Wölfe und andere Geister Der 33-jährige Romand Fisnik Maxville und sein erster Spielfilm «The Land Within».

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Filmstill aus dem Film «The Land Within»
Die Cousine im Schatten: Luàna Bajrami als Una in «The Land Within». Still: Alvafilm

Die Videothek als erste Filmschule: Seit Quentin Tarantino gehört das bei frühen filmbiografischen Prägungen zum Standardrepertoire. Bei Fisnik Maxville geht die Geschichte so: «Wir hatten einen Fernseher mit eingebautem VHS-Player», erzählt er, und die Wintersonne über dem Lac Léman scheint ihm direkt ins Gesicht. Sein grosser Moment sei dann gekommen, als der örtliche Videoladen auf DVD umstellte und deshalb die alten VHS-Kassetten für zwei bis drei Franken verramschte: «Endlich konnte ich mir jede Woche einen neuen Film leisten.» Davor habe er immer «Kevin allein zu Haus» oder einen der drei bis vier anderen Filme schauen müssen, die er damals auf VHS besessen habe.

Aufgewachsen ist Maxville in Neuchâtel. Behördlich zugewiesenes Zuhause. Seine Familie war 1993 eigentlich auf dem Weg nach Lyon, auf der Flucht vor dem Krieg in Exjugoslawien. Weil die hochschwangere Mutter medizinische Hilfe brauchte, blieben sie erst mal in Genf, wo dann seine Schwester zur Welt kam. Nach dem Asylgesuch wurde die Familie dem Kanton Neuenburg zugeteilt: N-Ausweis, dann F-Ausweis. Bei Schulreisen nach Frankreich durfte Fisnik nicht mitfahren, bis er 2005 den Schweizer Pass erhielt, als Erster aus seiner Familie. «Der Schweizer Pass war eigentlich meine erste Identität auf Papier», sagt er. «Davor war ich staatenlos, die Republik Kosovo gab es damals ja noch nicht.»

Dort spielt nun sein erster Spielfilm, auch wenn das Land darin nie namentlich genannt wird. Zu Beginn sind wir noch in der Schweiz, wo Remo (Florist Bajgora), als Teenager einst vor dem Krieg geflohen, vom Amt vorgeladen wird, wie vor ein kleines Tribunal: Einbürgerungsgespräch. Wieso er denn Schweizer werden wolle? Im Land seiner Herkunft sei ja Frieden eingekehrt, er könne jetzt doch wieder zurück. Wenig später erreicht ihn eine Nachricht von einer Cousine aus der alten Heimat: Remos Pflegevater liegt im Sterben, während im Dorf zugleich Massengräber aus der Zeit des Krieges entdeckt werden. Eine alte Ordnung kommt an ihr Ende, zugleich kommen die Spuren von noch älteren Geschichten ans Tageslicht.

Bloss kein Armutsporno

«The Land Within» heisst der Film: Wo er auch hinkommt, Remo wird das Land, das er einst verlassen hatte, immer in sich tragen, wie eine Schuld, die er nie begleichen konnte. Seine Cousine Una dagegen ist zeitlebens dortgeblieben, die traumatische Geschichte des Landes steht ihr ins Gesicht geschrieben. Gespielt wird sie von Luàna Bajrami, bekannt geworden als Bedienstete in «Portrait de la jeune fille en feu». Una hält in «The Land Within» die Stellung und wacht am Sterbebett. «Botë fantomatike», sagt sie einmal zu Remo: Dies hier sei eine Geisterwelt, daran solle er sich besser mal gewöhnen.

Eine Geisterwelt hat auch Fisnik Maxville auf der Suche nach einem geeigneten Drehort vorgefunden, höchstens eine Autostunde von Prishtina entfernt. Erst der Krieg, heute die Landflucht: Im Dorf, wo er «The Land Within» drehte, seien etwa achtzig Prozent der Häuser leer gestanden. «Dafür hatten wir völlig freie Hand, konnten Häuser neu streichen oder sogar eigens zusätzliche Teile anbauen.» Der Ort sollte zwar etwas Gespenstisches haben, aber Maxville wollte das Ruinöse nicht ausschlachten: Bloss kein Armutsporno, das war ihm wichtig. Die Geisterwelt im Film manifestiert sich eher darin, dass die Figuren aus dem Verborgenen auftreten, manchmal wie aus dem Nichts. Und was ist mit den Wölfen, deren ominöse Rückkehr dauernd beschworen wird? Sind damit einfach die Tiere gemeint, die Una einmal im Wald heimsuchen, in einer surrealen Szene? Oder ist das ein Codewort, eine Metapher, und wenn ja, für wen?

