Die Welt im Zentrum (3/4): «Jeder Bahnhof ist ein Welt­anschluss»

Nr. 3 –

Der Schriftsteller Jaroslav Rudiš hat einen Bestseller über das Zugreisen geschrieben. Im Speisewagen von Berlin nach Prag spricht er über die vergessene Geschichte Mitteleuropas und die hoffnungsvolle Zukunft der Eisenbahn.

Jaroslav Rudiš im Hauptbahnhof Prag
«Ich würde ein Mittagessen im Speisewagen darauf wetten, dass die Zustimmung zu Rechtsextremen in Gebieten ohne Bahnanschluss
höher ist als in solchen mit»: Jaroslav Rudiš im Hauptbahnhof Prag.

Die knappen Angaben zum Treffpunkt können nur von einem erprobten Bahnfahrer stammen. Wir sollten uns um 11.16 Uhr ab Berlin Hauptbahnhof in Richtung Prag treffen, auf dem Perron oder direkt im Speisewagen.

Wenige Minuten vor Abfahrt kommt Jaroslav Rudiš an diesem Mittwochmorgen die Rolltreppe herunter: Lederjacke, roter Schal, markante Brille. Er wolle seine Familie in Böhmen besuchen, danach ein neues Album mit seiner Kafka-Band aufnehmen, erzählt er zur Begrüssung. Der fünfzigjährige Rudiš gehört zu den bekanntesten tschechischen Schriftstellern. Ob im jüngsten Roman «Winterbergs letzte Reise» oder in der Graphic Novel «Alois Nebel»: Stets spielen Schienen und Bahnhöfe eine Rolle. Mit seiner «Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen» landete er 2021 einen Bestseller: Die Reisefibel wird bereits in der achten Auflage gedruckt.

«Da sind auch schon unsere Kollegen!», ruft Rudiš bei der Einfahrt des Zuges, als gehöre er selbst zum Personal. Die Kellner im Speisewagen erkennen ihn durchs Fenster und winken zurück. Als Rudiš auf einer der roten Lederbänke Platz nimmt, bittet ihn ein Fahrgast um ein Selfie für seine Frau: «Ich bin ein grosser Fan Ihrer Bücher!» Der Zug rollt los Richtung Dresden. Wir hatten vereinbart, dass wir über das Zugreisen sprechen wollten, über neue und alte Verbindungen in Mittel- und Osteuropa. Aber erst einmal, empfiehlt Rudiš, müssten wir den Lendenbraten mit böhmischen Knödeln bestellen. Oder doch besser das Schnitzel mit Bratkartoffeln?

WOZ: Jaroslav Rudiš, für alle, die heute nicht mitfahren: Was zeichnet diese Strecke von Berlin nach Prag aus?

Jaroslav Rudiš: Für mich ist sie eine wichtige Ader durch Mitteleuropa, die uns verbindet und zusammenhält. Sie ist mehr als eine Verbindung, gehört zur Kulturgeschichte. Wir hätten schon in Kiel an der Ostsee losfahren können und wären über Hamburg nach Berlin gekommen. Von Prag könnten wir dann weiter über Wien bis nach Triest reisen oder auch nach Budapest. Wenn man von Hamburg bis Budapest fährt, kommt man durch vier Hauptstädte und entlang von drei grossen europäischen Flüssen: Elbe, Moldau und Donau. Alles verbindet sich auf dieser Strecke, selbst in den Speisewagen. Ob man nun in einem ungarischen, tschechischen oder österreichischen Zug unterwegs ist: Überall kriegt man die gleiche Gulaschsuppe. Mit feinen Unterschieden.

Wie oft machen Sie diese gut vierstündige Reise?

Wenn ich in Tschechien zu tun habe, mehrmals pro Monat. Es ist sozusagen die Hauptstrecke meines Lebens. Ich bin in einer böhmischen Kleinstadt namens Lomnice nad Popelkou aufgewachsen, im Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland. Wie manche dort spreche ich auch alle drei Sprachen. Berlin hat mich deshalb immer angezogen.

In Ihrer «Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen» sprechen Sie ganz selbstverständlich von den Eisenbahnmenschen, zu denen Sie sich auch zählen. Was charakterisiert diese?

