Gleichstellung: Die umstrittenen Büros und ihre grosse Wirkung
Im Jubiläumsjahr des Frauenstimmrechts lohnt sich ein Blick auf die Geschichte der Gleichstellungsbüros. In ihrem Auf und Ab zeigen sich Erfolge wie Rückschläge im Kampf um die Geschlechtergleichheit.
Alle wissen es inzwischen: Vor fünfzig Jahren, also 1971, haben die damals noch allein stimmberechtigten Schweizer Bürger endlich die politische Gleichstellung der Bürgerinnen angenommen. Etwas weniger bekannt ist, dass es dann noch weitere zehn Jahre brauchte, bis die Bundesverfassung jegliche Diskriminierung verbot: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen des Geschlechts», heisst es seither in Artikel 8 der Verfassung. Dreissig Jahre später schliesslich entschied das Bundesgericht, dies verpflichte die Kantone zur Gleichstellung – und damit auch zur Schaffung entsprechender Fachstellen. Wie steht es um sie im Jahr 2021? Das Fazit ist nicht brillant, aber umso aufschlussreicher.
Sieben Kantone haben gar nie eine Fachstelle zur Gleichstellung eröffnet: Appenzell Innerrhoden, Glarus, Uri, Solothurn, Schwyz, Schaffhausen und Thurgau. Bis 2006 verfügten neunzehn Kantone über ein Gleichstellungsbüro, wovon die anscheinend besonders sparsamen Kantone Obwalden und Nidwalden sich eines teilten. Im Kanton Uri gibt es eine potemkinsche Fassade: zwar kein Büro, auch keine Kommission, aber ein Nebenamt, das jedoch nicht proaktiv handeln soll, frei nach dem Motto: Nur bitte keine Initiativen ergreifen.
Seit dem Höchststand 2006 wurden gleich drei Büros wieder geschlossen: im Aargau, in Zug und in Ob- und Nidwalden. Einige Kritiker:innen der Amtsstellen hoffen im Sinn des oft postulierten Postfeminismus, die Schliessung widerspiegle eine neue gesellschaftliche Wirklichkeit mit entsprechend aufgeschlossenem Zeitgeist. Die Büros würden schlicht nicht mehr gebraucht.
Realitätsnäher ist wohl die Feststellung, dass sich in den kantonalen Vorstössen zur Wiederabschaffung der Gleichstellungsbüros ein vielgestaltiges politisches Seilziehen ausdrückt, in dem sich teils die eine, teils die andere Seite als stärker erweist.
Wohlfeiler Postfeminismus
Auf den anfänglichen Frauenbüroboom in den frühen neunziger Jahren folgten zwei Wellen der Infragestellung. Eine erste Welle um 1995 wurde vor allem von den bürgerlichen Parteien angestossen. Als staatstragende Mehrheitsparteien waren diese ja auch für das Scheitern der früheren Vorstösse zur Gleichberechtigung verantwortlich. Eine zweite Welle, seit 2003, ist dem Aufschwung der SVP zu verdanken. Die heute stärkste Partei hat die Abschaffung der Gleichstellungsbüros geradewegs in ihrem Parteiprogramm festgeschrieben: «Die SVP fordert die Abschaffung der Gleichstellungsbüros und sonstiger Ämter, die das Privatleben staatlich reglementieren und die Gesellschaft umerziehen wollen», heisst es im aktuellen Programm, das seit 2019 gilt.
Die SVP ist allerdings mit der Umsetzung dieser Zielsetzung nicht immer erfolgreich. So unternahmen 2018 im Kanton Bern ein EDU- und drei SVP-Parlamentarier:innen einen Schliessungsvorstoss, auch hier mit dem Postfeminismus-Argument. Er wurde von der Mehrheit ihrer Parlamentskolleg:innen abgelehnt.
Die vielfältigen Vorstösse dieser Art sind ein aufschlussreiches Terrain politischer Kreativität. Mal werden bestehende Büros wieder abgeschafft, mal werden sie durch eine weniger bisskräftige Kommission ersetzt, mal beschneidet man ihr Potenzial durch Kürzung von Krediten und Stellen. Doch es geht auch raffinierter: Mal fusioniert man sie mit anderen Fachbereichen, so gleich in drei Kantonen, wen wunderts, mit dem genderintuitiv benachbarten Bereich «Familie» (Neuenburg, Freiburg, Wallis), einmal sogar mit «Alter» (Aargau). Auch kam es im Wallis vor, dass eine geplante Gründung am Ende doch nicht realisiert wurde. Von generalisierter Akzeptanz oder Selbstverständlichkeit kann also keine Rede sein.
