Pharmaindustrie: Dem Staat die Kontrolle zurückgeben
In einer Motion fordert die SP den Bund auf, in die Produktion von Medikamenten einzusteigen. Eine Grundlage für staatliche Interventionen findet sich im Covid-19-Gesetz – auch dank der FDP.
Im März griffen die Freisinnigen Bundesrat Alain Berset frontal an. Ihr Vorwurf: Angeblich habe er ein Angebot von Lonza-Präsident Albert Baehny abgelehnt, wonach das Unternehmen bereit gewesen wäre, eine eigene Impfstrasse für die Schweiz einzurichten. Selbstverständlich bei entsprechenden staatlichen Investitionen. Das Bundesamt für Gesundheit dementierte. Das Parlament beauftragte daraufhin die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission damit, die Vorgänge unter die Lupe zu nehmen.
Als SP-Nationalrat Cédric Wermuth bei der Beratung des Covid-19-Gesetzes auf die FDP zuging und vorschlug, man könne eine gesetzliche Grundlage für solche Fälle schaffen, konnten die Marktliberalen schlecht Nein sagen. Jetzt steht in Artikel 3 ein von FDP-Ständerat Ruedi Noser formulierter Passus: «[Der Bund] kann zur Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen medizinischen Gütern: e) wichtige medizinische Güter selber beschaffen oder herstellen lassen; er regelt in diesem Fall die Finanzierung der Beschaffung oder der Herstellung sowie die Rückvergütung der Kosten durch die Kantone und Einrichtungen, denen die Güter abgegeben werden.»
Damit haben die Forderungen einer Motion, die die SP-Fraktion kürzlich einreichte, eine gesetzliche Grundlage. Zentrales Anliegen des von Juso-Präsidentin Ronja Jansen und SP-Nationalrat Samuel Bendahan formulierten Vorstosses ist eine mögliche Gelegenheit zum Kauf von Sandoz – denn der Pharmakonzern Novartis hat angekündigt, den Verkauf des Teilkonzerns zu prüfen. Eine direkte Verstaatlichung ist nicht das Hauptziel der SP. Der Bund soll das Unternehmen aber mittels direkter oder indirekter Beteiligung «im Dienste des Gemeinwohls kontrollieren».
Sandoz produziert nicht nur zahlreiche Medikamente, die Covid-Erkrankungen lindern können. Das Unternehmen ist führender Generikahersteller und betreibt in Österreich eine der grössten Antibiotikaproduktionen der Welt. Forschung und Produktion von Antibiotika seien wegen der zunehmenden Resistenzen besonders wichtig, heisst es in der Motion. Selbst der Bundesrat sehe diese gefährliche Entwicklung. Er hat deswegen die «Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR)» ins Leben gerufen.
Positive Rückmeldungen
Cédric Wermuth sagt: «Vor ein paar Jahren habe ich schon einmal eine ähnliche Forderung aufgestellt und wurde deswegen lächerlich gemacht, inzwischen hat die Stimmung angesichts der Coronakrise und der notorischen Medikamentenengpässe gedreht. Wir bekommen positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung, aber auch aus der Verwaltung.» Tatsächlich hat das Staatssekretariat für Wirtschaft gemäss «SonntagsZeitung» ein Strategiepapier zur «Förderung der Impfstoff-, aber auch der Medikamentenproduktion» ausgearbeitet. Der politische Druck für eine von der öffentlichen Hand kontrollierte Lösung bei der Medikamentenversorgung habe zugenommen, sagt Wermuth. Er werde deswegen mit den bürgerlichen Politiker:innen das Gespräch suchen.
Auch der Publizist und Mitbegründer des linken Thinktanks Denknetz, Beat Ringger, thematisierte in einem kürzlich publizierten Aufsatz die Pharmaindustrie und das Verhalten des Staats: «Die öffentliche Hand muss sich aktiv für die Forschung, die Entwicklung, die Produktion und den Vertrieb von Impf- und Heilstoffen engagieren. Die vielen Milliarden an öffentlichen Geldern und an Krankenkassenprämien, die heute in den Kassen von Big Pharma landen, sollten besser für den Aufbau eines öffentlich kontrollierten Clusters von Non-Profit-Instituten und kooperationswilligen Betrieben investiert werden. So könnte die Politik auf Basis offener Patente und in globaler Zusammenarbeit das Heft in die Hand nehmen.» Gegenüber der WOZ bezeichnet er den neuen Passus im Covid-Gesetz entsprechend als erfreulich.
Abkommen mit anderen Staaten
Die Motion wird im bürgerlich dominierten Parlament trotz dieser Einsicht kaum Chancen haben. Wie die FDP dazu steht, wollte die WOZ von Fraktionschef Beat Walti wissen. Er liess die Anfrage allerdings unbeantwortet. Doch selbst bei den Grünen herrscht Skepsis: Die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt etwa hält staatliche Beteiligungen an Pharmaunternehmen für den falschen Weg. Die Gesundheitspolitikerin setzt stattdessen auf Leistungsvereinbarungen mit der Branche. So lasse sich das Problem einfacher und effizienter lösen.
Im vergangenen Jahr hatte sie eine parlamentarische Initiative eingereicht und wollte die Bundesverfassung folgendermassen ergänzen: «Der Bund sichert insbesondere die Versorgung der Bevölkerung mit den wichtigsten sensiblen Medikamenten, Wirkstoffen und Schutzmaterial sowie trifft Massnahmen, um die Bevölkerung bei einer Pandemie zu schützen.»
Erreicht werden sollte das eben durch Leistungsvereinbarungen und Abkommen mit anderen europäischen Staaten. Denn der «reine Markt» könne die Grundversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht garantieren, so Weichelts Begründung. Das Parlament lehnte die Initiative ab. Leistungsvereinbarungen brachte jetzt übrigens Mitte-Politikerin Ruth Humbel im erwähnten Artikel in der «SonntagsZeitung» ins Spiel. Vor einem Jahr hatte sie noch gegen die parlamentarische Initiative gestimmt.