«Une histoire provisoire»: Zuhause auf Zeit

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«La vie de Sacha» heisst es auf dem Umzugskarton, mit dem die männliche Hauptfigur eine steile Treppe hinabstürzt und sich dabei ein Bein bricht – fortan humpelt Sacha mit Gips herum. Eine Trennung, «une pause», steht am Anfang von «Une histoire provisoire». Mit seiner Partnerin verkracht, findet der Genfer Werbemensch Sacha Unterschlupf in der Wohnung seiner Grossmutter, die kürzlich ins Altersheim umgezogen ist.

So provisorisch wie sein aktueller Lebensabschnitt ist auch der von Marjan. Die junge Iranerin hat es mit ihrem Ehemann, einem Forscher mit befristetem Projekt an der Uni, nicht mehr ausgehalten. Notfallmässig auf Zimmersuche, landet sie bei Sacha, nachdem dessen Schwester die Wohnung der Oma auf einer einschlägigen Plattform ausgeschrieben hat. Sie wohne doch nicht mit unbekannten Männern zusammen! Nach ihrem hilflosen Protest fügt sich Marjan dann doch – und wirft sich gleich mal ein Kopftuch über: «Damit mich der Mann im Zimmer nebenan in Ruhe lässt», erklärt sie per Skype ihrer Schwester im Iran, als diese fragt, ob sie jetzt spinne. Dabei will der Mann im Zimmer nebenan auch nur seine Ruhe – doch damit ist es vorbei, als wenig später noch Mina eintrifft, eine dauerquasselnde amerikanische Rucksacktouristin.

Willkommen in der schönen neuen Multikulti-WG-Welt von Airbnb! Der 1967 in Brig geborene Romed Wyder hat Erfahrung mit Filmen über gemeinschaftliches Wohnen: Die Filmschule schloss er 1996 mit «Squatters» ab, einem Dokumentarfilm über die Genfer Hausbesetzerszene, der er damals selber angehörte. Drei Jahre später siedelte er auch sein Spielfilmdebüt, «Pas de café, pas de télé, pas de sexe», in dieser Szene an – eine überdrehte Komödie um zwei Männer, die dieselbe Frau lieben. Als Dreiecksgeschichte lässt sich auch «Une histoire provisoire» lesen, doch diese bleibt hier nur angedeutet, und die Heiterkeit der späten Neunziger ist ebenso verschwunden wie die Gewissheiten über Identität. Oder wie Marjan einmal einen iranischen Autor zitiert: «Zu Hause ist der Ort, den man verlässt, wenn man woanders hingeht, und an den man zurückkehrt, wenn man woanders war.»

In: Solothurn Landhaus, Fr, 21. Januar 2022, 18 Uhr, und Reithalle, Mo, 24. Januar 2022, 15 Uhr. Ab Frühling 2022 im Kino.

Une histoire provisoire. Regie: Romed Wyder. Schweiz/Luxemburg 2022