Kommentar zum Ukrainekonflikt: Ausweg aus der Krise

Nr. 7 –

Was braucht es, damit der Ukrainekonflikt friedlich gelöst werden kann?

Statt dem von den US-Geheimdiensten bereits für diese Woche befürchteten Angriff russischer Streitkräfte auf die Ukraine gab es erstmals ein leichtes Entspannungssignal im seit über zwei Monaten eskalierenden Konflikt zwischen Moskau und den Nato-Staaten. Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte nach seinem Gespräch mit Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag den Teilabzug russischer Streitkräfte nahe der Grenze zur Ukraine an. Putin sicherte zu, die Ukraine werde auch nach einer Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 Transitland für russisches Gas bleiben. Sollte der Truppenabzug weitergehen und Russland, wie angekündigt, seine Militärmanöver nach dem 20. Februar beenden, können die westlichen Staaten das als Erfolg ihrer Geschlossenheit und ihrer Sanktionsdrohungen gegen Moskau feiern.

Doch für eine nachhaltige Entspannung muss auch Putin vor der eigenen Bevölkerung einen gesichtswahrenden Erfolg vorweisen können. Verhandlungen über Rüstungskontrollen und Abrüstungen bei Atomwaffen, Mittelstreckenraketen und konventionellen Streitkräften, die US-Präsident Joe Biden Moskau bereits zugesagt hat, reichen dafür nicht aus. Putin muss zumindest ein kleines Entgegenkommen des Westens in der für ihn zentralen Frage einer Aufnahme der Ukraine in die Nato vorweisen können.

Mit seiner Bemerkung, diese Frage sei «kein Thema, das uns wahrscheinlich in unseren Ämtern begegnen wird, wenigstens solange wir sie ausüben», deutete Bundeskanzler Scholz an, wie dieses Entgegenkommen aussehen könnte. Putin will nach der von ihm erwirkten Verfassungsänderung bis mindestens 2036 Kreml-Chef bleiben, und Scholz könnte im Fall seiner Wiederwahl bis 2030 oder noch länger in Berlin regieren. Ein von der Nato erklärtes, mehrjähriges Moratorium in der Frage einer Aufnahme der Ukraine würde Zeit und Luft schaffen, um als ersten Schritt den Gewaltkonflikt im Donbass zu beenden.

Ohne ein solches Moratorium ist nicht zu erwarten, dass Moskau seine Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen zum Rückzug aller Söldner:innen aus dem Donbass sowie zur Einstellung jeglicher militärischer Unterstützung für die dortigen Separatist:innen erfüllen wird. Und so lange wird auch Kiew der Verpflichtung nicht nachkommen, Regionalwahlen im Donbass zuzulassen und anschliessend einen Autonomiestatus der beiden Provinzen zu akzeptieren. Erst nach Befriedung des Gewaltkonflikts in der Ostukraine gäbe es dann auch Chancen für erfolgversprechende Verhandlungen über Rüstungskontroll- und Abrüstungsmassnahmen sowie über neue, gemeinsame Strukturen auf dem eurasischen Kontinent, die die «legitimen Sicherheitsinteressen» aller Beteiligten tatsächlich berücksichtigen.

Bei einer Wiederaufnahme der im Herbst 2013 zunächst abgebrochenen Assoziierungsverhandlungen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union wäre gemeinsam mit Moskau zu klären, wie etwa eine Zollunion zwischen Brüssel und der Ukraine kompatibel mit der russisch-ukrainischen Zollunion gestaltet werden könnte. Ganz dringend bedarf es zudem einer gross angelegten Kooperation zwischen der EU und Russland im Bereich der Förderung und der Nutzung erneuerbarer Energien, um die fatale Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Sonst werden die Pariser Klimaziele von Russland und damit auf dem gesamten eurasischen Kontinent krachend verfehlt.

Ein Gelingen dieser Entspannungsschritte hängt wesentlich davon ab, wie die Führungseliten in Washington ihr strategisches Dilemma auflösen: Wollen sie für die Auseinandersetzung mit ihrem globalen Hauptkontrahenten China Russland als Partner gewinnen? Oder wollen die USA den Spannungs- und Konfliktzustand auf dem eurasischen Kontinent mit Russland als Bedrohungsfaktor bewahren? Nur so könnten sie die weitere Existenz der Nato ebenso rechtfertigen wie ihre eigene Rolle als Führungsnation und atomare Schutzmacht in der Militärallianz. Das erlaubte Washington, seine Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in und über Europa zu erhalten. Auf Dauer lassen sich nicht beide Strategien verfolgen.