Hetze im Internet: Die Prioritäten der Basler Staatsanwaltschaft
Die Behörde steht schon länger in der Kritik, sie würde politisch einseitig agieren. Nun lässt sie einen rechtsextremen Troll straffrei davonkommen.
Mit der Coronapandemie wurde es im Feld der digitalen Hetze unübersichtlich. Aus allen Ecken und auf allen Kanälen wird gedroht, beleidigt, verleumdet. Vor einigen Jahren gab es noch Leitstimmen in diesem unappetitlichen Metier. Eine davon hiess Martin Widmer, er betrieb eine in rechten Kreisen viel beachtete Facebook-Seite. Erst hiess die Seite Kampagne 15, dann Kampagne 19. Darauf verbreitete er jeweils im Vorfeld der nationalen Wahlen Propaganda für die SVP, er hetzte gegen Ausländer:innen, gegen Linke im Allgemeinen und linke Frauen im Besonderen.
Hart gegen links
2018 deckt die damalige «TagesWoche» auf, wer dieser Martin Widmer ist: ein in Basel-Stadt wohnhafter älterer Mann, der sein Geld mit geerbten Immobilien verdiente. Über Simonetta Sommaruga habe er geschrieben: «Advent, Advent, die Schlampe flennt.» Über SVP-Politikerin Natalie Rickli, man solle sie so aus der Partei werfen, «dass sie sich nach ihrem Burn-out» zurücksehne. Es sind eher harmlose Auszüge aus seinen Pamphleten. «Der grösste Internet-Hetzer der Schweiz wohnt in einer Villa in Riehen», stand über dem Text der «TagesWoche».
Seitdem ermittelte die Basler Staatsanwaltschaft gegen den Mann. Ende Januar hat sie ihre Untersuchung aber ergebnislos eingestellt. Der Grund: Sämtliche Vorwürfe seien nun verjährt. «Somit ist das Verfahren wegen aufgetretener Prozesshindernisse einzustellen», schreibt die Behörde in ihrer Verfügung. Angezeigt hatte Widmer die frühere Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin, an der sich der Troll immer wieder abgearbeitet hatte.
Dass die Staatsanwaltschaft Widmer ungeschoren davonkommen lässt, passt ins Bild einer Behörde, die hart gegen linke Demonstrant:innen und Politiker:innen (siehe WOZ Nr. 38/2021 ) vorgeht, gegen rechts aber den nötigen Ermittlungseifer oft vermissen lässt. Bestes Beispiel sind die «Basel Nazifrei»-Verfahren, in denen die Staatsanwaltschaft mit grossem Ressourceneinsatz Teilnehmende einer Protestkundgebung gegen einen Auftritt der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) verfolgte – die antisemitische Rede des Pnos-Politikers Tobias Steiger aber lange unbeachtet liess. Selbst die zahnlose Aufsichtskommission der Staatsanwaltschaft rügte die Basler Ermittler in einem Bericht wegen ihres Desinteresses an Steiger: Der Verfahrensleiter scheine die Brisanz des Falles für die öffentliche Wahrnehmung völlig verkannt zu haben, schrieb sie.
Zur Verjährung im Fall Martin Widmer will sich die Basler Staatsanwaltschaft nicht äussern. Sie schreibt aber von der nötigen Priorisierung bei 20 000 Anzeigen pro Jahr. Zudem könne sich ein «Gerichtsstandsverfahren» verzögernd auswirken. Damit gemeint ist, dass die Anzeige gegen Widmer zunächst von der Staatsanwaltschaft Zug bearbeitet wurde, die diese erst nach den Medienberichten nach Basel überstellte. Ausserdem, so die Staatsanwaltschaft weiter, könnten sich «Beweismittel allein für sich genommen als nicht hinreichend herausstellen, etwa wenn es darum geht, mutmassliche Täterschaften gerichtsverwertbar zu identifizieren».
Zwar lagen der Staatsanwaltschaft Screenshots der angezeigten Einträge vor, Widmer behauptete aber offenbar, nicht dafür verantwortlich zu sein. Die Facebook-Seiten waren in der Zwischenzeit gelöscht worden. Ob diese rechtzeitig mithilfe von Facebook oder der Bundespolizei gesichert wurden, wie es das Bundesamt für Justiz in solchen Fällen dringend empfiehlt, ist unklar.
«Neue Volkspartei»
Während des Verfahrens ist es dann tatsächlich oft schwierig, bei Ehrverletzungsdelikten von Facebook die relevanten Daten zu erhalten. Die Erfolgsaussichten seien wegen des ersten Zusatzartikels der US-Verfassung, der die Meinungsäusserungsfreiheit gewährleiste, gering, teilt das Bundesamt für Justiz auf Anfrage mit. Die Zürcher Staatsanwaltschaft spricht von einer «massiv erschwerten Strafverfolgung». Oft daure es sehr lange, im Rahmen der Rechtshilfe von Facebook Antworten zu bekommen. Die überwiegende Zahl der Gesuche würde abgelehnt.
Doch ob dieser beschwerliche Ermittlungsweg bei Martin Widmer überhaupt nötig war, bleibt fraglich. 2018 musste er sich vor dem Basler Zivilgericht verantworten, einmal mehr ging es um einen mutmasslich ehrverletzenden Eintrag zu Jolanda Spiess-Hegglin. Widmer bestritt damals nicht, den Beitrag verfasst zu haben. Er berief sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit und darauf, dass Spiess-Hegglin eine Person des öffentlichen Interesses sei. Schliesslich einigten sich die Zugerin und Widmer auf einen Vergleich: Er würde den Beitrag löschen und nicht mehr über sie schreiben.
Eine Weile war es danach still um den Mann. Aufgegeben hat Widmer sein öffentliches Treiben aber nicht: Die Pandemie hat ihm nun eine neue Bühne geboten. Er gründete die Neue Volkspartei und betreibt die Facebook-Seite «Ja zur direkten Demokratie». Dort hetzt er gegen Taskforce-Chefin Tanja Stadler – sie sei «mitverantwortlich für Tausende Suizide und zerstöre Existenzen» –, beschimpft erneut Natalie Rickli, schwadroniert von SP-Kopräsidentin Mattea Meyer als «International-Sozialistin» – und gibt Dutzenden Coronatrollen einen Ort, ihren Hass abzuladen. Das Scheitern der Basler Staatsanwaltschaft dürfte ihn noch bestärken.