Die Eisenbahn ist für uns mehr als nur ein Verkehrsmittel. Es ist für uns nicht wichtig, wie schnell man von Berlin nach Dresden kommt, sondern dass man dabei auch etwas erlebt. Dass man die Reise geniesst und sich auch nicht über Verspätungen ärgert. Eine Verspätung ist für uns Eisenbahnmenschen nichts anderes als geschenkte Zeit im Zug. Ohne diesen Speisewagen wären meine Bücher nicht entstanden, ich habe hier viele Geschichten gehört, schreibe oft unterwegs. Hier habe ich auch Herrn Peterka kennengelernt, einen legendären Kellner, der einst Theater studiert hat und nun seinen Speisewagen wie ein Theater führt. Heute ist er nicht da, er ist in der Gegenrichtung unterwegs.

Wie sind Sie zu einem Eisenbahnmenschen geworden?

Ich komme aus einer Eisenbahnerfamilie – aber wer kommt das nicht in Mitteleuropa? Die Eisenbahn hat hier das Leben vieler Familien geprägt. Ich wollte Lokführer werden, aber wegen meiner Brille haben sie mich nicht genommen. So ging ich ans Gymnasium und wurde zum ersten Akademiker der Familie, studierte Deutsch und Geschichte. Heute werde ich oft gefragt, ob ich ein Eisenbahnliterat sei. Keine Ahnung, woran das liegt, aber ich kehre immer wieder zum Thema zurück.


Der Zug hat Berlin verlassen, draussen auf dem flachen Land fliegen die Stationen vorbei. Gerade sind wir in Elsterwerda. «Die alte Bahnhofsgaststätte hat mich für ein kleines Theaterstück inspiriert», sagt Rudiš. Er schreibt nicht nur über die Strecke, sondern schreibt sie gewissermassen fort.

In Dresden und in Ústí nad Labem, der Industriestadt hinter der tschechischen Grenze, wurde sein Stück «Anschluss» aufgeführt über eine Ortschaft, die ihren Bahnhof verloren hat. Auch andere lassen sich von den Zügen inspirieren. Das Theater in Ústí nad Labem erarbeitet derzeit einen eigenen Abend, der einem Speisewagenkellner gewidmet ist. Dieser wird nach seinem Vorbild Peterka heissen.


Die Eisenbahn fasziniert aus verschiedenen Gründen: Manche interessieren sich eher technisch für Lokomotivtypen, mir gefällt vor allem der kollektive Gedanke, dass man als zufällige Gesellschaft im Zug gemeinsam durch Raum und Zeit fährt. Was fasziniert Sie am meisten?

Die Kulturgeschichte der Eisenbahn. Die Eisenbahn ist für mich eigentlich Europa hinter einem Fenster. Ohne die Eisenbahn hätten wir ein ganz anderes Europa. Ihre Einführung Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Revolution: Früher war das Reisen sehr mühsam. Plötzlich war man an einem Tag an der Adria. Und bis heute fahren wir über die Brücken und durch die Tunnels jener Zeit.

Ist die Eisenbahn also auch ein Mittel, um sich die Geschichte zu erschliessen? In Ihrem Comic über Alois Nebel überlagern sich ja auch die verschiedenen Epochen und die Erinnerung daran.

Auf jeden Fall. Die spannendsten Orte sind für mich die alten Bahnhöfe. Sie erzählen viele Geschichten, oft auch sehr traurige: über den Krieg, die Vertreibung, den Holocaust. Es gibt aber auch schöne Geschichten, über das Wiedersehen und die Rettung. Diese Strecke zwischen Berlin und Prag ist mit vielen Tragödien verbunden. Im Zweiten Weltkrieg ging immer kurz nach sechs ein Schnellzug von Berlin Richtung Prag. Er hatte einen bis zwei Wagen angehängt, die in der Nähe von Theresienstadt abgekoppelt wurden und von dort ins Konzentrationslager gingen. Das kommt mir oft in den Sinn, wenn ich durchfahre. Auch ein Lokführer hat mir erzählt, dass er immer daran denken muss, wenn er den Bahndamm nach Theresienstadt sieht. Die Gleise hat man abgetragen, aber den Bahndamm sieht man bis heute.

