Globale Mindeststeuer: Städte schlagen Alarm: «Man muss auf uns hören»
Der Städteverband ist besorgt über die Umsetzung der OECD-Reform. Biels Finanzdirektorin Silvia Steidle (FDP) erklärt, wo die roten Linien verlaufen – und warum die Vorlage abstürzen könnte.
Für Silvia Steidle ging eine schwierige Woche zu Ende, als die WOZ sie anrief. Die Finanzdirektorin der Stadt Biel musste ein grosses Programm zur Sanierung des Haushalts auflegen: Mit Sparmassnahmen und Zusatzerträgen sollen 25 Millionen Franken zusammenkommen. In der Pandemie sind die Steuereinnahmen von juristischen Personen massiv eingebrochen, von 40 Millionen Franken auf 16 Millionen. Vor allem die Uhrenindustrie verzeichnete grosse Einbussen. Und bald, befürchtet FDP-Frau Steidle, könnte sich die Lage für Biel noch weiter verschlechtern. «Ich mache mir grosse Sorgen», sagt sie.
Grund dafür ist die Umsetzung der globalen Mindeststeuer in der Schweiz. Die OECD verlangt, dass international tätige Konzerne mindestens 15 Prozent Steuern auf ihre Gewinne bezahlen. Die neuen Regeln gelten bereits ab dem nächsten Jahr, derzeit läuft die Vernehmlassung der Vorlage. Für die Schweiz bedeutet die Reform zusätzliche Steuereinnahmen von geschätzt 1,5 Milliarden Franken, eigentlich ein Segen für Finanzdirektor:innen wie Steidle. Doch weil Steuerdebatten in der Schweiz oft in die falsche Richtung laufen, könnte die Vorlage mehr Verlierer:innen als Gewinner:innen hervorbringen.
Profitieren die Tiefsteuerkantone?
Umstritten ist, was mit den zusätzlichen Einnahmen passiert – und wer über sie verfügen kann. Profitieren werden, so wie es jetzt vorgesehen ist, hauptsächlich jene Tiefsteuerkantone, die ihren Steuersatz erhöhen müssen, also etwa Zug, Waadt oder Basel-Stadt. Ein kleines Stück des Kuchens geht über den Finanzausgleich an die anderen Kantone. Jene Standorte, die schon heute gut dastehen, können die neuen Mittel nutzen, um sich weitere Vorteile zu verschaffen. Dann verlieren Städte wie Biel, die nicht mitziehen können, weiter an Boden. Zuletzt kündigte Basel-Stadt ein riesiges Steuersenkungspaket über 92 Millionen Franken an. Dass Städte wie Basel oder Zürich trotz Pandemie grosse Überschüsse verzeichnen, täuscht darüber hinweg, wie schlecht es vielen Gemeinden und Städten geht. In einer Umfrage des Städteverbands unter 77 Städten und Gemeinden kündigten vierzig Prozent Steuererhöhungen an, gar zwei von drei Kommunen müssen neue Schulden aufnehmen.
«Wir konnten hier das Gewerbe nicht mehr unterstützen, und Zug senkte mitten in der Pandemie die Steuern, das hat mich entsetzt», klagt Steidle. Sie plädiert dafür, die Mehreinnahmen in den nationalen Finanzausgleich zu pumpen und die Infrastruktur zu verbessern: «Wir müssen die Solidarität stärken.» Nichts hält sie von den vielen Subventionsideen, die nun rumgereicht werden. Vieles davon, wie Fördergelder für Privatschulen, dürfte nie realisiert werden, mehrheitsfähig könnte ein Fonds für die forschende Industrie sein. «Wer braucht das?», fragt Steidle und gibt die Antwort gleich selber: «Niemand weiss es.» Sie habe oft bei den Firmen nachgefragt, was ihnen fehle, und das Feedback sei immer gewesen: Fachkräfte. «Statt unsinnige Fördermodelle zu schaffen, müsste der Bund Massnahmen treffen, die den Zuzug qualifizierter Erwerbstätiger aus Drittstaaten erleichtern.»
Es gibt Handlungsspielraum
Eine rote Linie stellen für Steidle Steuersenkungen für natürliche Personen dar, wie sie allerdings schon jetzt reihenweise beschlossen werden. «Es gibt keinen Zusammenhang mit der OECD-Reform, das geht nicht und wird keine politische Akzeptanz finden.» Sie findet, vorerst sollten überhaupt keine Kompensationsmassnahmen beschlossen werden. Denn noch wisse niemand, wie sich die letzte Unternehmenssteuerreform auswirke, die 2019 vom Volk angenommen wurde. Die ersten Kantone wollen 2023 Bilanz ziehen, andere erst 2027. Die Schweiz solle Ruhe ins System bringen, statt immer neue Variablen zu verändern. «Es braucht eine gewisse Regulierung, um den Steuerwettbewerb abzukühlen und den Stress der Firmen mit so vielen Steuermodellen zu reduzieren», sagt Steidle. Sie will den Grundgedanken der OECD-Reform bewahren, der nun von findigen Finanzdirektor:innen entstellt wird. Ob sie gehört wird? Silvia Steidle erinnert an die Unternehmenssteuerreform III (USR III), die nach heftigem Widerstand der Gemeinden und Städte vom Volk verworfen wurde. Sie sagt: «Man muss auf uns hören.»
Tatsächlich gibt es nicht nur für die Städte, sondern auch für SP und Grüne einigen Handlungsspielraum. Die Flops bei der USR III und zuletzt bei der Stempelabgabe haben gezeigt, dass Steuervorlagen angreifbar sind. Das haben selbst Hardliner wie Zugs SVP-Finanzdirektor Heinz Tännler realisiert. Unlängst beklagte er sich an einer Veranstaltung des Liberalen Instituts zwar über das neue «Steuerkartell». Er forderte den Föderalismus ein und dass jene über das Geld bestimmen müssten, die es auch verdienten. Doch prophezeite er auch, dass es die Reform schwer haben dürfte, wenn man sich nicht einige: «Die Linken erpressen die Bürgerlichen im Parlament, Interessengruppen ziehen nicht mit, Städte und Kantone haben nicht die gleiche Sicht.» Es brauche ein sozial abgefedertes, ausbalanciertes Paket, damit die Vorlage nicht abstürze. Die Chancen sind also durchaus intakt, dass mit dem richtigen politischen Druck die Einnahmen aus der OECD-Mindeststeuer dorthin fliessen, wo sie gebraucht werden.