Theater: Raus aus dem Happyland

Nr. 8 –

Welche Hauttöne gibt es in der Maske? Theater ist vielerorts immer noch eine sehr weisse Sphäre. Wie Bühnen in Bern und Zürich das endlich ändern wollen.

Andere Geschichten für ein jüngeres, diverseres Publikum: Pauline Avognon als Ella in ­«Bullestress» am Schauspielhaus Zürich. Foto: Gina Folly

«Ich glaube, ich könnte kein Stück machen, das nicht von Rassismus handelt – und das ist doch verrückt.» Die Performerin Ntando Cele schüttelt den Kopf. Seit neun Jahren lebt die südafrikanische Performerin in Bern.

Regelmässig erarbeitet sie neue Stücke, die sie im In- und Ausland aufführt und in denen sie sich mit schonungslosem Humor mit Identität, Machtverhältnissen und Rassismus auseinandersetzt (siehe WOZ Nr. 1/2021 ). «Dabei wäre mein Ziel als Schwarze Künstlerin, einfach nur Unterhaltung zu machen.» Doch das sei unmöglich: «Allein meine Anwesenheit auf der Bühne wird als politisches Statement wahrgenommen.» Ausserdem würden an Schwarze Performer:innen ganz bestimmte Erwartungen gestellt. So habe ein älteres Paar einmal eine Aufführung von ihr verlassen, weil sie weder gesungen noch getanzt habe.

Seit letztem Jahr ist Cele im Berner Schlachthaus-Theater als «Counsel for Diversity and Racism» angestellt. In dieser Funktion hat sie interne Workshops wie auch öffentliche Veranstaltungen zum Thema «Exit Racism» mitinitiiert – angelehnt an das gleichnamige Buch von Tupoka Ogette. Die international gefragte deutsche Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung wurde nun eingeladen, um einen internen Workshop und eine öffentliche Veranstaltung unter dem Titel «Vom Wandel weisser Institutionen» zu geben.

Von Weissen für Weisse

Dass auch Theater weisse Institutionen sind und dass auch hier institutioneller und struktureller Rassismus existiert: Das ist eine Tatsache, die erst seit gut zehn Jahren überhaupt laut diskutiert wird. Lange schienen die Theaterschaffenden in einem «Happyland» zu leben, wie es Ogette nennt: «Happyland ist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der anderen ist», schreibt sie in ihrem Buch. «In Happyland wissen alle Bewohner:innen, dass Rassismus etwas Grundschlechtes ist. […] In Happyland ist nur Platz für bestimmte Menschen. Und zwar für weisse. Das liegt daran, dass es von Weissen für Weisse geschaffen wurde, damit sie es dort gemütlich haben.»

Pascale Altenburger

2012 fragte der «Spiegel» noch, ob es rassistisch sei, wenn schwarz geschminkte Weisse auf der Bühne Schwarze darstellten. Auslöser war damals eine geplante Aufführung des Stücks «Clybourne Park» des US-Autors Bruce Norris. Darin trifft eine Schwarze Familie auf rassistischen Widerstand, als sie in ein von Weissen bewohntes Quartier ziehen möchte. Der Autor untersagte die Aufführung am Deutschen Theater in Berlin, weil der Schweizer Regisseur Rafael Sanchez in seiner Inszenierung die Schwarze Protagonistin mit einer weissen Schauspielerin besetzt hatte.* Gleichzeitig lösten zwei Inszenierungen mit Blackfacing in Deutschland grossen Widerstand und eine Debatte über Rassismus im Theater aus. Regisseur Sanchez sagte damals gegenüber dem «Spiegel»: «Norris schrieb mir in einer Mail, dass wir sein Stück nur spielen dürften, wenn wir die beiden Hauptrollen mit schwarzen Schauspielern besetzen, wie er es vorgesehen hat. Das konnte und wollte ich nicht.»