Filmemacher Fisnik ­Maxville
Den naheliegenden Weg hat er rasch wieder ­verlassen: ­Filmemacher Fisnik ­Maxville. Foto: Reiko Kolatsk

Nicht alles überzeugt gleichermassen an diesem schwer befrachteten Debüt über die Tyrannei der Väter und die Narben des Krieges, die auch jene tragen, die ihn nur aus der Ferne mitbekommen haben. Manches in «The Land Within» ist etwas dick aufgetragen, etwa wenn die stumme Tante nach einem halben Leben des Schweigens wieder zu sprechen anfängt. Aber wie hier auch über Rückblenden allmählich ein dunkles Familiengeheimnis freigelegt wird, das bis vor den Krieg zurückreicht und dessen Verflechtungen sich erst am Schluss entwirren: Da kann man lange suchen, bis man einen Schweizer Erstling findet, der erzählerisch so ambitioniert eine Tragödie über mehrere Generationen entfaltet.

Gehässige Reaktionen

Dabei stand Fisnik Maxville bis vor zehn Jahren noch ganz woanders. Künstler zu werden? Diesen Gedanken hätte er sich früher nie zugestanden, erzählt er. So studierte er zuerst Internationale Beziehungen und Geopolitik, nach dem Master arbeitete er beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten. Sich dann weiter hocharbeiten im diplomatischen Dienst, das wäre der naheliegende Weg gewesen. Doch er merkte: «Ich brauche etwas anderes.» Auf diesem bürgerlichen Pfad hatte er sich ja schon bewiesen, also konnte er auch gleich wieder aussteigen – und er schrieb sich für den Master an der Filmschule in Genf und Lausanne ein.

Nach seinem Diplomfilm «Lost Exile» (2016) drehte er mehrere Dokumentarfilme, darunter «Fin de partie» (2020), ein TV-Porträt über den Fussballtrainer Bernard Challandes und dessen Zeit als Coach der kosovarischen Nationalmannschaft. Aber er müsse da auch aufpassen, sagt Fisnik Maxville: Er wolle mit seinen Filmen nicht der «Kosovare vom Dienst» sein. Und mit seinem neusten Dokumentarfilm bewegte er sich zuletzt buchstäblich abseits aller Pfade: In «Nostromo» (2021) porträtierte er einen Franzosen, der sich als Einsiedler fernab der Zivilisation sein kleines Revier in der kanadischen Wildnis aufgebaut hat – ein weisser Europäer als Aussteiger auf dem Land, das den First Nations gehört.

An den Visions du Réel in Nyon gewann er damit gleich den Preis für den besten Schweizer Film. Sein Name als Regisseur war da noch ein anderer: Fisnik Maxhuni, so steht es bis heute in seinem Pass. Wie kam er zum Namen Maxville, der seine kosovarischen Wurzeln teils verdeckt? Er hat ihn sich wegen «Zvicra» (2018) zugelegt, eines gemeinsam mit Benoît Goncerut realisierten Dokumentarfilms über Kosovar:innen in der Schweiz und ihr Ringen um Identität. Aus der kosovarischen Community habe er damals viele gehässige Reaktionen auf den Film erhalten – und als die Beleidigungen dann sogar seinen Grossvater im Kosovo erreichten, habe er sich entschieden, seine Familie zu schützen, und sich eben diesen Künstlernamen zugetan, als Hommage an Herman Melville. Die Eltern hätten kein Problem damit, sagt er. Seine Geschichte hängt nicht an einem Namen.

«The Land Within». In: Solothurn, Landhaus, Sa, 21. Januar 2023, 20 Uhr, und Reithalle, Mo, 23. Januar 2023, 17.15 Uhr.