Sie sind in der Tschechoslowakei hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang aufgewachsen: Wie stand es damals um die Verbindungen?

Unser Eisenbahnnetz haben wir von der österreichischen Monarchie geerbt, die Kommunisten haben von diesem Erbe profitiert. Die erste Linie ging von Wien nach Mähren, wegen der dortigen Stahlwerke und der Steinkohle. Bereits 1845 wurde die Linie nach Prag eröffnet. Der Hauptbahnhof gilt bis heute als einer der schönsten, eine unglaubliche Eisenbahnarchitektur, eine wahre Kathedrale des Verkehrs! Als 1918 die Monarchie zusammenbrach, gab es die meisten Verbindungen und Bahnhöfe also schon – ich würde sagen, fast zu hundert Prozent. Später, in der Tschechoslowakei, hat man sie nur noch elektrifiziert, leider nicht in dem Ausmass wie in der Schweiz.

Und haben die Kommunisten die Eisenbahn ausgebaut? In Jugoslawien beispielsweise entstand damals die elegante Bergstrecke von Belgrad nach Bar ans Meer.

Nein, hier haben sie ihr Geld lieber in Panzer investiert. Sie haben den Bahnbetrieb heruntergewirtschaftet, aber dafür sind die Strecken und Züge in einem fast musealen Zustand erhalten geblieben. Als dann die Wende kam, waren endlich auch wieder die Verbindungen in den Westen offen. Ich war damals gerade achtzehn Jahre alt. Meine erste Fahrt in den Westen vergesse ich nie: Sie führte mich nach Wien, damals noch mit dem Bus. Da habe ich erfahren, dass wir keine Mittel-, sondern Osteuropäer seien. Für mich war der Osten bis dahin Moskau, und da war ich nur einmal gewesen. Ich bin bis heute manchmal überrascht über das grosse Unwissen über Mittel- und Osteuropa.

Wie erklären Sie sich dieses Unwissen?

Ich glaube, wir hatten im Kalten Krieg mehr Wissen über den Westen als die Menschen im Westen über uns, weil wir in einer Sehnsucht nach Normalität gelebt haben. Da wussten wir natürlich genau, wo Zürich liegt, aber die Münchner wussten nicht exakt, wo sich Pilsen befindet. Ein Freund von mir verkauft Fahrkarten in Berlin. Wenn er eine Fahrt nach Wien über Prag anbot, haben ihn die Leute noch vor zehn Jahren verdutzt angeschaut: Aber Prag liegt doch hinter Wien? Dabei liegt es in der Mitte. Was diese vierzig Jahre Teilung doch mit uns gemacht haben. Ich dachte, das wird sich schnell ändern, aber dem ist nicht so.


Jaroslav Rudiš sammelt alte Kursbücher und liest häufig darin. «Man kann wahnsinnig viel über das frühere Mitteleuropa erfahren.» In seiner «Gebrauchsanweisung» schreibt er, die Kriege und die Grenzziehungen hätten dem Eisenbahnkörper Europas Verletzungen zugefügt. Auf die Frage, ob die Lücken im Netz nach der Wende wieder geschlossen wurden, zieht er eine App mit den früheren und heutigen Bahnlinien in Europa hervor. «Noch immer sind einstige Linien unterbrochen, oft fehlten nur wenige Kilometer Schiene.» Er zeigt auf der Karte auf Bayerisch Eisenstein, wo die Verbindung zwischen Deutschland und Tschechien wieder funktioniert, auch wenn man umsteigen muss. «Ein magischer Ort! Die Grenze verläuft direkt durch das Bahnhofsgebäude.»


Wie ging die Entwicklung der Eisenbahn in Tschechien nach 1989 weiter? Es brach ja die Zeit der Privatisierungen los, von der die SBB in der Schweiz zum Glück verschont wurde.

Darum ist die Schweiz für uns Eisenbahnmenschen auch ein Vorbild! Eine Staatsbahn ist in der Tat ziemlich effizient. Bei uns ist die Infrastruktur auch noch in staatlichem Besitz. Im Gegensatz zu Ostdeutschland, wo man ein dichtes Netz aufgegeben hat, wurden bei uns kaum Linien gestrichen. Der Anschluss auch der kleinen Ortschaften blieb für viele von uns eine Herzenssache.

