«Die Erschöpfung der Frauen»: Entschlossen, selbstbewusst und stark
An allzu vielen Fronten reüssieren müssen: In ihrem Bestseller analysiert die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach den postfeministischen Backlash, der Frauen in die Erschöpfung treibt.
«Kennt ihr dieses Gefühl, es allen recht machen zu wollen?» Mit dieser Frage eröffnet Franziska Schutzbach ihr neues Buch – und trifft ins Schwarze. Ich fühle mich in die Vergangenheit zurückversetzt, denke an meine Mutter. Daran, wie Erwerbs- und Sorgearbeit in unserer Familie entlang traditioneller Rollen verteilt waren, und Letztere allein auf ihren Schultern lastete. Und ich denke daran, wie selbstverständlich mir dies lange erschien; dass sie immer da, immer verfügbar war, dass beim gemeinsamen Abendessen über den Arbeitstag meines Vaters, aber nicht über jenen meiner Mutter gesprochen wurde. Ich erinnere mich, wie irritiert ich als Kind war, wenn ich mal ein Nein von ihr hörte. Warum dieses Nein?, fragte ich mich. Liebte sie uns denn nicht? Die Rolle der liebenden Ehefrau und Mutter schien untrennbar mit ihrer Identität verknüpft.
Weibliche Verfügbarkeit
Ich musste dreissig werden, um diese Mechanismen zu verstehen und wie sehr ich selbst von ihnen betroffen bin. Ich musste dreissig werden, um zu realisieren, wie schwer es mir fällt, in Beziehungen Nein zu sagen, meine Verfügbarkeit abzusprechen. Ich hasse es, Nein zu sagen, ich hasse das Gefühl, das dieses Wort in mir auslöst, als ob ich mich jenen Aufgaben entziehen würde, für die ich eigentlich verantwortlich bin: zuhören, wenn es Freund:innen schlecht geht, berufliche Konflikte schlichten oder den Herd in der Wohngemeinschaft putzen, wenn es sonst wieder mal niemand macht. Denn tue ich es nicht, fühle ich mich kalt und unachtsam – und dieses Gefühl ist mir oft noch unangenehmer, als Nein zu sagen. Also sage ich einfach Ja.
Das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen – beruflich, familiär oder sexuell –, spielt eine zentrale Rolle im Buch von Franziska Schutzbach. In «Die Erschöpfung der Frauen» betont die Geschlechterforscherin und Soziologin, dass es sich dabei nicht um ein individuelles Empfinden handelt, sondern um ein systemisches Problem patriarchaler Gesellschaften. Denn der Subjektstatus jener Personen, die als Frauen gelten, hängt davon ab, «gebende Menschen» zu sein. Und erfüllen sie diese vermeintlich «natürliche» Aufgabe nicht, werden sie sanktioniert. Das Gefühl dieser Allzuständigkeit, wie es Schutzbach formuliert, führt unweigerlich zu Erschöpfung, die zu einem selbstverständlichen Aspekt weiblicher Lebensrealitäten wird.
Ähnlich erschöpfend wie die unbezahlte Sorgearbeit, die vermeintlich aus Liebe ausgeübt wird und keinerlei Fähigkeiten erfordert, sind für Schutzbach auch sexualisierte Gewalt und deren weitgehende Normalisierung. Denn wer als Frau gelesen wird, muss sich immer wieder zu grenzüberschreitendem Verhalten positionieren. Zu Sprüchen, die den eigenen Körper kommentieren, zu unerwünschten Annäherungen. Soll ich reagieren? Sagen, dass es mir unangenehm ist? Oder schnell weitergehen aus Angst, mit Aggression oder unbelehrbarer Ignoranz konfrontiert zu werden? «Sei nicht so empfindlich, war ja nicht so gemeint.» Ein Satz, den zu viele Menschen schon zu oft gehört haben.
In dieser Argumentationslinie haben unbezahlte Sorgearbeit und sexualisierte Gewalt eines gemeinsam: die weibliche Verfügbarkeit. Und wird diese Verfügbarkeit verweigert, ist häufig Frauenfeindlichkeit die Folge.
