandlungsräumlichkeiten zu verlassen, gestützt auf das Argument, dass die Raumkapazitäten wegen Covid nicht ausreichen würden.

Auch wenn die Beratungen noch nicht zu Ende sind: Einige Entwicklungen zeichnen sich bereits ab. Zum Beispiel, dass die Industrieländer es nicht vor dem Jahr 2023 fertigbringen werden, die eigentlich ab 2020 angekündigten hundert Milliarden US-Dollar bereitzustellen, die den Ländern des Globalen Südens jährlich für die Anpassung an den Klimawandel versprochen wurden. Und um die Frage, wie die am schwersten betroffenen Staaten für die bereits jetzt unabwendbaren Folgen der Klimakatastrophe entschädigt werden sollen, drücken sich die Hauptverantwortlichen nach wie vor. Währenddessen scheinen die Verhandlungen an einer anderen Baustelle voranzuschreiten – allerdings nicht zum Guten.

Schädliche Klimaprojekte

Artikel 6 des Pariser Übereinkommens beinhaltet die «freiwillige Zusammenarbeit zur Implementierung» der nationalen Klimaziele. Damit ist in erster Linie die Bereitstellung von Marktmechanismen gemeint, etwa die Errichtung eines globalen Handelsplatzes oder die Schaffung von Emissionszertifikaten und eines «Sustainable Development Mechanism», der auf die Förderung von klimafreundlichen Projekten in Entwicklungsländern durch ausländische Investor:innen zielt. Das in der «Kyoto-Ära» (siehe WOZ Nr. 43/2021 ) geschaffene Vorgängerprojekt, der sogenannte «Clean Development Mechanism», steht seit längerer Zeit in der Kritik. Die Idee dahinter war ursprünglich: Investor:innen, die im Globalen Süden in klimafreundliche Projekte investieren, soll diejenige Menge an Treibhausgasen «gutgeschrieben» werden, die dank ihrer Investition im betreffenden Land nicht anfallen.

Da aber laut Schätzungen 85 Prozent der angeblich im Globalen Süden «eingesparten» Emissionen ohne die entsprechenden Projekte überhaupt nicht oder nicht in der prophezeiten Grössenordnung verursacht worden wären, führt der Mechanismus in Wirklichkeit nicht zu weniger, sondern zu mehr Emissionen: Die Investor:innen – meist aus dem reichen Norden – erhalten das Recht, im Globalen Süden Treibhausgase auszustossen, die dort eigentlich gar nicht angefallen wären.

Überdies richten solche Projekte vor Ort häufig Schäden an und stehen zum Teil mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang. Deshalb pochen Vertreter:innen von NGOs und Zivilgesellschaft darauf, die Kompatibilität entsprechender Vorhaben mit internationalen Menschenrechtsstandards und der Rücksichtnahme auf die indigene Bevölkerung im Regelwerk zu Artikel 6 explizit zu verankern. Allerdings sieht es so aus, als würde der zurzeit in Klammern im Vertragswerk enthaltene Verweis auf Menschenrechte in der Endfassung gestrichen – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen: Sind die Menschenrechte nicht explizit im Regelwerk erwähnt, wird man sich später nicht auf sie berufen können – etwa, wenn Kleinbäuer:innen bei der Umsetzung eines «grünen» Projekts illegal enteignet und vertrieben werden.

2,4 Grad Erwärmung absehbar

Ein weiteres Problem ist das sogenannte «double counting»: Während die Mehrheit der Staaten dafür ist, dass die «Gutschrift» für ein klimafreundliches Projekt nur einmal verrechnet werden kann, stellt sich Brasilien auf den Standpunkt, dass die eingesparte CO2-Menge dem Herkunftsland der Investor:innen ebenso gutgeschrieben soll wie dem Staat, in dem das Projekt realisiert wurde – im besten Fall kommt dabei ein Nullsummenspiel heraus. Ausserdem wird gefordert, dass CO2-Kredite aus dem früheren Projekt, dem «Clean Development Mechanism», ins neue System transferiert werden können, obwohl sie, wie oben ausgeführt, häufig gar nicht zu Emissionsreduktionen geführt haben. Laut Insidern ist die Rede davon, dass «double counting» unter gewissen Bedingungen zumindest für eine Übergangsphase erlaubt werden soll – was die Bestrebungen zur Verlangsamung des Klimawandels weiter verwässert.

Indessen versucht die britische Regierung, Hauptorganisatorin der Konferenz, das Ganze als Erfolg zu verkaufen. Etwa das Versprechen mehrerer G20-Staaten, sich aus der Finanzierung ausländischer Erdöl-, Kohle- und Gasprojekte zurückzuziehen – während sie weiterhin eigene Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe vorantreiben. Oder die Ankündigung von fünf Staaten und siebzehn Geldgebern, indigenen Gruppierungen 1,7 Milliarden US-Dollar zum Schutz von tropischen Regenwäldern zur Verfügung zu stellen – während die illegale Abholzung weitergeht und man sich in Glasgow gerade mal darauf einigen konnte, die globale Entwaldung bis 2030 zu stoppen.

Derweil deuten jüngste Berechnungen des «Climate Action Tracker» darauf hin, dass die bislang gemachten Zusagen der Staaten in Sachen Treibhausgasemissionen bis Ende des Jahrhunderts zu einer Erderhitzung von mindestens 2,4 Grad führen. So hat die COP26 voraussichtlich vor allem eines produziert: heisse Luft, im doppelten Wortsinn.