Abtreibungsinitiativen: Entmündigung der Frauen
Nicht nur in Polen oder den USA versuchen konservative Parteien, das Recht auf Abtreibung zu beschränken; auch die SVP folgt diesem Trend. Angeführt von den Nationalrätinnen Andrea Geissbühler und Yvette Estermann, lanciert sie zwei Initiativen zum Thema. Eine fordert die Einführung eines Tages Bedenkzeit vor der Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs. Die andere will Spätabtreibungen verhindern, selbst wenn lebensbedrohliche Umstände bestehen.
Den beiden Vorstössen liegt ein allzu einfaches Menschenbild zugrunde. Es ist realitätsfern, Frauen zu unterstellen, sie würden in einer solch ausserordentlichen Situation nicht gründlich nachdenken und womöglich unüberlegt handeln. Wer mit der Frage eines Schwangerschaftsabbruchs konfrontiert wird, durchlebt eine seelisch höchst belastende Zeit. Die Frau, die einfach kurz nebenbei einen Abbruch durchführen lässt, gibt es nicht. Vielmehr wägt jede Betroffene höchst individuell ab, was in ihrem Fall für oder gegen ein Kind spricht.
Das gilt ebenso bei allfälligen Spätabtreibungen ab der 12. Schwangerschaftswoche. Der ärztliche Befund, dass das Kind schwer behindert sein könnte, versetzt betroffene Frauen in eine sehr schwierige Lage. Ihnen sollte man beistehen, indem man sie unterstützt, den Weg zu finden, der für sie der beste ist. Das Verbot eines Abbruchs könnte schwerwiegende gesundheitliche Folgen für sie haben.
Die Initiantinnen sehen sich als Lebensschützerinnen, doch sie verletzen mit ihren Anliegen das Grundrecht jedes Menschen, über den eigenen Körper zu verfügen. Für dieses Recht haben Frauen jahrzehntelang kämpfen müssen. Ein Erfolg der beiden Initiativen würde einen Rückschritt bedeuten, eine Rückkehr in patriarchale Zeiten. Die Autonomie der Frauen wäre gefährdet. Wenn Rechtsparteien die Abtreibungsfrage zum Ausbau ihrer Macht instrumentalisieren, darf ihnen das nicht gelingen: weder in Polen noch in den USA und auch nicht in der Schweiz.