Tata Steel: Bewegung ums Stahlwerk

Nr. 8 –

Die niederländische Staatsanwaltschaft ermittelt seit kurzem gegen den Industriegiganten Tata Steel: Dieser solle wissentlich die Umwelt verschmutzen und die Gesundheit der Anwohner:innen gefährden.

Für Tausende Menschen in der Nähe der Hafenstadt IJmuiden gibt es seit Anfang Februar Anlass zur Hoffnung. Denn die niederländische Staatsanwaltschaft kündigte strafrechtliche Ermittlungen wegen «vorsätzlicher und rechtswidriger Umweltverschmutzung» gegen das Montanunternehmen Tata Steel an. Es geht um die Frage, ob von dessen Stahlwerk am Nordseekanal wissentlich schädliche Stoffe in Luft, Boden oder Wasser geleitet wurden.

Der strittige Fabrikkomplex befindet sich nahe Amsterdam auf einem 750 Hektaren grossen Industriegelände – dem grössten des Landes. Das Werk hat auch die höchsten CO2-Emissionen der Niederlande, nämlich rund 12,3 Millionen Tonnen jährlich. Seit Jahren häufen sich ökologische Hiobsbotschaften: Behördliche Inspektionsdienste stellten fest, dass der Ausstoss von Stickstoffoxiden und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen jenseits zulässiger Werte liegt. Die Feinstaubwerte in der Umgebung sind nach Messungen des staatlichen Gesundheitsinstituts RIVM stark erhöht. Und der Regen in der Region enthält vor allem für Kinder gefährliche Mengen der Schwermetalle Blei, Mangan und Vanadium.

Seit 2007 befindet sich das Stahlwerk im Besitz von Tata Steel, einem Weltkonzern mit Sitz im indischen Mumbai. Nachdem einzelne Anwohner:innen Anzeige erstattet hatten, reichte die Anwältin Bénédicte Ficq Anfang 2021 eine Sammelklage gegen Tata Steel ein. Dieser haben sich rund 1200 Personen angeschlossen. Das nun eröffnete Ermittlungsverfahren begrüsst die Juristin als «sehr wichtigen Schritt». Sie wirft dem Konzern vor, bewusst die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden: «Hielte die Staatsanwaltschaft das für unbegründet, hätte sie diese Ermittlungen nicht begonnen», sagt sie gegenüber der WOZ.

Unwahre Werte

Tatsächlich scheinen die Indizien eindeutig: Eine RIVM-Studie von 2020 beziffert das Lungenkrebsrisiko im benachbarten Städtchen Beverwijk auf 27 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Im Januar kam eine weitere Untersuchung zum Schluss, dass die Emissionen des Tata-Steel-Werks viel höher liegen als die Werte, die das Unternehmen selbst nennt: Sechsmal mehr Blei und dreissigmal mehr Vanadium würden ausgestossen als offiziell angegeben. Die Emissionswerte mancher Kohlenwasserstoffe sollen die deklarierten Werte sogar um mehr als das Tausendfache übersteigen. Erst seit in den letzten Jahren wiederholt Untersuchungen über die Gesundheitsprobleme in der Region veröffentlicht wurden, verstärkte die Politik den Druck auf den Stahlriesen. Davor genoss das Stahlwerk mit seinen rund 9000 Beschäftigten lange Zeit Handlungsfreiheit: Die «Königlichen Hochöfen» waren bis 1999 in staatlicher Hand und galten als Ikone der niederländischen Industrie.

Mit den Folgen wird der Allgemeinarzt Luc Verkouteren in seiner Praxis in IJmuiden regelmässig konfrontiert. «Es gibt hier in der Region viel mehr Krebserkrankungen», sagt er. Und auch Herz-, Gefäss- und Lungenkrankheiten, Asthma und Diabetes würden überdurchschnittlich häufig diagnostiziert. Vor allem die Häufigkeit der Lungenleiden sei ihm aufgefallen. «Irgendwann ging mir ein Licht auf», sagt der Mediziner. «Hier wird mit der Gesundheit der Anwohnenden und der Belegschaft gespielt.» Für Verkouteren ist Tata Steel für diese Gesundheitsprobleme verantwortlich. Auch er hat deshalb Anzeige erstattet.

Erfolge vor Gericht

Der Sammelklage der Anwältin Bénédicte Ficq hat sich auch Sanne Walvisch angeschlossen. Sie lebt im stark von den Emissionen betroffenen Küstendorf Wijk aan Zee (siehe WOZ Nr. 51/2020 ), das nur zwei Kilometer vom Betriebsgelände entfernt liegt. Vor rund einem Jahr war sie eine der Gründer:innen der Stiftung «Frisse Wind.nu» (Frischer Wind jetzt), die sich gegen den Konzern engagiert. «Die Emissionen von Tata Steel sind ein unsichtbarer Feind», steht auf der Website der Organisation, sie würden schwere Schäden für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier verursachen. «Wir wollen, dass das aufhört», so die Ansage. Aktivistin Walvisch ist durchaus optimistisch: «Etwas hat sich geändert im letzten Jahr», sagt sie. Bis vor kurzem sei das Thema lediglich als lokales Problem betrachtet worden, landesweit hätten es weder Medien noch die Politik aufgegriffen. «Nun gilt Tata als der Grossverschmutzer, der es ist – und auch bekannte Umweltorganisationen beschäftigen sich damit.»

Dazu beigetragen hat nicht zuletzt der Erfolg einer Klage, die von der Klimaschutzorganisation Urgenda gegen den niederländischen Staat eingereicht worden war: Die Klimaerhitzung bedrohe das Recht auf Leben und das Wohlergehen der Bürger:innen, urteilte der Hohe Rat, das oberste Gericht der Niederlande – und verpflichtete die Regierung zum Handeln. 2021 wurde überdies der Ölkonzern Shell nach einer Klage der Umweltschutzorganisation Milieudefensie von einem Gericht dazu verpflichtet, seinen Ausstoss von Schadstoffen zu reduzieren.

Derweil sorgt Tata Steel für weitere negative Schlagzeilen: Die Lokalzeitung «IJmuider Courant» enthüllte Mitte Februar, dass der Konzern überschüssiges Eisenerz und Steinkohle illegal in der Nordsee entsorgen lässt.