«Für hochnäsige Linksintellektuelle»
Auch Wirtschaftskreise und ihre politischen Wortführer:innen sind in Sachen Gleichstellung mehr als zurückhaltend. Trotz der gutmeinenden Diversity-Doktrin, die in Human-Resource-Magazinen schon eine Banalität geworden ist, rufen sie immer wieder dazu auf, aus der Gleichstellung keine Staatsaufgabe zu machen – als ob Menschenrechte Privatsache wären. Ein konkretes Beispiel, das nicht mehr ganz neu ist: Die in der Westschweiz bekannte liberale Waadtländer Kantonsrätin und Rechtsprofessorin Suzette Sandoz sagte 1990 ihren Ratskolleg:innen auf Französisch, die Gleichstellungsbüros seien eine «Einrichtung für hochnäsige Linksintellektuelle, bestenfalls unnütz, schlimmstenfalls schädlich durch die Verärgerung und die Indifferenz, die sie provozieren».
Diese krasse Äusserung ist inzwischen gute dreissig Jahre alt. Tempi passati? Dass die alten Vorbehalte durchaus weiterwirken, illustriert ein neueres Beispiel. Als Céline Amaudruz, Vizepräsidentin der SVP und Nationalrätin, 2018 für das neue Gesetz über die Lohngleichheit stimmte, hat sie nicht nur ihre Partei verärgert, sondern auch die Bankkreise, für die sie arbeitet.
Institutionelle Garanten
Das genderpolitische Hüst und Hott zeigt, weshalb die Sache der Gleichstellung so langsam und unregelmässig vorankommt wie die Schnecke, die an der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) 1928 für Aufsehen sorgte: Die Organisatorinnen wiesen damit spöttisch auf die Fortschritte des Frauenstimmrechts in der Schweiz hin – und das vor fast hundert Jahren. Die Langsamkeit liegt nicht einfach an den gern beschworenen komplizierten demokratischen Prozessen, es liegt vor allem an den vielen durchaus konkreten Widerständen gegen die effektive Gleichstellung, auch wenn sie oft unter allerlei Verkleidungen auftreten.
Doch lohnt sich dieses Gezerre überhaupt? Welche Erfolge können die Fachstellen für Gleichstellung anführen? Angesichts der Berg-und-Tal-Fahrt ihrer Gründungsgeschichte ist es schon ein beachtlicher Erfolg, dass es sie in einer klaren Mehrheit der Kantone überhaupt noch gibt. Je nach Auftrag und Mitteln arbeiten sie mit unterschiedlich begrenzten Kompetenzen: Als kantonale Institutionen sind ihre Erfolge landesweit weniger sichtbar. Ihren durchaus beachtlichen Erfolg fasste Stefanie Brander, die langjährige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bern, einmal so zusammen: «(Es gäbe) in der Schweiz ohne die Büros heute wohl keine Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt, keine Instrumente zur Kontrolle von Lohngleichheit, keine Kredite für die Schaffung von Kinderkrippen und keine Lehrstühle für Gender Studies. Die Büros gehören zu den wenigen institutionellen Garanten für die Umsetzung grundlegender demokratischer Rechte.»
Nicht zu vergessen: Es handelt sich bei den Gleichstellungsbüros um das, was die angelsächsische Soziologie «movement organisations» nennt: institutionalisierte Plattformen innerhalb der feministischen Bewegung. Je stärker dafür die Unterstützung aus der Bewegung ist, desto grösser die Erfolgschancen der Büros.
René Levy ist emeritierter Professor für Soziologie in Lausanne.
Vertieft aufgearbeitet hat das Thema der Gleichstellungsbüros auch Christine Scheidegger in ihrer Lizentiatsarbeit «Rahmenbedingungen für die Entstehung und Weiterexistenz von kantonalen Fachstellen für Gleichstellung zwischen 1990 und 2005» (Universität Fribourg, 2008). Eine aktuelle Übersicht zu den Büros findet sich auf der Website der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten: www.equality.ch.