Warum?

Nehmen wir Lomnice nad Popelkou, wo ich herkomme: Ein Ort mit 5000 Einwohnerinnen und Einwohnern, aber eine lebendige Kleinstadt mit Kino und eben mit Bahnanschluss. Man kommt von dort nach Prag – und bis am Abend weiter ans Meer. Es gibt Länder in Europa, wo das völlig unvorstellbar ist. In Frankreich ist der ländliche Raum zum Beispiel sehr schlecht angebunden. Da ist es kein Wunder, dass die Gelbwesten protestieren.

In abgelegenen Gegenden erstarken häufig rechte und autoritäre Kräfte. Denken wir an Ostdeutschland und die AfD. Ist die Eisenbahn ein probates Mittel dagegen?

Ja, davon bin ich mehr und mehr überzeugt. Wenn du nicht angebunden bist ans Netz, dich abgehängt fühlst, dann führt das zu einer Frustration. Du kannst nicht weg, und keiner kommt mehr zu dir. Die deprimierendsten Orte sind jene, die einmal einen Bahnanschluss hatten und ihn später verloren haben. Die leeren Gebäude, die kaputten Schienen, das stimmt mich immer sehr traurig. Mich würde einmal eine Studie interessieren, die diesen Zusammenhang untersucht. Ich würde ein Mittagessen hier im Speisewagen darauf wetten, dass die Zustimmung zu Rechtsextremen in Gebieten ohne Bahnanschluss höher ist als in solchen mit.

Es reicht ja schon die Vorstellung, dass man den Zug nehmen könnte. Was gibt es Schöneres, als am Bahnhof Zürich die Aufschrift «Hamburg-Altona» zu lesen? Das kurze Glück, dass ich auch nach Hamburg könnte, obwohl ich jetzt nach Hause gehe.

So ist es, exakt! Es geht nicht darum, dass du fahren musst, sondern dass du fahren kannst. Dass du weisst, dass du an dieser Welt teilnimmst. Jeder Bahnhof ist ein Weltanschluss.


Draussen vor dem Fenster zieht jetzt das Elbtal vorbei. Der Zug folgt den langen Schlaufen der Elbe, die hier durch hohe Sandsteinfelsen fliesst. Rudiš deutet auf einen in der Ferne: «Wegen seines Aussehens wird er Lokomotive genannt.» Er kann auch jedes technische Detail auf der Strecke erklären: dass man beispielsweise an den unterschiedlichen Masten der Oberleitung erkennt, dass wir nach Bad Schandau nun in Tschechien angekommen sind.

Natürlich dürfen wir jetzt die Bahnhofsuhr im Grenzort Dolní Žleb nicht verpassen. «Die älteste von Tschechien!» Aber vermutlich sind die Bücher von Rudiš deshalb erfolgreich, weil er die Eisenbahn primär als Kommunikationsmittel versteht. Sein grösstes Lob an der Grenze gilt denn auch den Eisenbahner:innen, die bis heute zweisprachig sein müssen: «Sie leben die Mehrsprachigkeit, weil sie diese im Alltag praktizieren müssen.»


Wir haben über die Wahrnehmung von Mittel- und Osteuropa gesprochen. Wie hat sie sich mit dem Krieg gegen die Ukraine verändert?

Es ist traurig, dass es diesen Anlass gebraucht hat, damit man die Staaten in Mittel- und Osteuropa als eigenständig wahrnimmt. Für uns war die Ukraine immer sehr nah. Einerseits geografisch: Von Prag kommt man mit einem direkten Zug in die polnische Grenzstadt Przemyśl und von dort weiter nach Lwiw. Aber auch historisch: Die Annexion der Krim 2014 und der Angriffskrieg jetzt erinnern uns an die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion, die auch ein imperialistischer Akt war. Tschechien gehörte deshalb wohl auch zu den ersten Ländern, die Waffen an die Ukraine geliefert haben.

Welche Rolle kommt der Eisenbahn im Krieg zu?

