Wahlkampf in Frankreich: Wenn Macron ein bisschen Selenski spielt
Lange sah es so aus, als sei das Rennen um den Élysée-Palast bis zum Ende offen. Doch nun bringt der Krieg gegen die Ukraine Präsident Emmanuel Macron unverhofft Aufwind – und das rechte Lager in Schwierigkeiten.
Dunkelblauer Kapuzenpullover, Dreitagebart und Akten in der Hand: Es ist Sonntag, doch Emmanuel Macron findet in seinem prunkvollen Büro im Élysée-Palast keine Ruhe. Dann stützt er die Arme lässig in die Hüften, während er seine Berater:innen brieft, am Stuhlbein lehnt ein Rucksack. Er hat zu tun, er ist auf dem Sprung. Denn der französische Präsident steckt mitten im Krieg. Er gibt sich ein bisschen wie Wolodimir Selenski, er versucht es zumindest.
Klar, als einer der häufigsten Gesprächspartner von Wladimir Putin fiel ihm tatsächlich schnell eine wichtige Vermittlerrolle zu. Eine Rolle, die international wahrgenommen wird und auf die viele Hoffnungen setzten. Eine Rolle auch, die so viel wichtiger scheint als die des Wahlkämpfers, denn ja, seit Wochen herrscht in Frankreich Wahlkampf – nur eben lange Zeit ohne Macron.
Knapp einen Monat vor der ersten Wahlrunde im April hatte er noch nicht mal offiziell seine Kandidatur verkündet, auch wenn niemand Zweifel daran hegte, dass der 44-Jährige eine zweite Amtszeit anstrebt. Doch Auftritte in Messehallen, Fernsehduelle oder die unsäglichen Auseinandersetzungen mit den anderen Bewerber:innen um Rentenreform oder Sozialleistungen: All das scheint längst zu klein, zu nichtig für diesen Präsidenten. Gerade jetzt, da Frankreich auch noch die EU-Ratspräsidentschaft innehat und der Kontinent starke Führung braucht, um adäquate Antworten auf den russischen Angriff zu finden.
Schrille Töne von rechts
Während ein ehemaliger Komiker und Schauspieler in Kiew versucht, als Präsident sein überfallenes Land zu verteidigen, versucht 2500 Kilometer weiter westlich, in Paris, ein anderer Präsident die Rolle zu spielen, die ihm aller Wahrscheinlichkeit nach sogar den Wahlsieg bringen könnte. Dabei war dieser Wahlkampf lange ein Auf und Ab, geprägt von den schrillen Tönen von rechts. Wenngleich in Umfragen die Mehrheit der Französ:innen die Themen soziale Ungleichheit, Entwicklung der Kaufkraft und Klimawandel als besonders wichtig nannten, gelang es den rechtsextremen Éric Zemmour und Marine Le Pen, die öffentliche Debatte immer weiter nach rechts zu verschieben, sodass Islam, Einwanderung, innere Sicherheit und Identitätsverlust in den Fokus rückten.
Macron hielt sich indes nahezu völlig aus diesen Debatten heraus und kündigte an, er werde erst nach der ersten Wahlrunde an einem Fernsehduell teilnehmen. Nur für die eilig angesetzte Sendung «La France face à la guerre» (Frankreich im Angesicht des Krieges) liess er sich auf einen Auftritt ein, unter der Bedingung, dass es zu keiner direkten Konfrontation mit den anderen Kandidat:innen kommt. So war am Ende von den nacheinander Interviewten Macron der Einzige, der derzeit wirklich politische Verantwortung innehat; während Le Pen und Zemmour in der Vergangenheit gerne Putin als Staatsmann gelobt hatten, der vorbildlich die Souveränität seines Volkes verteidige.
Auf die Pandemie folgt der Krieg
Dass der Krieg gegen die Ukraine in diesem Wahlkampf ein echter Schlüsselmoment ist, glaubt auch die Politikwissenschaftlerin Nonna Mayer: «Die Pandemie hat bereits für sehr viel Unsicherheit gesorgt. An den Regionalwahlen nahmen zwei Drittel der Wahlberechtigten gar nicht teil. Jetzt kommt die Angst vor dem Krieg dazu – und dreissig Prozent wissen immer noch nicht, ob und für wen sie stimmen sollen.» Das linke Lager gilt wegen seiner Zerstrittenheit schon seit Monaten als chancenlos, wenn es nicht zu einem einheitlichen Kandidaten oder einer einheitlichen Kandidatin findet. Einzig Jean-Luc Mélenchon traut man noch zu, wie schon 2017 einen Schlusssprint hinzulegen.
Dass auf rechter Seite allerdings gleich drei Anwärter:innen – neben Le Pen und Zemmour auch die rechtskonservative Valérie Pécresse – um Stimmen buhlen, hat zu einer Aufsplittung der Stimmenanteile geführt, von der Macron nun profitiert. Und noch etwas kommt ihm gelegen: Während Deutschland darüber debattiert, wie man schnellstmöglich aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl herauskommt, verteidigt Macron nun mit Verve seine lang gehegten Pläne zum Ausbau der Atomenergie.
Klima- und Energieexpert:innen blicken mit Entsetzen auf die magere Bilanz von Macron in Klimafragen. Doch dieser inszeniert sich nun als Hüter französischer Unabhängigkeitsinteressen und lässt seinen Premierminister gleich noch eine Benzinpreissenkung verkünden, um die Folgen des Krieges abzufedern – für ein Revival der Gelbwesten wäre es schliesslich ein denkbar schlechter Zeitpunkt.
Die Inszenierung ist also perfekt. Und so schüttelt der Krisenmanager Hände anderer Staatschefs häufiger als jene seiner Citoyen:nes auf Marktplätzen. Er kämpft eben an den entscheidenden Fronten. Wenns sein muss, auch im Kapuzenpullover.