Dass er oder sie nicht wolle, das würde sich heute wohl kein:e Regisseur:in mehr zu sagen wagen. Aber dass man nicht könne, weil es halt keine:n geeignete:n Artist of Color für die Rolle gebe: Diese Ausrede kennt Pascale Altenburger noch immer. Die Tänzerin, Kindergärtnerin und studierte Sozialanthropologin aus Bern gibt seit zwei Jahren antirassistische Workshops, unter anderem auch im Schlachthaus-Theater: «Die Strukturen in den Theaterhäusern sind noch durch und durch rassistisch und patriarchalisch», sagt sie.

Ntando Cele Foto: Yoshiko Kusano

Der erste Schritt, dem entgegenzuwirken, sei, die eigenen Privilegien überhaupt als solche zu erkennen, sagt Altenburger. Dies sei nicht einfach: «Eine Veranstalterin sagte mir, es sei für sie schwierig, als Feministin, die gegen die Unterdrückung der Frauen gekämpft hat, plötzlich auf der Seite der Privilegierten zu stehen.» Im Workshop erhalten die Performer:innen einen Privilegienkatalog, den sie ausfüllen müssen, mit Fragen wie: «Bist du hinter der Bühne schon mal mit der Putzkraft verwechselt worden?» – «Musst du dein Make-up selbst kaufen, weil es im Theater deinen Hautton nicht gibt?» – «Musst du dir die Haare selbst machen, weil es die Friseurin nicht kann?»

Die Konfrontation mit diesen Fragen sei für viele ein Schock, so Altenburger. Doch gerade bei den Performer:innen sehe sie eine Bereitschaft, sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen: «Wenn man die drei Bereiche des Theaters anschaut, die Performer:innen, das übrige Personal und das Publikum, scheint mir, dass gerade bei den Performer:innen einiges passiert ist.» Nicht nur, was die Hinterfragung der eigenen Privilegien angeht: Mittlerweile sehe man auch mehr Artists of Color auf den Bühnen. Doch: «In meinem Studium der Theaterwissenschaften habe ich gelernt, dass Theater ein Abbild der Gesellschaft sein soll. Aber welche Gesellschaft bildet unser Theater denn ab? Es müssten andere Lebenswelten auf der Bühne gezeigt werden – was wiederum auch einen Effekt auf das Publikum hätte, das noch immer fast ausschliesslich aus dem weissen Bildungsbürgertum besteht.» Ausserdem müsse Theater auch auf finanzieller Ebene für mehr Menschen zugänglicher werden.

Auf dem richtigen Weg

Tatsächlich haben sich die Geschichten verändert, die auf den Bühnen dargestellt werden. Nicht nur die kleinen Off-Theater, auch die grossen Häuser versuchen, ein jüngeres, diverseres Publikum anzusprechen. Ein aktuelles Beispiel ist «Bullestress» im Zürcher Schauspielhaus. Das Stück, geschrieben von Fatima Moumouni und Laurin Buser, erzählt von Racial Profiling und von anderen alltäglichen Formen von Rassismus, den junge Schwarze und People of Color in der Schweiz erleben. Ella (Pauline Avognon) bringt es auf den Punkt: «Das Problem von Rassismus ist, dass er in den Köpfen ist, und die Leute in der Schweiz reden nicht gerne über das, was in ihrem Kopf ist.» Sie ist wütend und verzweifelt: Ihr Bruder wurde von der Polizei niedergeschlagen, der Hintergrund ist offensichtlich rassistisch. Doch wie umgehen mit dieser Gewalt, die kaum thematisiert wird und die noch schwieriger zu beweisen ist?

Mit ihren vier Freund:innen versucht Ella, diese schwierige Situation zu meistern, doch sie stösst emotional immer wieder an ihre Grenzen – und selbst bei ihren Freund:innen teils auf Unverständnis. Die fünf jungen Schauspieler:innen, die alle keine professionelle Ausbildung haben, zeigen unter der Regie von Suna Gürler eine unglaublich starke Performance, sie streiten, schreien, weinen, singen, schweigen, trösten – und füllen die Bühne mit ihrer Energie. Auch das Publikum ist auffallend jung, mehrere Schulklassen sind anwesend und viele People of Color.

