Auf allen Kanälen: Das letzte Weltblatt

Nr. 2 –

Die «Fahrplancenter News» berichten über den Schienenverkehr in Turkmenistan und Bahnbau in Tansania – und sind so globaler vernetzt als manche Zeitung.

Keine Frage: Wer die Welt verstehen will, liest – ausser der WOZ – «Le Monde diplomatique». Doch wer wissen will, was sich auf der Welt so tut, hat es mit der gedruckten Presse heute schwer. Die NZZ? Die deckt immerhin noch einige Regionen ganz gut ab, Österreich etwa sowie manche afrikanische Regionen, aber auch Kurdistan und den Nahen Osten generell. Sonst sieht es düster aus. Die Blätter von Tamedia? Sie erzählen Geschichten, und das tun sie mal besser, mal schlechter. Aber den Anspruch, über die wesentlichen Ereignisse aus der ganzen Welt zu berichten, haben sie offenbar längst aufgegeben. Bleibt also nur das weltweite Netz mit all seinen Verästelungen, Verwirrungen und Irrungen.

Korrespondent in Uruguay

Und dann gibt es die «Fahrplancenter News» (FCN). Sie berichten zwei- bis dreimal jährlich über die Eisenbahnen der Welt. Soeben ist die Nummer 63 erschienen, in einer Auflage von 230 fotokopierten Exemplaren. Gestalterisch sind die FCN eine Bleiwüste, womöglich mit Schreibmaschine getippt. Grossartige Fotos und Karten lassen oft nur erahnen, was sie abbilden. Dennoch stürzt man sich auf die FCN, wenn sie im Briefkasten liegen.

«Afghanistan: Der Verkehr mit Turkmenistan über die beiden grenzüberschreitenden Linien in Towraghondi und Aquina läuft normal, er war keinen einzigen Tag unterbrochen. Der Verkehr über die Freundschaftsbrücke zwischen Usbekistan und Afghanistan […] ist weiterhin unterbrochen, da die usbekische Regierung befürchtet, dass die Güterzüge einen Flüchtlingsstrom auslösen könnten. […] Die Bahnstrecke von der iranischen Grenze […] ist zwar betriebsbereit, der reguläre Verkehr aber noch nicht aufgenommen und die iranische Regierung will zuerst die weitere Entwicklung in Afghanistan abwarten.»

Herausgeber der FCN ist Samuel Rachdi, Korrespondenten etwa in Uruguay und Thailand arbeiten mit. Rachdi betreibt auch das Fahrplancenter, dem die FCN ihren Namen verdanken. Von Winterthur aus verkauft er Kursbücher, Bildbände und Eisenbahnkarten aus allen Erdteilen.

«Tunesien: Die ersten 6 Monate des laufenden Jahres waren finanziell […] ein Desaster. Dazu kamen wiederholt umfangreiche Diebstähle bei Kraftstoffen, aber auch Ersatzteilen. […] Zahlreiche Züge wurden aus den Fahrplänen gestrichen, auf einigen Strecken […] fuhren sie oft während mehrerer Tage nicht mehr. Fahrzeuge können nicht repariert werden. Neben der drastischen Angebotsreduktion fallen jedoch auch die wesentlich längeren Fahrzeiten auf, welche auf den reduzierten Unterhalt der Infrastruktur zurückzuführen sind.»

Fahrpläne für den Kosovo

Ein bisschen erinnern die FCN an die legendäre frühere Philateliekolumne der NZZ, die anhand neu erschienener Briefmarken die politischen Begebenheiten und Sonderlichkeiten der herausgebenden Staaten kommentierte. Nur berichten die FCN viel umfassender und ohne rechtsbürgerliche Polemik.

«Senegal–Mali: Die Meterspurstrecke wurde in der französischen Kolonialzeit 1924 eröffnet, 2003 privatisiert und […] 2016 durch die beiden Staaten wieder in die eigene Obhut genommen. Man rechnet damit, den geplanten Verkehr spätestens im Laufe von 2022 aufnehmen zu können. […] Die Eisenbahnergewerkschaft kritisiert die Sache allerdings stark.»

Die schlechte Nachricht: Ende 2022, vielleicht auch Anfang 2023, wird die letzte Ausgabe der FCN verschickt. Nach 30 Jahren und 65 Ausgaben wird Schluss sein. Samuel Rachdi wird per Ende 2022 auch das Fahrplancenter schliessen, denn die Zeit der gedruckten Fahrpläne und Kursbücher ist abgelaufen. Die Bahnen liefern nur noch einige Sparten- und Sonderfahrpläne. Deswegen produziert Rachdi für manche Länder wie Estland und Kosovo sogar Eigenausgaben von Fahrplänen.

«Tanzania: Der Bau der ersten 290 km von Dar-es-Salaam nach Kilosa steht vor dem Abschluss. […] Alle Tunnels und 40 der 51 Brücken sind betriebsbereit. […] 200 Techniker und 15 Lokführer aus Tanzania sind im Moment in Südkorea zur Ausbildung.»

Die gute Nachricht: Rachdi verlegt die FCN ins Internet. Dort sollen sie häufiger erscheinen und gratis abrufbar sein. Das Lesezeichen werde ich mir heute schon setzen.

www.fahrplancenter.com