Ein Traum der Welt: City State Schweiz
Annette Hug denkt an asiatische Inseln
Seit fast genau zwei Jahren steht die Katastrophe vor der Tür. Jetzt kommt sie, und alle sind nur noch gelangweilt. Hohe Ansteckungsraten, volle Spitäler? Im Moment gerade in Hongkong. Und ganz doof ist die Situation für Hausangestellte, die in Quarantäne müssen, aber die Quarantänestationen sind voll, dann müssen sie sich zu Hause isolieren, aber da, wo sie wohnen, ist nicht ihr Zuhause, da arbeiten sie, und die Familien, die sie angestellt haben, wollen nicht angesteckt werden.
Wenn die Hausangestellten aber kein eigenes Zimmer haben, sondern im Kinderzimmer auf dem Boden schlafen, in der Küche oder direkt bei den alten Leuten, die sie pflegen, dann ist die Ansteckungsgefahr gross. Also schmeisst man sie raus. Die anglikanische Migrant:innenmission und ein philippinisches Frauenhaus bieten Notunterkünfte. Und dann gibts auch Familien, die den Hausangestellten kündigen, wenn sie in einer Quarantäneeinrichtung sind. Arbeiten ja nicht. Nach zwei Wochen ohne Arbeitsvertrag verfällt aber die Aufenthaltsbewilligung. Und wer bezahlt den Flug nach Hause? Wenn denn ein solcher Flug gerade möglich ist?
Das ist alles keine Überraschung. So läufts im Herrenmenschensystem: Ein Stadtstaat spart die Kosten für öffentliche Kinder- und Altenbetreuung und organisiert den Bürger:innen stattdessen eine Dienstbotenklasse, also Migrantinnen mit einem Mindestlohn, der nur die Hälfte des normalen Mindestlohns beträgt. Auch nach dreissig Jahren Verlängerung der Kurzaufenthaltsbewilligung sind kein Familiennachzug und keine Einbürgerung möglich.
Das passt genau ins Modell, das der ehemalige Bankier und Advokat der straffreien Steuerhinterziehung, Konrad Hummler, im Jahr 2006 als Vision für die Schweiz formulierte: Ein «gut vernetzter Stadtstaat inmitten einer globalisierten Welt […] – frei, offen, auf das Wohl der eigenen Bürger bedacht, effizient, clever, produktiv». Auf Singapur und Hongkong verwies Hummler als Vorbild.
Obwohl das eine Weile her ist, lohnt es sich, auf die Vision zurückzukommen. Interessant daran ist nämlich der Furor, mit dem Hummler gegen die Idee der Schweiz als ländliche Idylle angegangen ist. Er plädierte für Realismus: Dieses Land ist ein starker Player in der globalen Wirtschaft, eine grosse städtische Agglomeration mit putzigem Umland. Das Land hat den Reichen dieser Welt etwas zu bieten. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Selbstbild aus dem Bilderbuch nicht gerade Teil des Geschäftsmodells ist, das den verkappten City State so erfolgreich macht. Unter der Tessinerpalme fühlt sich auch der Oligarch, als sei er aus der bösen Welt ausgetreten.
Der philippinische Schriftsteller Ramon Guillermo nennt die Verbindungen, die sich in Hongkong zwischen philippinischen und indonesischen Hausangestellten, zwischen dem sozialen Flügel der Protestbewegung und migrantischen Organisationen entwickelt haben, einen «Kosmopolitismus von unten». Dieser nährt sich von den begeisternden Seiten eines Freihafens, wo Leute kommen und gehen, sich neu erfinden und unerwartete Verbindungen knüpfen.
Wenn sie nur die Wahl hätten, zu bleiben und einen eigenen Haushalt einzurichten. Und wenn sie auch mitbestimmen könnten und nicht auf billige Dienstboten angewiesen wären, um Kinder zu haben. Dann wäre das eine echte Alternative zur Idyllenschweiz.
Annette Hug ist Autorin in Zürich und empfängt den Newsletter der Mission for Migrant Workers aus Hongkong.