Postfeministische Maskerade
Die weibliche Erschöpfung verschärft sich laut Schutzbach zunehmend, denn die emanzipatorischen Schritte feministischer Bewegungen sind vom neoliberalen Diskurs vereinnahmt. Das gängige Narrativ: Frauen können alles erreichen, Mütter und berufstätig sein. Gleichzeitig wird von ihnen verlangt, nun auch in beiden Bereichen zu reüssieren. Schaffen sie das nicht, heisst es, sie seien für die öffentliche Sphäre halt doch nicht so gut geeignet wie die Männer. Diese Hyperindividualisierung verkennt die strukturellen Probleme: fehlende Elternzeit, rare Teilzeitstellen, signifikante Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern und stereotype Vorurteile gegenüber berufstätigen Müttern.
Wie komplex der Backlash ist, den jene erfahren, die als Frauen gelten, wird im Erwerbsalltag spürbar. Einerseits müssen sie sich Eigenschaften aneignen, die männlich konnotiert sind: Sie müssen entschlossen, selbstbewusst und stark sein. Andererseits laufen sie dabei Gefahr, als «unweiblich» wahrgenommen zu werden. Dann sind sie die mit «Haaren auf den Zähnen» oder werden als «Emanzen» beschimpft. Frauen dürfen also entschlossen, aber nicht zu entschlossen sein, stark, aber nicht zu stark, da sie nach wie vor auch die Rolle der Fürsorgenden und Rücksichtsvollen erfüllen sollen.
Diese Entwicklung definiert Angela McRobbie als Postfeminismus, der behauptet, dass die Gleichstellung der Geschlechter bereits erreicht sei. Verkannt wird dabei, dass das Ideal hegemonialer Männlichkeit nach wie vor wirkmächtig ist. In ihrer Analyse geht die Kulturtheoretikerin noch einen Schritt weiter. Laut McRobbie findet eine Hyperaffirmation vermeintlich weiblicher Eigenschaften statt, damit die eigene Weiblichkeit nicht infrage gestellt wird: durch enge Kleidung etwa, die jenen Körper betonen, der idealerweise aus grossen Brüsten und einer schmalen Taille bestehen soll. McRobbie nennt das «postfeministische Maskerade». Deren unerreichbare Schönheitsideale speisen kapitalistische Logiken und schlagen sich im Konsum von Kosmetik- und Modeprodukten nieder. Entsprechend ist für McRobbie die Frau kein politisches, aber sehr wohl ein ökonomisches Subjekt.
Wie eng Kapitalismus und Patriarchat miteinander verknüpft sind, verdeutlicht auch Franziska Schutzbach. Sie macht diese Nähe an der unbezahlten Sorgearbeit fest, die für das kapitalistische System profitabel ist, weil sie gratis verrichtet und gesellschaftlich abgewertet wird. Ausbeutung und Erschöpfung sind folglich die Basis unserer Wirtschaft. Indem privilegierte Gesellschaftsgruppen die Sorgearbeit von migrantischen und prekarisierten Menschen in Anspruch nehmen, wird die Ausbeutung weiter verlagert. Die Folge sind globale Sorgeketten, wie es die Soziologin Sarah Schilliger formuliert: Nicht nur Geschlecht, sondern auch Klasse, Herkunft und eine restriktive Migrationspolitik verstärken soziale Ungerechtigkeiten.
Und was ist mit den Männern?
In ihrem Buch plädiert Schutzbach dafür, Sorgearbeit als wirtschaftsrelevante Tätigkeit und als gesamtgesellschaftliche Praxis zu verstehen, die nicht nur von denjenigen benötigt wird, die als «schwach» gelten. Dieser Paradigmenwechsel stellt auch das Trugbild hegemonialer Männlichkeit infrage, das Bild des starken und unabhängigen Mannes, der keine Unterstützung braucht.
Aber – was ist mit den Männern? Leiden Männer nicht auch unter dem Ideal, immer entschlossen, immer stark sein zu müssen? Diese Frage schlägt einem aus vielen Interviews entgegen, die zum Buch veröffentlicht wurden. Und diese Frage zeigt auch das eigentliche Problem: Es scheint bis heute nicht legitim, ein Buch zu schreiben, das auf weibliche Lebensrealitäten fokussiert bleibt. Im Gegenteil: Es wird als Affront aufgefasst, als Absage an jene Erfahrungen, die Männer machen. Vielleicht gar als Absage an die Gleichberechtigung? Und einmal mehr sind wir auf das Patriarchatskarussell aufgestiegen. Mut macht dagegen, dass die Analyse von Franziska Schutzbach beharrlich die Bestsellerlisten erklimmt.
Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. Droemer Verlag. München 2021. 304 Seiten. 29 Franken