Durch den Monat mit Gianna Olinda Cadonau (Teil 2): Warum wird Romanisch gefördert, Tamilisch aber nicht?

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Gianna Olinda Cadonau versucht, dazu beizutragen, dass auch die nächste Generation noch Romanisch spricht – nicht nur in Graubünden. Den Austausch mit anderen Sprachminderheiten findet sie nicht einfach: Viele haben mit weit grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen als die Roman:innen.

«Für unsere romanischen Idiome hat die Schweiz eine besondere Verantwortung, es gibt kein anderes Land, in dem sie gesprochen werden»: Gianna Olinda Cadonau.

WOZ: Gianna Olinda Cadonau, du leitest in der Direktion der Lia Rumantscha den Bereich Kultur. Welche Aufgaben hast du da?
Gianna Olinda Cadonau: Ich mache viele Beratungen. Eine Organisation plant zum Beispiel eine zweisprachige Website, und wir überlegen zusammen, was darauf alles romanisch sein muss, damit es glaubwürdig wirkt. Oder jemand sucht romanische Literatur zu einem Thema, eine Sage aus Andeer … Sehr vielseitig, das liebe ich. Dann haben wir einen eigenen Verlag. Wir verlegen nur Übersetzungen: zurzeit zwei, drei Kinderbücher pro Jahr. Das liegt auch daran, dass sehr wenige Autor:innen auf Romanisch für Kinder schreiben. Wir wollen aber trotzdem, dass es Lesefutter gibt – damit die Kinder nicht nur Romanisch sprechen, sondern auch lesen und schreiben.

Nur zwei oder drei Bücher? Das ist wenig.
Ja, aber jedes Buch erscheint in allen fünf romanischen Idiomen, oft auch noch auf Rumantsch Grischun. Es gibt also von jedem Titel fünf oder sechs Varianten, die wir übersetzen und lektorieren. Ausserdem bereite ich die Gesuche vor, für die der Vorstand Direktbeiträge spricht. Wir unterstützen Kulturschaffende jedes Jahr mit rund 90 000 Franken.

Was gehört sonst noch dazu?
Etwa «Tandem im Museum», eine Initiative von Migros Kulturprozent, die es in Zusammenarbeit mit uns auch auf Romanisch gibt: Zwei gehen zusammen in ein Museum, wählen ein Objekt aus, schreiben eine Geschichte dazu und posten sie auf einer Website. Eine schöne Gelegenheit, Romanisch zu brauchen, sehr niederschwellig. Mehr für die Profis sind unsere Workshops in Zusammenarbeit mit dem Übersetzerhaus Looren.

Verändert sich eine Sprache schneller, wenn sie nur von wenigen Leuten gesprochen wird?
Das ist gut möglich. Bei vielen Schreibenden schwingt die Mehrheitssprache Deutsch im Hintergrund ständig mit. Vor allem beim Satzbau gibts immer mehr Aufweichungen. Nicht alle sind glücklich darüber.

Ist das ähnlich wie in Bern? Dort gibt es ja eine Art Sprachpolizei, die über den Dialekt wacht und sich beschwert, wenn jemand in Texten die «falschen» Wörter braucht.
Lange hat man Sprachpolitik als Erhaltung verstanden. Heute wissen wir: Die Sprache wird erhalten, wenn die nächste Generation sie spricht – das ist in der Lia Rumantscha unser oberstes Ziel. Und eine Sprache verändert sich mit jeder Generation. Ein Drittel der Roman:innen lebt ausserhalb des traditionellen Sprachgebiets. Es ist wichtig, dass man uns nicht an diese Bergtäler bindet, weder geografisch noch in kultureller Hinsicht. Zu den Roman:innen gehören auch Städter:innen, alle Hautfarben und Lebensformen. Darum schaffen wir Angebote, damit man auch ausserhalb von Graubünden Romanisch lernen kann.

Es braucht viel Geld, kleine Sprachen zu erhalten. Die «Weltwoche» hat die Roman:innen einmal «die frechste Minderheit der Schweiz» genannt.
Wir haben einen Verfassungsauftrag: Artikel 4 sagt, dass die romanische Sprache erhalten und gefördert werden soll. Klar wäre es bequemer und günstiger, einfach zuzuschauen, wie sie vom Deutschen verdrängt wird. Ja, wir sind von Steuergeldern abhängig, aber das sind die Bäuer:innen auch.

Aber warum werden Albanisch, Tamilisch oder Serbisch nicht auch gefördert? Diese Sprachen sind für mindestens so viele Leute in der Schweiz wichtig.
Das ist eine gute Frage, aber ich würde sie nicht in Konkurrenz zum Romanischen stellen. Pro Helvetia fördert jetzt ja auch Literatur in weiteren Sprachen, das finde ich cool. Aber für unsere romanischen Idiome hat die Schweiz eine besondere Verantwortung: Es gibt kein anderes Land, in dem sie gesprochen werden.

Tauscht sich die Lia Rumantscha mit anderen Sprachminderheiten aus?
Ja, zum Beispiel mit Friesen, Sorbinnen, Ladinern … Kürzlich trafen wir uns zu einem Seminar in Müstair. Der Austausch mit den Friesen ist spannend, weil sie gerade Wörterbücher digitalisieren wie wir auch. Wörterbücher, Korrektur- und Übersetzungsprogramme sind in kleinen Sprachen viel schwieriger zu erarbeiten, weil du weniger Daten hast. Die Sprachminderheiten haben auch eine eigene Fussballeuropameisterschaft, da sind die jungen Roman:innen sehr aktiv.

Findet ihr an solchen Treffen viele Gemeinsamkeiten?
Bei allen geht es darum, dass ihre Identität anerkannt wird. Aber politisch sind die Umstände so verschieden, dass der Austausch oft schwierig ist. Wir sind in einer Luxussituation: Romanisch ist eine Landessprache – und wir wurden nie unterdrückt oder verfolgt. Minderheiten wie die Roma oder die Bask:innen müssen ganz anders kämpfen.

Und die Roman:innen haben wohl immer das grösste Budget?
Ja. Aber im Gegensatz zu den Walisern keine eigene Universität. Und es gibt Sprachminderheiten, die viel mehr Literatur veröffentlichen als wir.

Gianna Olinda Cadonau (38) arbeitet beim Dachverband der rätoromanischen Sprachverbände, der Lia Rumantscha. Bettina Dyttrich und Cadonau kennen sich seit der Kindheit und duzen sich deshalb in diesem Gespräch.