Steuerpolitik: Wo die Millionen einfach weitersprudeln

Nr. 38 –

Es kommt, wie es kommen musste: Mit ihrer Umsetzung der OECD-Mindeststeuer führt die Schweiz diese ins Absurde. Zum Glück gehts währenddessen bei der Uno vorwärts.

Illustration von Patric Sandri: Höchhäuser, Palmen, Blumen und die Kappelbrücke in Luzern
Was hier im Lokalen ausgebrütet wird, wirkt sich weiterhin auf die ganze Welt aus: Luzern entscheidet am Sonntag über die Steuergesetzrevision.

Wo anfangen, um vom Fluch des globalen Steuerwettbewerbs zu erzählen – und vom scheiternden Versuch der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), ihn abzuschwächen?

Am besten im Lokalen, im Tiefsteuerkanton Luzern. Dort findet diesen Sonntag eine Abstimmung über eine Steuergesetzrevision statt: Geplant sind zahlreiche Steuererleichterungen, teils für niedrige Einkommen, vor allem aber für Unternehmen. Für Ärger sorgte im Vorfeld die Informationspolitik der Luzerner Regierung. Die kantonale SP reichte gar eine (mittlerweile abgewiesene) Stimmrechtsbeschwerde ein. Aus mehreren Gründen, wie Kantonsrätin Simone Brunner erklärt: «Zum einen wurden die Gegenargumente der Linken im Abstimmungsbüchlein völlig unzureichend abgebildet.» Zum anderen werde unterschlagen, dass Unternehmen gegenüber natürlichen Personen unverhältnismässig stark von der Vorlage profitierten, sagt Brunner – insbesondere von einer Senkung ihrer Kapitalsteuern auf symbolische 0,01 Promille wie auch von der Entlastung von Gewinnen aus Patenten.

Ebenfalls gut versteckt ist im Abstimmungsbüchlein die Tatsache, dass Kanton und Gemeinden auf Basis der ausgewiesenen Zahlen bald vor Finanzlöchern von jährlich insgesamt 180 Millionen Franken stehen würden – was in Luzern böse Erinnerungen an die Zeit der chaotischen Sparübungen im vergangenen Jahrzehnt weckt.

Ende August dann aber preschte die Regierung plötzlich mit völlig neuen Zahlen in den Abstimmungskampf. Der Mehrertrag aus der OECD-Mindeststeuer werde nun «gemäss neusten Schätzungen» 400 Millionen Franken pro Jahr betragen. Gegenüber den 55 Millionen, die im Abstimmungsbüchlein aufgeführt sind, ist das mehr als eine Versiebenfachung. Auf welcher Grundlage der neue Betrag errechnet wurde, kann das Finanzdepartement auf Anfrage nicht innert redaktioneller Frist erklären. Klar ist nur, dass der Stimmbevölkerung ein riesiger Geldsegen versprochen wird.

Subventions- statt Steuerwettbewerb

Kurz zur Erinnerung: Unter Federführung der OECD haben sich Ende 2021 rund 140 Staaten – darunter auch die Schweiz – auf die Einführung einer Mindeststeuer auf Konzerngewinnen ab 750 Millionen Euro verständigt, um dem globalen Wettrennen um tiefe Steuersätze für Unternehmen entgegenzutreten. Die Schweiz, das Land des konzerndienlichen Steuerföderalismus, machte sich sogleich an eine von rechtsbürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbänden forcierte Umsetzung. Der Bund soll mit der «Ergänzungssteuer» die fehlenden Steuerprozente in den Kantonen so ergänzen, dass die OECD-Vorgaben erfüllt sind. Drei Viertel der Einnahmen aus dieser Bundessteuer fliessen dabei umgehend an die jeweiligen Kantone zurück. Im Juni letzten Jahres stimmten niederschmetternde 78,5 Prozent der Stimmberechtigten der Vorlage zu, seit Januar ist sie in Kraft.

Für Luzern beginnt damit ein neues Kapitel seiner Tiefsteuerstrategie. 2012 hat der Kanton die Unternehmensgewinnsteuern auf einen rekordtiefen Wert von knapp über zwölf Prozent gesenkt. Die Folge waren umfassende Sparpakete, mit Einschnitten etwa im Gesundheits-, Bildungs- oder Asylbereich. Seit 2018 schreibt der Kanton Millionenüberschüsse, doch hat er sich damit in eine gefährliche Abhängigkeit begeben. Die etwa 220 Unternehmen, die in Luzern nun von der OECD-Mindeststeuer betroffen sind, machen zusammen etwa sechzig Prozent des Steuersubstrats juristischer Personen aus. «Das birgt ein gefährliches Klumpenrisiko», sagt Simone Brunner.