Der Fahrdienstleiter Alois Nebel zitiert dazu in meiner Graphic Novel seinen Grossvater: Die Eisenbahn ist eine moderne Waffe. Die Geschichte der modernen Kriege kann man nicht ohne die der Eisenbahn erzählen. Auch jetzt in der Ukraine ist sie wichtig, zum Transport der Waffen, von Hilfsmitteln und der Flüchtenden. Es ist unglaublich, dass es der ukrainischen Eisenbahn gelungen ist, im Krieg den Verkehr aufrechtzuerhalten. Das ist schon ein kleiner Sieg: Die Eisenbahn fährt!

Sie erwähnen in Ihrem Buch zum Zugreisen auch die Eisenbahnfabrik in Luhansk, die einst die weltgrösste war. Was ist aus ihr geworden?

Die Firma ist nach 2014 in die Westukraine umgezogen, doch die Produktion wurde geschlossen. Die Lokomotiven aber, die sogenannten Ludmillas, sind noch im Einsatz: Ohne sie wäre der Güterverkehr in Deutschland längst zusammengebrochen.

Blicken wir in die Zukunft: Sie fahren auf allen möglichen Linien durch Europa. Wo würden Sie investieren?

Ich hoffe, dass die Politik versteht, dass die Eisenbahn eine Zukunft hat, erst recht angesichts der Klimaerwärmung. Noch immer geht zu viel Geld in die Autobahn und den Strassenbau. In Tschechien und vor allem in Deutschland scheint es mir dringend, dass wir möglichst viele Linien rasch ausbauen und elektrifizieren. Am Geld fehlt es nicht, auch Tschechien ist kein armes Land. Es braucht vor allem politischen Willen. Am besten schaut man derzeit nach Österreich, wo massiv in die Schiene investiert wird, mit neuen Alpentransversalen und einem Klimaticket.

Österreich hat auch die Nachtzüge gerettet.

Zumindest für die Schweiz und Deutschland! In Tschechien, Polen oder Italien gibt es sie auch noch. Ich sehe bei den Nachtzügen ein unglaubliches Potenzial. Wien ist für uns Eisenbahnmenschen derzeit der wichtigste Bahnhof in ganz Europa. Man kann von dort mit dem Nachtzug nach Bukarest fahren, nach Kiew, nach Zürich, nach Amsterdam, nach Rom, nach Warschau. Wenn man am späten Abend am Bahnhof steht und sieht, wie die Nachtzüge anfahren und ausrollen, denkt man sich: Das sollte überall selbstverständlich sein. Auch in Zürich.

Wo steht die Schweiz in der Bahnentwicklung?

Sie überzeugt vor allem mit ihrem dichten Netz, bei der Verschränkung von Fern- und Nahverkehr. Der Taktfahrplan ist eine tolle Errungenschaft, die übrigens auch in Tschechien nach der Wende übernommen wurde. Natürlich mag ich auch all die tollen Bergstrecken, beispielsweise die alte Gotthardlinie oder die Reise zur Alp Grüm.

Meine liebste Bahnstrecke in der Schweiz haben Sie in Ihrem Buch nicht empfohlen: die von Le Locle nach Les Brenets im Jura. Kennen Sie die allenfalls noch nicht?

Oh doch, da bin ich im letzten Sommer gezielt hingefahren. Ein uralter Triebwagen in einem hochmodernen Bahnland wie der Schweiz. Ein Traum! Die Bahn soll ja durch einen Bus ersetzt werden. Das wäre ein Verlust.

Gibt es eine Linie, die Sie in der Schweiz vermissen?

Früher gab es einen Tageszug von Interlaken über München bis nach Prag. Es wäre grossartig, wenn der wieder fahren würde. Von dem träume ich oft. Dann könnte ich, von Prag her kommend, in St. Gallen meine dortigen Freunde im «Perronnord» besuchen, eine wunderbare Kneipe mit Bahnblick. Vielleicht meinen einige, St. Gallen liege an der Peripherie. Aber wo man aussteigt, ist immer das Zentrum. So, wir müssen raus! Prag kommt in Sicht.

Die Bücher von Jaroslav Rudiš erscheinen auf Deutsch bei Luchterhand. Seine «Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen» ist bei Piper erschienen, die Graphic Novel «Alois Nebel» bei Voland & Quist.