Durch den Monat mit Dore Heim (Teil 5): Braucht es denn wirklich einen Männerbeauftragten?
Dore Heim findet, dass die Welt noch immer von Männern geprägt ist, und bleibt deshalb Feministin. Ein Gespräch über angeblich postfeministische Zeiten, männliche Gleichstellungsbeauftragte und ihre Zukunft beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund.
WOZ: Die «Frauenfarbe» Lila ist längst aus der Mode gekommen. BHs werden keine mehr verbrannt. Dore Heim, sind Sie noch Feministin?
Dore Heim: Was für eine Frage! Selbstverständlich bin ich Feministin. Seit früher Jugend schon. Feminismus ist ein Lebensmodell und eine Denkmethode, nicht ein Kleid, das man an- und auszieht.
Dass wir im sogenannt postfeministischen Zeitalter leben, spielt für Sie keine Rolle?
Nein, für mich heisst Feminismus, dass man Frauen wichtig findet, dass Frauen zählen. Da spielt vielleicht auch eine familiäre Prägung mit. In unsere Familie wurden zuerst drei Buben und dann drei Mädchen geboren. Meine Schwestern und ich waren immer die Kleinen am Katzentisch und die Buben die Grossen. Da mussten wir Mädchen uns zu Wort melden und den Fuss in die Tür halten, anders ging das gar nicht.
Bestimmte Trendsetter behaupten, heute brauche es, wenn überhaupt, eher eine Gleichstellung für Männer.
Das finde ich völlig absurd. Wenn man sieht, wie Schlüsselpositionen in Verwaltung und Privatwirtschaft besetzt werden, wer zu Wort kommt, wer die Medien prägt und den Ton angibt, muss man nüchtern betrachtet doch zum Schluss kommen, dass es noch eine weitgehend von Männern geprägte Welt ist. Wir sind noch lange nicht am Punkt, wo es selbstverständlich ist, dass Frauen gehört werden.
Seit kurzem hat der Kanton Zürich in der ersten Schweizer Gleichstellungsfachstelle einen Männerbeauftragten. Ist der für Sie eine Konkurrenz?
Als Konkurrenz empfinde ich den Männerbeauftragten nicht. Aber ich finde das Modell nicht sehr überzeugend. Ein Ziel der Gleichstellungsarbeit ist es ja, dass Frauen auch Männer und Männer auch Frauen beraten können.
Angepriesen wird der Männerbeauftragte als Gegenstück zu den bisher frauenlastigen Gleichstellungsbüros.
Männer in der Gleichstellungsarbeit sind nichts Neues. In den meisten schweizerischen Fachstellen arbeiten seit Jahren auch Männer mit. Aber wir haben das nie an die grosse Glocke gehängt, weil wir fanden, das sei eine selbstverständliche und gelebte Gleichstellungspraxis. Das Spannende an unserer Arbeit ist es gerade, dass wir Frauen und Männer gleichermassen im Blickfeld haben.
Eine geschlechtsneutrale, aber feministische Gleichstellung?
Gleichstellungsarbeit muss man aus einem feministischen Verständnis heraus machen. Es gilt, herkömmliche Strukturen und Machtverhältnisse zu befragen und allenfalls zu stören. Feminismus heisst, sich nicht wohlig einzurichten. Als Gleichstellungsbeauftragte muss man stets sorgfältig abwägen, wo eine Anpassungsleistung der Sache dient, wo sie eher schadet. Alles, was die patriarchalen Hierarchien lockert, bringt auch den Männern etwas.
Es braucht also kein maskulinistisches Gegengewicht?
Das wäre eine Mystifizierung des Mannseins und des Frauseins. Darum geht es in der Gleichstellungsarbeit überhaupt nicht. Lassen wir die Labels mal beiseite. Wenn der neue männliche Gleichstellungsbeauftragte privatwirtschaftliche Unternehmen dazu bringen kann, dass sie familienfreundliche Arbeitsmodelle anbieten oder dass sie das Arbeitsklima für Frauen und Männer verbessern, dann ist das wirkliche Gleichstellungsarbeit. Zu meinen, dass ihm das leichter fällt, weil er Männerbeauftragter genannt wird, wäre naiv. Privatunternehmen und Verwaltungen foutieren sich um solche Titel. Aber vielleicht rufen mehr schüchterne Männer mit Problemen an ihrem Arbeitsplatz bei diesem Männerbeauftragten an, weil sie denken, der ist jetzt ganz für mich da. Wenn die neue Stelle der Gleichstellung dient, tant mieux.
Wieso nennen Sie Ihren Gleichstellungsansatz nicht einfach «links» statt «feministisch»?
Weil ich «Die roten Patriarchen» von Annette Frei gelesen habe. – Natürlich sind es linke Positionen, die die herkömmlichen Strukturen und Machtverhältnisse infrage stellen. Aber es braucht das Feministische unbedingt. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann auch linke Politik absolut von den Männern dominiert sein. Auch in den Gewerkschaften mussten die Frauen sehr lange und sehr heftig strampeln, bis sie wahrgenommen wurden. Und noch ist auch da nicht alles in Butter.
Sie selber werden im Frühherbst ins Zentralsekretariat des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes umziehen. Werden Sie Ihre feministischen Ideen mitnehmen?
Ich bin mir ganz sicher, dass meine Ideen und mein Werteverständnis da Platz haben werden. In meinem zukünftigen Arbeitsbereich, der öffentlichen Infrastruktur, sind die Gewerkschaften aber noch sehr männlich geprägt. Und in den Schlüsselpositionen sitzen auch mehrheitlich Männer. Das habe ich schon beim Vorstellungsgespräch gemerkt. Doch die Gewerkschaften sind gesellschaftspolitisch nicht stehen geblieben, und es sind sehr starke Frauen darin tätig. Ich freue mich, in die Gewerkschaftsbewegung zurückzukehren.
Dore Heim (53) ist und bleibt Feministin. In den achtziger Jahren brachte sie in einem von Frauen besetzten Haus ihre Tochter zur Welt. Trotzdem träumte sie nie von einer eigenen Frauenwelt, sondern immer von mehr Gerechtigkeit für alle.