«Förderpakete» für Firmen

Luzerns Regierung skizzierte Ende August denn auch gleich, wie sie diese Firmen künftig bei der Stange halten will. 200 der – optimistisch geschätzten – 400 Millionen Franken pro Jahr wolle sie künftig «für die Weiterentwicklung der Standortförderung» einsetzen. Was das genau heissen soll, ist völlig unklar. «Ein Blick in andere Kantone lässt aber erahnen, worauf es die bürgerliche Mehrheit abgesehen hat», sagt Brunner. «An die Stelle des Steuer- dürfte ein harter Subventionswettbewerb treten.»

Tatsächlich zimmern nicht wenige Kantone, die mit ihren Gewinnsteuersätzen bisher unter dem OECD-Minimum von fünfzehn Prozent lagen, an Kompensationsmassnahmen. Graubünden etwa rechnet mit einem einstelligen Millionenbetrag, den es in Form «qualifizierender Steuergutschriften» rückverteilen will. In wesentlich grösseren Dimensionen denkt der Kanton Basel-Stadt: Die Wahlheimat diverser Pharmafirmen hat mit einem «Förderpaket» reagiert, das Firmen «in den Bereichen Innovation, Gesellschaft und Umwelt» finanziell unter die Arme greifen wird. Zwischen 150 und 300 Millionen Franken an Mehreinnahmen sollen jährlich in einen entsprechenden Fonds fliessen – und von dort an Firmen, die etwa ihre Infrastruktur ausbauen oder die ihren Angestellten eine grosszügige Elternzeit gewähren.

Auch der Kanton Schaffhausen stellt zur Standortförderung «die Bereitstellung der relevanten Innovationsinfrastruktur» und «die Unterstützung von angewandter Forschung» in Aussicht. Allerdings erhöhte er die effektive Besteuerung umsatzstarker Unternehmen gleich selbst auf annähernd fünfzehn Prozent, um die Ergänzungssteuer des Bundes zu umgehen. Ähnlich ist der Kanton Genf vorgegangen.

Und dann wäre da noch der Kanton Zug, Tiefsteuerparadies und Rohstoffdrehscheibe. Der OECD-Mindeststeuer wird dort mit einem neuen «Gesetz über Standortentwicklung» begegnet. Die Regierung schlägt vor, 200 Millionen Franken an künftigen Mehreinnahmen «vollumfänglich in gezielte Standortmassnahmen» zu investieren, einen Teil davon etwa in Kinderbetreuungsangebote. 150 Millionen Franken pro Jahr und damit der Löwenanteil der erwarteten Gelder sind jedoch allein für direkte «Förderbeiträge an Unternehmen» vorgesehen.

Was hier im Lokalen gerade ausgebrütet, parlamentarisch beraten und in Gesetze gegossen wird, wirkt sich weiterhin auf die ganze Welt aus. 600 Milliarden US-Dollar entgehen Staatshaushalten jährlich weltweit aufgrund der Steueroptimierungsstrategien transnationaler Konzerne, wie das FACTI Panel, eine von der Uno eingesetzte Expert:innengruppe, errechnet hat. Eine gigantische Summe, die vor allem den Ländern im Globalen Süden schmerzlich fehlt.

Dann halt bei der Uno

Dass es gelungen ist, mit dem OECD-Projekt zumindest auf dem Papier eine internationale Untergrenze für Gewinnsteuersätze zu definieren, ist durchaus bemerkenswert. «Aus einer Perspektive des Globalen Südens wurde das Grundproblem aber nicht gelöst», sagt Dominik Gross, Experte für Steuer- und Finanzpolitik bei der NGO Alliance Sud. Denn weiterhin liessen sich Unmengen an Steuersubstrat aus armen Produktionsländern in die reichen Zentren der nördlichen Industrieländer verschieben – wovon diese dank der Mindeststeuer nun noch stärker profitierten. «Und mit ihrer lückenhaften Umsetzung torpedieren Länder wie die Schweiz die Idee vollends», sagt Gross.

Es dürfte nicht zuletzt die Ernüchterung über das ungenügende OECD-Regelwerk sein, die einer alternativen Idee in den letzten Jahren zum Durchbruch verhalf: Eine neue Uno-Rahmenkonvention soll her, auf deren Basis sich künftig alle Uno-Länder an der Ausgestaltung einer gerechteren globalen Steuerarchitektur beteiligen können. Es waren vor allem die Länder der Afrikagruppe, die das Vorhaben in den letzten Jahren entscheidend voranbrachten. Und im letzten November kam es – entgegen dem Willen aller EU- und der allermeisten OECD-Staaten – erfolgreich durch die Uno-Generalversammlung. Seither befindet sich die Steuerkonvention in der Phase der Ausgestaltung.

