Neues aus der Wissenschaft: Fällt er aus, fallen wir um

Nr. 49 –

Wer ihn unter seinem Fachnamen googelt, erhält als Suchresultat nur seine kranke Variante «valgus». Das hat er nicht verdient, der Digitus pedis I oder eben Hallux: unser grosser Zeh. Ohne ihn würden wir noch immer auf allen vieren gehen. Der grosse Zeh ist sozusagen ein weiteres Gleichgewichtsorgan des Menschen und macht den Fuss zum wichtigsten «Sinnesorgan» unserer Körperwahrnehmung. Anders formuliert: So peripher der grosse Zeh, so intensiv kommuniziert er mit der Schaltzentrale – fällt er aus, fallen wir um.

Kein Wunder, ist der Zehenfetischismus in vielen Kulturen ausgeprägt. Im britischen Derbyshire etwa finden alljährlich nach Geschlecht getrennte Zweikämpfe im Zehenwrestling statt, quasi Armdrücken mit ineinander verhaktem grossem Zeh. Derselbe scheint auch bei Zahlennerds besonders beliebt, was vielleicht auf die verbreitete Sozialisation von Kleinkindern mit Zehenabzählreimen zurückzuführen ist. Statistisch betrachtet jedenfalls, bildet der grosse Zeh im Vergleich zum Nachbarzeh bei 44 Prozent der Menschen eine «ägyptische» Form, was heisst, dass er länger ist. Die umgekehrte, «griechische» Variante ist nicht mal halb so häufig, die «römische» Form – beide gleich lang – liegt dazwischen.

Kürzlich hat die Leiterin der Säugetiersektion an der Zoologischen Staatssammlung in München mit einem internationalen Team sogar eine neue statistische Methode entwickelt, um die Variationsbreite von Zehen zu untersuchen. Nach der erschöpfenden digitalen Vermessung von immerhin rund 800 Zehen (eigentlich: achtzig Fusspaaren) steht fest: Während die vier kleinen Zehen jeweils recht uniform daherkommen, erfreut sich der Digitus pedis I (Primus inter Pares halt) einer grossen Individualität. Die Studienleiterin gibt sich «erstaunt» und erklärt, dass der grosse Zeh evolutionsgeschichtlich eine grössere Entwicklungsfreiheit genoss und seinen «eigenständigen Weg» gehen konnte. Was sind wir froh, zeigte er sich dabei so solidarisch mit dem kleinen Fussvolk.

Warnung für alle, die «Zehenfetischismus» googeln: Machen Sie sich auf «Pornohammer» und ähnliche Websites gefasst.