Ein Traum der Welt: Schimmel im Weltall

Nr. 4 –

Annette Hug findet das Grosse im Kleinen

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist immer wieder für Überraschungen gut. Kürzlich sah ich mich genötigt, genauere Informationen über die Gefahren des Schimmelbefalls einzuholen. Und tatsächlich findet sich beim BAG eine Broschüre: «Vorsicht Schimmel!»

Allerdings täuscht dieser Titel. Natürlich werden quellende Stützbalken, rostendes Metall, Atemnot und gereizte Augen geschildert. Zuerst lassen die Verfasser:innen aber ihrer Begeisterung freien Lauf. «Faszination Schimmel» könnte die Broschüre auch heissen, und das kommt mir sehr entgegen. Wieder einmal in die eigenen vier Wände zurückgeworfen, ist jede Erweiterung des Horizonts willkommen.

Mikroskopische Sporen haben sich also auf einer feuchten Oberfläche niedergelassen. Kaum waren sie Pilz, mussten sie sich ernähren. Besonders gern mögen sie Holz und Tapeten, Hausstaub, Hautschuppen und die Ausscheidungen von Schaben und Hausstaubmilben. Was ich einfach als Schmutz bezeichnet hätte, ist also ein Stoff, der sich nachts mit meinen Ausdünstungen verbindet und von Verdauungseiweissen des Schimmelpilzes in Nahrung verwandelt wird. Von einer «unbändigen Kraft, sich zu vermehren» schreiben die Expert:innen und nennen eine «weitere rekordverdächtige Stärke»: Schimmelsporen seien «Meister der Flugtüchtigkeit». Überall sind sie und gelangen sogar ins Weltall.

Der Schmutz, der sich dort in den Umlaufbahnen von Satelliten ansammelt, sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Seit die Firma SpaceX von Elon Musk eigene Satelliten zu Hunderten ins All schiesst, häufen sich gefährliche Begegnungen zwischen Flugkörpern. Die chinesische Raumstation Himmelspalast musste einer Starlink von SpaceX ausweichen. Aber auch die Schrottteile des defekten Wettersatelliten Fengyun-1C, den die chinesischen Betreiber:innen abgeschossen haben, kreisen in ungeplanten Orbits und sind zur Bedrohung geworden.

Nicht auszumalen, was passiert, wenn sich Wasserreserven in den Ruinen einer Raumstation ausbreiten, wenn sich Feuchtigkeitsflecken bilden und die Schimmelsporen meisterhaft vordringen, um Baumaterial zu verdauen, vielleicht sogar Humus zu bilden auf Leichen im drohenden Satellitenkrieg. Die Fastkollisionen können nämlich auch aktiv herbeigeführt werden in «rendez-vous and proximity operations»: Ein russischer Militärsatellit trägt in seinem Innern einen weiteren Satelliten, der einen weiteren kleinen Flugkörper entlässt. Dieser kann Satelliten reparieren, ausspionieren, aber auch Solarpaneele beschädigen, also ganze Raumstationen unbewohnbar machen.

Den betroffenen Astronaut:innen wäre dann zu wünschen, dass sich die Schimmelsporen von der Erde mit jenem Myzel verbinden, das in den «Discovery»-Staffeln der Fernsehserie «Star Trek» den sagenhaften Warp-Antrieb ablöst. Indem sich Menschen und Raumschiffe in die mikroskopischen Verästelungen eines intergalaktischen Pilznetzwerks auflösen, um sich andernorts in ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuverwandeln, bewegen sie sich in unvorstellbarer Geschwindigkeit durchs All.

Gelänge das einer bedrohten Crew, müsste sie sich auch nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob sie der Empfehlung des BAG, den Eigentümer der Raumstation sofort über jeden Schimmelbefall zu informieren, tatsächlich Folge leisten will.

Annette Hug ist Autorin in einer Mietwohnung in Zürich.