Das Schauspielhaus Zürich scheine auf dem richtigen Weg zu sein, findet Pascale Altenburger. Seit Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann zusammen die Intendanz übernommen haben, sind das Ensemble und die Themen der Stücke diverser geworden. Bei «Bullestress» arbeitete ein Antirassismuscoach mit, und in der Diskussionsreihe «Exit Racism» führte die Schauspielerin Thelma Buabeng regelmässig öffentliche Gespräche zum Thema.

«Trotzdem muss man das Schauspielhaus nicht gleich abfeiern, als ob man dort etwas Revolutionäres machen würde», sagt Altenburger. «Denn eigentlich sollte das selbstverständlich sein.» Ausserdem habe die ganze Diversitätsdebatte auch etwas Zwiespältiges: «Diversität ist natürlich auch ein Verkaufsargument. Wenn du mit deinem Theater mit dem Thema Vorreiterin bist, bekommst du Publicity, je nachdem auch Fördergelder und wirst als ‹gut› anerkannt.» Auch sie bekomme mittlerweile Anfragen von Orten oder Truppen, die sie früher nie angefragt hätten, und das habe einen seltsamen Beigeschmack.

Dass die Leitung in Zürich noch immer in Händen von zwei weissen Männern ist, kommentiert Altenburger pragmatisch: «Du kannst nicht einfach von einem Tag auf den anderen die Spitze auswechseln, und dann wird alles anders. Die Veränderungen müssen tiefgreifend und nachhaltig sein.» Dazu müsse man die gesamte Theaterstruktur anschauen und sich Fragen stellen wie: Welche Geschichten erzählen wir? Wer schreibt die Stücke? Wie vermeiden wir stereotypisierte oder exotisierte Darstellungen? Wo schreiben wir unser Vorsprechen aus? Wer sitzt in der Auswahlkommission? Welche Rollen werden mit wem besetzt? «Und natürlich geht es am Ende darum, dass Privilegierte ihre Macht abgeben», so Altenburger. «Genau das macht den Kampf gegen strukturellen und institutionellen Rassismus so anstrengend.»

Nicht immer die Einzige sein

Die Performerin Ntando Cele glaubt nicht, dass sich in absehbarer Zeit viel verändern wird. Denn: «Die Änderungen, die bisher passiert sind, sind so klein, dass man sie kaum sieht.» Vielleicht, sagt sie, wäre es an der Zeit, neue Institutionen zu gründen, statt die alteingesessenen Institutionen verändern zu wollen.

Eine ähnliche Forderung gab es letzten Frühling in Deutschland: Nach rassistischen Vorkommnissen im Schauspielhaus Düsseldorf forderten 22 Theaterschaffende of Color, die temporär in Düsseldorf engagiert waren, in einer Petition eine «unabhängige, selbstorganisierte Freie Bühne» mit einem eigenen Subventionsvolumen, um «dem institutionellen Rassismus» zu entkommen.

Eine Gruppe aus lauter People of Color zu gründen, das findet auch Ntando Cele dringlich: «Denn es ist unglaublich anstrengend, immer die Einzige zu sein.» Ausserdem wolle sie als Nächstes ein Solo zum Klimawandel machen. «Denn wer ist es, der über den Klimawandel redet?», fragt sie rhetorisch.

* Korrigendum vom 28. Februar 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion hiess es, Regisseur Rafael Sanchez hätte in seiner Inszenierung des Stück «Clybourne Park» die Schwarze Protagonistin «mit einer schwarz angemalten weissen Schauspielerin besetzt». Das ist falsch, Sanchez hatte nie die Absicht, mit Blackfacing zu inszenieren. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.