Im letzten Monat nun verabschiedete das zuständige Komitee relativ ambitionierte Zielvorgaben. So soll der Aufgabenbereich der künftigen Steuerkonvention etwa Massnahmen gegen «illegitime Finanzströme» und «schädliche Steuerpraktiken» enthalten wie auch Fragen zu Informationsaustausch und Amtshilfen. Dominik Gross, der den Uno-Prozess in New York eng verfolgt, ist mit dem Erreichten grösstenteils zufrieden – allerdings gebe es einen Wermutstropfen: «Bei den Verhandlungen fiel eine Passage raus, wonach jedes Land bei seiner Steuergesetzgebung die negativen Folgen für andere Länder berücksichtigen sollte», erklärt Gross. Ausgerechnet die Schweiz sei es gewesen, die die Streichung der Passage veranlasst habe. Dafür enthielt sie sich am Ende bei der Abstimmung über die Zielvorgaben der Stimme. Was fast schon ein Fortschritt sei, nachdem sich die Schweiz im letzten November noch dem Nein-Block angeschlossen gehabt habe.

Bis die Steuerkonvention steht, wird es noch viele Verhandlungsrunden geben – und entsprechend viele Gelegenheiten für Steueroasen, Einfluss zu nehmen. Aber Dominik Gross nimmt die Verhandlungsführer:innen aus Ländern wie Kenia, Nigeria und Ghana als überaus entschlossen und selbstbewusst wahr. «Die grosse Stärke der Länder aus dem Globalen Süden liegt derzeit darin, dass sie sehr geeint auftreten», so Gross. Sie würden es bis anhin schaffen, in einem geopolitisch sehr volatilen Umfeld stabile Mehrheiten zu schaffen. Sollte weiterhin alles fahrplanmässig laufen, wird bereits im nächsten Jahr eine erste globale Steuerkonferenz stattfinden. Bis Ende 2027 soll die Konvention dann der Generalversammlung unterbreitet und durch die Mitgliedstaaten ratifiziert werden können.

Nachtrag vom 26. September 2024 : Geldsegen als Gamechanger?

Am Ende haben es die Bürgerlichen mal wieder geschafft: Mit ziemlich genau zwei Dritteln der Stimmen wurde am Sonntag in Luzern eine kantonale Steuergesetzrevision angenommen, die eine Palette an Steuersenkungen vorsieht. Darunter finden sich auch Zückerchen für Familien und Geringverdienende – aber hauptsächlich werden Firmen und Konzerne profitieren. Unter anderem wird deren Kapitalsteuer faktisch abgeschafft. Das Paket ist Vorbote eines neuen Standortgerangels, das sich manche Kantone aufgrund der neuen, international beschlossenen OECD-Mindestbesteuerung künftig noch verstärkt liefern dürften.

Das deutliche Ergebnis hat sich zunächst nicht unbedingt abgezeichnet. So rang sich die Mitte-Partei, noch immer stärkste Kraft im Kanton, bei ihrer Delegiertenversammlung im August nur knapp zur Ja-Parole durch. Vor allem die traditionell konfliktträchtige Auf­­gaben- und Einnahmenverteilung zwischen Kanton und Gemeinden soll zur Uneinigkeit beigetragen haben. Umso mehr, weil die Regierung ursprünglich jährliche Budgetlücken von 180 Millionen Franken befürchtete, sollte die Revision angenommen werden. Damit drohte Luzern ein Rückfall in die Jahre der chaotischen Sparübungen (siehe WOZ Nr. 11/19).

Finanzdirektor und steuerpolitischer Taktgeber im Kanton ist seit fünf Jahren Reto Wyss – ebenfalls Mitte-Politiker. Keine Woche nach der knappen Parolenfassung seiner Partei publizierte sein Departement dann unvermittelt neue Zahlen: Statt mit 55 sei bald jedes Jahr mit 400 Millionen Franken an Mehreinnahmen aus der OECD-Mindestbesteuerung zu rechnen. 80 Millionen davon stellte Wyss gleich auch den Gemeinden in Aussicht, ganz ohne parlamentarischen Prozess. Gut möglich, dass das späte Versprechen auf den baldigen Geldsegen das Abstimmungsresultat wesentlich beeinflusst hat.

Ganz in trockenen Tüchern ist Luzerns Steuergesetzrevision damit übrigens noch nicht: Die SP hat schon im Vorfeld angekündigt, eine von der Regierung abgewiesene Stimmrechtsbeschwerde ans Bundesgericht weiterzuziehen.